Kreisstraßen-Häuser in Selm Bürgermeister Orlowski: „Ruhig bleiben, wir arbeiten daran“

Bürgermeister Orlowski zu Kreisstraßen-Häusern: „Ruhig bleiben, wir arbeiten daran“
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Agnes Kolodziejs Geschäft ist das letzte in der Reihe. Wenn sie aus der Ladentür tritt und nach links schaut, blickt sie auf eine Häuserzeile, die verschwinden wird. Eigentlich hätten die acht leer gezogenen Gebäude längst schon verschwunden sein sollen. Zwei Jahre lang habe sie ihren Kundinnen und Kunden erzählt, dass es bald losgehe mit den Abbrucharbeiten, sagt sie. Inzwischen belässt sie es bei dem Hinweis, dass ihr Lebensmittelgeschäft mit polnischen Spezialitäten nicht abgerissen wird. Alles andere wisse man nicht so genau. Da geht es ihr zurzeit nicht anders als allen anderen, die über eines der größten Projekte der Innenstadtentwicklung sprechen. Bürgermeister Thomas Orlowski hat zumindest einen Hinweis.

Die Einzelhändlerin, die vor vier Jahren an der Kreisstraße ihr Lebensmittelgeschäft öffnete, muss sich noch etwas gedulden. Alle anderen, die es leid sind, den seit Januar 2022 leer stehenden, mehr als 100 Jahre alten Häusern beim Verfallen zusehen zu müssen, ebenfalls. „Noch liegt kein Bauantrag vor“, sagt Bürgermeister Orlowski im Interview. Daher könne die Selmer Stadtverwaltung auch noch keine Baugenehmigung erteilen: die Voraussetzung dafür, dass der Erbbaupachtvertrag zwischen der Stadt Selm und dem Immobilienentwickler Ten Brinke greift und das Unternehmen sein vertraglich geregeltes Eigentum übernimmt. So lange bleiben die Häuser in der Hand der Stadt Selm.

Wann sich das ändern wird? Orlowski antwortet mit dem Begriff, der seit Ende 2021 immer wieder fällt: „Bald.“ Oder inzwischen etwas abgewandelt: „Möglichst bald.“ „Bald könnte es einen Bauantrag geben“, hieß es zuletzt im März 2023. „Bald hat der kleine Laden keine Nachbarn mehr“, hieß es im November 2021 in einem Bericht über Agnes Kolodziejs Geschäft. Wann jetzt „bald“ sein könnte, konkretisiert Orlowski auf Nachfrage: „Anfang nächsten Jahres“, also 2024. Allen, die schon lange ungeduldig sind, ruft er zu: „Ruhig bleiben, wir arbeiten daran.“

Netto und dm wollen umziehen

Vor dem 21. Juni 2023 konnte Ten Brinke den Bauantrag gar nicht stellen. Erst dann war der Bebauungsplan Nummer 69 Zentrum Kreisstraße Südwest in Kraft getreten. Welche Fragen noch zu klären sind - Orlowski spricht von „Details“ - , bis der Bauantrag gestellt wird, bleibt noch offen. Der zuständige Projektleiter ist in den Herbstferien nicht im Haus. Ten Brinke will auf dem Gelände zwischen den Häusern Kreisstraße 68 bis 84 den Lebensmittel-Discountmarkt Netto mit Backshop, den Drogeriemarkt dm sowie 20 Wohnungen errichten. Netto und dm gibt es bereits an der Kreisstraße. Beide möchten ihre bisherigen Standorte aufgeben und in Neubauten ziehen. Ein Vorhaben, von dem sich die Stadt laut Bebauungsplanbegründung einiges verspricht.

„Mit Umsetzung des Planvorhabens innerhalb des zentralen Versorgungsbereiches von Selm soll eine nachhaltige Stärkung und Aufwertung der wohnortnahen Versorgung im Verflechtungsbereich erreicht werden.“ In der Erklärung zum Plan geht die Stadt auch auf den Fall der Fälle ein, dass es - warum auch immer - nicht zu der Durchführung der Bauleitplanung komme. Da ein Teil der Häuser - nach fast zwei Jahren Leerstand kaum verwunderlich - wegen Baumängeln unbewohnbar sei, wäre „perspektivisch auch eine Neubebauung von Wohngebäuden möglich“. „Insgesamt ergeben sich hinsichtlich der Bebauungskonzeption keine sinnvollen Alternativen.“

Der Kauf der Häuserzeile Kreisstraße 68 bis 84 für 4,2 Millionen Euro durch die Stadt Selm hatte 2017 die Gemüter gespalten. Der Verkauf 2020 an den Bauträger Ten Brinke ebenfalls. Auch wenn offiziell keine Zahlen bekannt wurden, hatte die UWG kolportiert, dass die Stadt „2,5 Millionen Euro bei dem Geschäft vernichtet hat“.

Diese Postkarte von der Kreisstraße in Selm-Beifang stammt aus dem Jahr 1938. Die Straßenbebauung war Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt, zusammen mit dem Ausbau Selms zur Bergbaustadt.
Diese Postkarte von der Kreisstraße in Selm-Beifang stammt aus dem Jahr 1938. Die Straßenbebauung war Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt, zusammen mit dem Ausbau Selms zur Bergbaustadt. © Tim Speicher

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