Sechs Sprachenworkshops bietet die Volkshochschule (VHS) Selm am Samstag, 23. September, zum Internationalen Sprachentag um 16 Uhr im Bürgerhaus Selm, Willy-Brandt-Platz, an. Das Besondere: Von den sechs Dozentinnen sind drei ehemalige Teilnehmerinnen der Integrationskurse der VHS Selm. „Damit ermutigen wir unsere Teilnehmerinnen, an ihren mitgebrachten Kompetenzen anzuknüpfen“, sagt Manon Pirags, Fachbereichsleiterin für Fremdsprachen und Deutsch. Aus Betroffenen Beteiligte zu machen, das ist ihr Ziel.
Tetiana Shelestovska wird an diesem Tag einen Workshop in Ukrainisch geben. Die Mutter eines Sohnes hat in ihrem Leben schon viele Neuanfänge gestartet. Nach der Schule habe sie zwei Diplome zur Lehrerin in der Ukraine gemacht – eines an der Fachschule, ein zweites an der Universität, erzählt sie. Zunächst habe sie an einer Grundschule unterrichtet. Doch nach dem erfolgreichen zweiten Abschluss erging es ihr wie in den 1980er-Jahren vielen Lehramtsabsolventen auch in Deutschland: Es gab viele ausgebildete Lehrer und wenig Stellen. Ihr Nachbar, Leiter des mit Deutschland vergleichbaren Jobcenters, habe sie gefragt, ob sie nicht in die Verwaltung einsteigen wolle.
In den Folgejahren arbeitete sie in der Arbeitsvermittlung, der Rentenversicherung und dem Finanzamt. „Nicht zu arbeiten kam für mich nie in Frage.“ Nach der Geburt ihres Sohnes erfüllte sie sich einen Traum – ein eigenes Geschäft. Und dazu, hinter ihrem Haus, ein eigener Garten. Denn ihre Hobbys sind Blumen, Zeichnen und zu unterrichten.
Alles hinter sich gelassen
Bis zum 10. März 2022 lebte sie mit ihrem Mann und Kind glücklich in der Ukraine in der kleinen Stadt Jaschkiw, etwa 100 Kilometer von Kiew entfernt Richtung Süden. Dann entschied sie sich aufgrund des Krieges, alles hinter sich zu lassen – und nach Deutschland zu gehen. „In guten Zeiten war das immer mein Traum: Deutschland zu bereisen.“
Nach einem Jahr im Integrationskurs muss sie noch etwas mit der deutschen Sprache kämpfen – aber verliert dabei nie die Freude. „Und davon möchte ich etwas zurück geben.“ Denn Unterrichten und ihre Muttersprache seien ihr ein Herzensanliegen.
Wenn Sie sich nicht um ihren Sohn kümmert, der in die Overbergschule geht und sie bereits manches Mal im Deutschen korrigiert, arbeitet Tetiana Shelestovska bei Blumen Ahland. Und hat sich damit auch wieder einen Traum erfüllt – ihr Hobby zum Beruf zu machen. „Ich bin es gewohnt, Schwierigkeiten zu überwinden“, sagt sie und lacht dabei.

Michelle Fernandez Perez wird während des Sprachentags an der VHS Selm einen Spanisch-Workshop geben. Auch sie ist über einen Integrationskurs in Selm dazu gekommen. Von Venezuela über Kolumbien nach Deutschland – das ist die Auswanderungsgeschichte der 21-Jährigen.
Geboren und aufgewachsen in einem kleinen Ort in den Anden Venezuelas, in 4000 Metern Höhe, muss sie früh erleben, wie die wirtschaftliche Situation in ihrem Heimatland immer schlechter wird. Um ihre Familie, die ältere Schwester und sie zu ernähren, siedeln ihre Eltern über mehrere Monate nach Kolumbien über, als Michelle Fernandez Perez gerade 14 Jahre alt ist. Sie bleibt in ihrem Heimatort, geht weiter zur Schule und muss früh lernen, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen, ihren Alltag zu meistern. Als sie mit 16 Jahren ihr Kind erwartet, fährt sie zu ihren Eltern nach Kolumbien. 600 Kilometer Weg werden zu einer strapaziösen Reise, die mehr als 25 Stunden für die junge Schwangere dauert.
In Kolumbien lernt sie etwas später einen jungen Deutschen kennen, über zwei Jahre haben sie Kontakt, aus der Freundschaft wird mehr und es stellt sich die Frage, ob und wie eine gemeinsame Zukunft aussehen kann. „In Kolumbien oder Venezuela gab es dafür keine Option“, erzählt sie. Michelle Fernandez Perez wagt den Schritt und wandert mit ihrem Sohn zu ihrem späteren Mann nach Olfen aus.
Nichts tun ist unvorstellbar
Durch Online-Kurse, unterstützt von ihrem Mann und schließlich durch einen Integrationskurs an der VHS Selm lernt sie Deutsch und schließt mit Bestergebnis das Niveau B1 ab. Um selbständig zu sein, sucht sie sich früh zwei Jobs – was nicht so einfach ist, wie sie dachte. Da ihr Sohn mittlerweile einen Kita-Platz hat, kann sie in einer Bäckerei und auf einem Bauernhof arbeiten. „Ich wollte mein eigenes Geld verdienen, um einen Führerschein machen zu können.“
Parallel lernt sie weiter Online, um bald das Niveau B2 und später C1 zu erreichen. Ihr Ziel ist es, eine Ausbildung zu beginnen, vielleicht als Zahntechnikerin oder in einem anderen Handwerk. „Später kann ich mir auch ein Psychologie- oder Politikstudium vorstellen“, sagt sie. Denn gerade Politik sei ihr Hobby.
Auch wenn sie selbst noch keine Lehrerfahrung hat, möchte sie in dem Workshop gerne einen Einblick in das lateinamerikanische Spanisch und in ihr Heimatland Venezuela geben. „Nichts zu tun, ist für mich unvorstellbar“, sagt Michelle Fernandez Perez. „In meinem Land hilft niemand, man muss sich immer selbst helfen.“
Tetiana Shelestovska und Michelle Fernandez Perez freuen sich auf viele Menschen, die am Samstag, 23. September, mal probieren wollen, ein paar Worte und Sätze Ukrainisch oder Spanisch zu lernen. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich dabei für diese Menschen ihr nächster Job: Unterricht zu geben bei der VHS Selm.
Wer am Samstag, 23. September, von 16.15 bis 17 Uhr Uhr an einem 45-minütigen, kostenfreien Workshop teilnehmen möchte, kann sich anmelden unter Tel. 02592/696800 oder www.vhs-selm.de.
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