Selbst gemachte Puppenkleider und Bezugsscheine. Was früher zu Weihnachten verschenkt wurde, ist heute kaum mehr vorstellbar. Die Bewohner der Seniorenresidenz an der Ludgeristraße 123 in Selm haben genau das in ihrer Kindheit erlebt. Zusammen mit Sozialarbeiter Martin Mischkowsky haben sie sich zusammengesetzt und von den Weihnachtsfesten aus ihrer Kindheit erzählt.
„Als ich klein war, habe ich neue Kleider für meine Puppe bekommen“, erinnert sich Christel Brückner (87). „Mein Bruder war im Krieg in Afrika und meine Schwester bei ihrem Freund feiern, also war ich alleine bei meinen Eltern. Gefreut habe ich mich trotzdem sehr darüber.“
Ralf Siebert (85) weiß noch, dass Heiligabend bei ihm zuhause immer etwas ganz Besonderes war. „Wir hatten damals keine Süßigkeiten. Meine Mutter hat den Zucker immer aufgespart und ihn dann an Heiligabend in die Pfanne gehauen. Dann gab es Bonbons am Stiel.“
Für Elisabeth Schulte (87) bedeutete die Weihnachtszeit vor allem, in den Nordkirchener Busch zu gehen und einen Tannenbaum zu schlagen. „Kurz vor Weihnachten ist mein Vater mit uns immer in den Wald gegangen. Wir mussten beim Förster immer einen Holzschein für zwei D-Mark kaufen. Und dann habe ich gesehen, wie mein Vater ein Taschentuch an einen Baum gebunden hatte. Als ich danach gefragt hatte, sagte er: Wir machen das so wie Hänsel und Gretel mit den Brotkrumen, damit wir den Baum nachher wiederfinden.“
Ralf Siebert erinnert sich noch an die allererste Banane, die er als Kind gegessen hat. „Das war beim Bauern, als er frische Bananen bekommen hatte. Zweieinhalb Stunden musste ich anstehen, bis ich an der Reihe war. Ich wusste gar nicht, dass ich die Banane schälen musste, und wollte einfach so reinbeißen.“
Chaos in der Küche
Hans-Ullrich Spott (65) hat die Nachkriegszeit nicht so mitgekriegt wie seine Mitbewohner. Er kann dafür besonders unterhaltsame Geschichten erzählen. „Bei uns gab es an Heiligabend immer einen Weihnachtskarpfen zu essen. Den haben wir jedes Jahr am Vortag geholt und über Nacht in der Badewanne gelassen. Wenn es dann soweit war, wurde er eine Stunde vor dem Essen zubereitet.“ Einmal kam es dabei aber zu einem Unglück, erzählt er. „Mein Opa hat mal einen Karpfen gekauft, der sehr lebhaft war. Normalerweise hält wer den Fisch fest und jemand anderes haut feste auf den Kopf, damit er schnell stirbt.“
Bei diesem Karpfen war das aber anders. „Ich weiß nicht, ob der Schlag nicht fest genug war oder der Fisch zu viel ausgehalten hatte, aber gestorben ist er nicht. Dafür hat er plötzlich wie wild gezappelt und ist durch die ganze Küche gehopst“, sagt er und lacht, ebenso wie seine Mitbewohner. Auch Martin Mischkowsky hört die Geschichte zum ersten Mal. Hans-Ullrich Spott ist aber nicht fertig mit seiner Erzählung. „Die Küche sah danach aus, das glaubt ihr nicht. Die Frauen haben sich vielleicht aufgeregt. Vor allem, weil - jetzt kommt‘s - sie die Küche eine Stunde vorher komplett geputzt hatten.“
Obwohl Weihnachten in der Nachkriegszeit hart war, sind sich die Senioren einig: Der Weihnachtsbaum war immer ein Muss. Auch wenn er damals etwas anders geschmückt wurde als heute, finden Arno Marschalek (60) und Christel Brückner. „Besonders Silber hatten die Bäume früher viel.“ Elisabeth Schultes Familie hatte ihren Baum immer unter anderem mit Gebäck geschmückt, erzählt sie. „An den Heiligen Drei Königen durften wir den Baum dann immer plündern.“

