Heinz Cymontkowski gehört zu den wenigen, die laut gegen das Bauvorhaben an der Kreisstraße Position beziehen - und das schon seit fünf Jahren.

Heinz Cymontkowski gehört zu den wenigen, die laut gegen das Bauvorhaben an der Kreisstraße Position beziehen - und das schon seit fünf Jahren. © Sylvia vom Hofe

Heinz Cymontkowski: Bevorstehender Abriss in Selm „tut mir einfach weh“

rnFlächennutzungsplanänderung

Seitdem die Stadt 2017 acht Häuser an der Kreisstraße gekauft hat, ist keine Ruhe eingekehrt. Sind Abriss und Neubau vernünftig? Einer, der seit fünf Jahren „Nein“ sagt, ist Heinz Cymontkowski.

Selm

, 30.06.2022, 21:31 Uhr / Lesedauer: 3 min

Bei Sonnenschein strahlen die blassen Farben manchmal wieder. Und die Ornamente der Stuckfassade bekommen im Spiel von Licht und Schatten eine lebhafte Struktur. Dann lässt sich für einen Moment vergessen, dass die acht Häuser an der Kreisstraße seit dem Jahreswechsel 2021/22 leer stehen. Und einige Fenster schief in den Angeln hängen. Bei schönem Wetter lässt sich gerne glauben, was Heinz Cymontkowski sagt: „Die Kreisstraße hier war einmal so etwas wie die Selmer Kö“: eine Flaniermeile in den 1920er-Jahren, gesäumt von repräsentativen Wohn- und Geschäftshäusern. Die Mehrheit des Stadtrates hat einen Schlechtwetter-Blick auf die Häuser. Sie sieht nur Bruchbuden, die möglichst schnell für Neues weichen sollen. In der jüngsten Ratssitzung fiel dazu der passende Beschluss - zu Cymontkowskis Bedauern.

Heinz Cymontkowski ist ein Deutschland weit tätiger Maler und Objektkünstler Vor allem ist er aber eines: ein waschechter Selmer aus der Zechensiedlung, „dem etwas an seiner Heimatstadt liegt“, wie er sagt. Deshalb lässt es ihm keine Ruhe, wie sich Selm seit einigen Jahren verändert - jetzt an der Kreisstraße. Dass der Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause für die Änderung des Flächennutzungsplans „Zentrum - Kreisstraße Süd-West“ gestimmt hat, hält er für einen Fehler, wie Cymontkowski nicht müde wird zu sagen. Andere, die das vor Jahren genauso kritisch sahen, haben sich dagegen inzwischen mit dem Bauprojekt abgefunden, das seit fünf Jahren so stark in Selm polarisiert wie nur wenige andere Maßnahmen. Wieder andere haben es von Anfang an unterstützt.

Piekenbrock: Zustimmung „mit der Faust in der Tasche“

Jürgen Walter, Vorsitzender der SPD-Fraktion, gehört zu den Letzteren. „Wir reden hier von absoluten Schrott-Immobilien“, sagte er. Das sei vor fünf Jahren auch schon so gewesen. Bei Ralf Piekenbrock hörte sich das anders an. Der Vertreter der Familienpartei im Rat blickte noch einmal zurück im Zorn. Dass die Stadt 2017 darauf verzichtet habe, ein Gutachten erstellen zu lassen über den Zustand der Gebäude, „grenzte an Blödsinn“ sagte er. Immerhin: Die Zustimmung zur Flächennutzungsplanänderung - also zum nächsten Schritt auf dem Weg zu einer neuen, modernen Häuserzeile an Stelle der alten - gab die Familienpartei aber doch: „Mit der Faust in der Tasche.“

Die Häuser an der Kreisstraße in Selm stehen jetzt leer. Wann sie abgerissen werden, steht noch nicht fest.

Die Häuser an der Kreisstraße in Selm stehen jetzt leer. Wann sie abgerissen werden, steht noch nicht fest. © Marie Rademacher

Die UWG und die Grünen blieben bei der Ablehnung. „Wir waren von Anfang an dagegen“, sagte Hubert Seier (UWG). Dass die Stadt 4,2 Millionen Euro für den Kauf der alten Häuser Kreisstraße 68 bis 84 ausgegeben hatte, sah er genauso kritisch wie den Verkauf an den Bauträger Ten Brinke per Erbpachtvertrag. 2,6 Millionen Euro seien dabei verbrannt worden.

CDU-Fraktionsvorsitzende: „Zahnpasta nicht zurückdrücken“

Die CDU warnte dagegen davor, die ganze Diskussion noch einmal von vorne zu beginnen. Die Argumente seien hinlänglich bekannt, sagte Fraktionsvorsitzende Claudia Mors. Jetzt noch einmal von vorne zu beginnen, wäre, als wolle man Zahnpasta zurück in die Tube drücken: Zeitverschwendung.

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Das mögen sich auch Selmer Bürgerinnen und Bürger gesagt haben. Zur Flächennutzungsplanänderung waren keine Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit eingegangen, wie den Sitzungsunterlagen zu entnehmen war. Nur Behörden hatten sich geäußert - etwa der Kreis Unna, der mitteilte, dass entgegen erster Annahmen doch keine Wäscherei im Haus Nummer 84 war, sondern nur eine Annahmestelle. Mit Altlasten sei also nicht zu rechnen.

Ten Brinke beginnt, wenn Baugenehmigung vorliegt

Das Unternehmen Ten Brinke will die inzwischen leer stehenden Häuser abreißen, sobald eine Baugenehmigung vorliegt. Die jetzt beschlossene Flächennutzungsplanänderung bietet lediglich den Rahmen dafür. Bis die Abbruchbagger rollen, damit ein Neubau für dm und Netto entsteht mit 20 Wohnungen im Obergeschoss, kann es also noch Monate dauern: Zeit, die Heinz Cymontkowski bleibt, um Abschied zu nehmen von den Häusern, die Selm unverwechselbar gemacht hatten, wie er sagt. Entstanden war die Häuserzeile, als Selm den kurzen Bergbau-Boom erlebte und über Nacht von einem Dorf mit 4000 Einwohnern zu einer Stadt mit 18.000 Menschen gewachsen war. „Hier gab es einen Spielzeugladen, einen Schreibwarenladen und mehrere Metzger, ein Kino, Gaststätten ...“

So soll die neue Häuserzeile aussehen. Manche hat der Entwurf von Ten Brinke mit dem Vorhaben versöhnt, andere wie Heinz Cymontkowski bleiben bei ihrer ablehnenden Meinung.

So soll die neue Häuserzeile aussehen. Manche hat der Entwurf von Ten Brinke mit dem Vorhaben versöhnt, andere wie Heinz Cymontkowski bleiben bei ihrer ablehnenden Meinung. © Ten Brinke

Heinz Cymontkowski weiß, dass seine Kritik nicht überall gut ankommt. Er solle sich doch einfach mal abfinden mit den Gegebenheiten, hört er oft. Schließlich gehe es doch darum, Investoren nach Selm zu holen. „Wenn es nur noch darum geht und nur noch die mitreden dürfen, die das Geld bringen, ist es traurig“, sagt der Künstler, der sich nicht nur mit dem Abschied von der alten Bausubstanz schwer tut, sondern auch mit der neuen. „Dafür haben wir doch inzwischen genügend Beispiele: Alles ähnelt sich, es gibt nichts Typisches mehr.“ In Bremen und Berlin, wo er oft beruflich unterwegs ist - Cymontkowski lebt und arbeitet in Selm, Lünen, Bremen und auch im Dorf Teufelsmoor - müssten leider auch alte Häuser mit Charme Platz machen für neue Gebäude. Das sei zwar genauso falsch, falle in einer Großstadt aber nicht so sehr auf wie im kleinen Selm.

Sven Klagge, Niederlassungsleiter von Ten Brinke in Münster, hofft dagegen, dass der Entwurf für die neue Bebauung die Selmerinnen und Selmer versöhnt mit dem Bauprojekt. Von einer Planung von der Stange könne da nicht die Rede sein.

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