Auch wenn der Nikolaus zu Besuch kam, passierte vieles, wovon die Seniorinnen und Senioren erzählen können. Hans-Ullrich Spott erinnert sich noch, wie er als Kind den Nikolaus zusammen mit Knecht Ruprecht getroffen hatte. Als Kind hatte er es für einen sehr großen Zufall gehalten, dass der Nikolaus die gleichen Stiefel wie sein Nachbar getragen hatte. „Ich weiß auch noch, wie ich mit meinen Eltern in der Kirche war und beim Krippenspiel zugeguckt habe“, erzählt er weiter. „Das hat wirklich lange gedauert und als Kind möchte man ja viel lieber nach Hause. Und ich saß dann in der Bank und fragte ganz laut: ,Ja, ist denn bald mal Feierabend?‘ Die anderen Kinder fanden das lustig, der Pfarrer nicht so sehr.“
Ralf Siebert kann auch von einem Erlebnis mit dem Nikolaus erzählen. „Ich sollte ein Gedicht aufsagen, damit ich etwas vom Nikolaus bekomme.“ Also entschied er sich für das Nikolauslied: „Nikolaus, ich will artig sein, bring mir was aufs Tellerlein! Tellerlein ist viel zu klein, muss eine große Schüssel sein“, sagt er das Gedicht auf. „Dann musste ich den Nikolaus erstmal überzeugen, dass das ein echtes Gedicht ist.“
Durch Krieg auch traurige Feste
Aber nicht nur von lustigen und amüsanten Dingen können die Senioren berichten. Ralf Siebert hat den Zweiten Weltkrieg und dessen Auswirkungen hautnah miterlebt. „Der Krieg war eine böse Zeit. Ich weiß noch, dass ich einmal zur Bäuerin gegangen bin und nach ein paar Kartoffeln gefragt habe, weil ich an dem Tag noch nichts gegessen hatte. Die Bäuerin konnte mir nur eine einzige kleine Kartoffel mitgeben.“
Marianne Neubürger (97) kann von einem besonders traurigen Weihnachtsfest erzählen. „Mein Onkel hat an der Bahn gearbeitet und mit den Bauern an den Waggons immer Waren getauscht. An Heiligabend hat er von den Bauern ein verschnürtes Paket bekommen und es zu uns nach Hause gebracht. Wir haben uns zuerst gefreut, dass das Paket voller Konserven war, die wir aufbewahren konnten.“ Umso größer war die Enttäuschung, als die Dosen geöffnet wurden und sich nur Wasser darin befand: Ihr Onkel wurde an Heiligabend betrogen. „Das sind Dinge, an die man sich das ganze Leben lang erinnert“, sagt Marianne Neubürger.
„Mein Vater aus Sachsen hat früher immer einen Stuten genommen und ihn an Weihnachten mit Puderzucker bestäubt“, erzählt Elisabeth Schulte. „Dann er hat ihn uns als Weihnachtsstollen präsentiert.“ Als Geschenk hatte sie außerdem oft die Kleidung ihrer älteren Geschwister bekommen, genauso wie ihre Mitbewohnerin Elfriede Schröder. Enttäuscht war diese aber nie darüber. „Ich war nie mit einem Geschenk unzufrieden, auch später nicht, als ich erwachsen war.“ Der gleichen Meinung ist Elisabeth Schulte. „Manchmal war die Kleidung noch etwas zu groß für mich und ich musste erst noch reinwachsen. Aber das war schon okay. Außer Hunger und Läusen hatten wir nicht viel“, sagt Elisabeth Schulte und erntet ein paar Lacher.
Eine Sache haben die Senioren durch den Krieg und die Nachkriegszeit gelernt: So etwas darf sich nicht wiederholen. Der Meinung ist auch Martin Mischkowsky. „Unsere Generation kann sich das in keiner Weise vorstellen, wie es damals war. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir diese Geschichten nicht vergessen.“
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