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Hasen zu Ostern 2022: Naturschützer und Jäger sorgen sich um Meister Lampe
Ostern
Hasen gibt es massenhaft zu Ostern - zumindest aus Schokolade und Plüsch. Ihre Vorbilder aus Fleisch und Blut machen sich dagegen rar. Tierschützer und Jäger sind gleichermaßen besorgt.
Heinz-Georg Mors ist ein genauer Beobachter. Wenn er zuhause in der Selmer Bauerschaft Westerfelde seinen Blick über Wald und Feld schweifen lässt, entgeht ihm nichts. Auch nicht der graue Maulwurfshügel hinten auf dem Acker. Maulwurfshügel? Mors schmunzelt. Er weiß: Der vermeintliche braune Erdhaufen ist quicklebendig: ein Feldhase, der sich bewegungslos mit angelegten Ohren an den Boden drückt - typisch Angsthase: ein Verhalten, wenn Gefahr droht. Und die droht Meister Lampe und seiner langohrigen Sippe seit Jahrzehnten - mit drastischen Folgen.
Die Bestände des Feldhasen haben seit den 1980er-Jahren um 75 Prozent abgenommen, wie der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) berichtet. Das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) beauftragte Rote-Liste-Zentrum in Bonn führt den Feldhasen in der Roten Liste der Säugetiere mit der Kategorie „Gefährdet“ auf. Zwar bewegen sich die Bestandszahlen seit einigen Jahren auf einem stabilen Niveau, gelten aber insgesamt als zu niedrig. Daran ändert auch der leichte Aufwärtstrend nichts, den der Deutsche Jagdverband (DJV) passend zu Ostern 2022 verkündete.
Leichter Aufwärtstrend passend zu Ostern 2022
Danach hoppelten im Frühjahr 2021 in Deutschland durchschnittlich 16 Hasen pro Quadratkilometer: zwei Tiere mehr als noch bei der Zählung 2020. Das sei einer der höchsten Werte seit Beginn der bundesweiten Erhebung vor rund 20 Jahren: ein Aufwärtstrend, der sich laut DJV 2022 durchaus fortsetzen könne - immerhin. Ein Durchbruch ist das aber noch nicht. Denn dafür war der Niedergang von Meister Lampe zu drastisch.
Das Rote-Liste-Zentrum sieht die Zäsur schon vor 150 Jahren. „Die immer intensivere Landwirtschaft führte zum Rückgang der Brachen und anderer wertvoller Lebensraumstrukturen. Die Auswahl an Nahrungspflanzen verringerte sich, Feldhasen fanden immer weniger Schutz vor nasskalter Witterung und natürlichen Feinden wie Füchsen, Raben- oder Greifvögeln.“ Von den Feinden auf zwei Beinen haben sie indes zuletzt immer weniger zu befürchten gehabt.
Jäger schonen Hasen freiwillig
„Hasen werden kaum bejagt“, sagt Heinz-Georg Mors, der selbst Jäger ist. Zwar ist die Jagd auf die bedrohten Langohren zwischen dem 16. Oktober und dem 31. Dezember grundsätzlich erlaubt. So lange es den grau-braunen Mümmelmännern so schlecht gehe, werde davon kaum Gebrauch gemacht, sagt Mors. Dem Nabu reicht eine solche eigenverantwortliche Rücksichtnahme nicht. Der Naturschutzbund wünscht sich, dass Arten, „die in den Roten Listen der Bundesländer geführt werden oder deren Bestände eine nachhaltige Nutzung nicht ermöglichen, in diesen Ländern ganzjährig zu schonen“ seien.

Ein Feldhase (Lepus europaeus) duckt sich ganz flach auf dem Boden: typisch Angsthase. © picture alliance / dpa
Bundesweit waren 2020/21 145.282 Hasen zur Strecke gebracht worden, wie der Deutsche Jagdverband mitteilt. Zehn Jahre zuvor waren es noch zweieinhalbmal so viele. In NRW fiel der Rückgang noch deutlicher aus: von 126.944 Hasen vor zehn Jahren auf 28.957 im vergangenen Jahr.
Blühstreifen und Wildacker
Michael Garbe hat schon lange keinen Hasen mehr gejagt. Der Obmann für Natur und Umwelt bei der Kreisjägerschaft Unna lebt zwar in Kamen. Seine Reviere sind aber in Bergkamen-Heil, rund um die Biologische Station, und „hinter Mutter Stuff“, wie er sagt: also zwischen Werne, Cappenberg und Südkirchen. Von einer Verbesserung der Situation, wie sie laut DJV bundesweit zu beobachten ist, hat er noch nicht viel beobachtet. „Wie soll das auch gehen“, sagt er. Zwar gebe es Dank des Engagement der Landwirte immer mehr Blühstreifen, aber die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ließen sich damit nicht umkehren. Dafür bräuchte es mehr Flächen, die aus der Produktion genommen würden. Das wäre Landwirten aber nur möglich, wenn Ausgleichszahlungen den Verzicht auskömmlich machten.
Der 46-jährige Garbe hat mit 18 Jahren den Jagdschein gemacht. „Meinen Vater habe ich aber schon länger begleitet.“ Und dabei die Natur beobachtet. Daher warnt er vor falschen Schlüssen. Wer zurzeit mehrere Hasen an einer Stelle beobachtet und das sogar tagsüber dürfe sich nicht vorschnell freuen über eine vermeintliche Entspannung der Lage. „Zurzeit feiern die Hasen Hochzeit.“ Oder in der Jägersprache: „Es ist Rammelzeit.“ Dabei kommen die teilweise weit entfernt voneinander lebenden Einzelgänger in Gruppen zusammen, und es geht zur Sache - im Faustkampf.
Die Häsin hat die Wahl bei der Hasenhochzeit
Während der eigentliche Akt innerhalb von Sekunden zu Ende ist, nimmt das Vorspiel viel Raum ein. Die Häsin ist daran nur als Zuschauerin beteiligt. Um ihr zu gefallen, müssen die Rammler zeigen, wie stark und schnell sie sind. Sie jagen und schlagen einander, bis Frau Hase sich unter den Kandidaten ihren Favoriten auswählt - fürs erste. Denn sie wird in diesem Jahr noch öfter wählen, sogar, während sie bereits trächtig ist: ein Trick der Natur. Frau Hase kann Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsstadien zeitgleich in der Gebärmutter tragen - in der Fachsprache Superfötation genannt.
Vermehren wie die Karnickel: Das trifft auch auf Wildkaninchen und Hasen zu. Bis zu sieben Würfe mit bis zu fünf Jungen kann ein Weibchen pro Jahr austragen. Ihre Babys sind anders als die der Kaninchen weder nackt noch blind. Der Feldhasennachwuchs wird nach 42 Tagen behaart und sehend geboren und muss auch deutlich früher selbstständig werden. Vier bis fünf Wochen lang säugt die Mutter sie - aber immer nur für einige Minuten, nicht weil sie eine Rabenmutter wäre, sondern aus Vorsorge: Mama Hase will es vermeiden, Feinde auf die Spur ihrer Kinder zu setzen. Denn die haben es auch so schon schwer genug.
Hohe Sterblichkeit der Hasenkinder
„Nur 10 bis 40 Prozent überleben pro Jahr“, teilt das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) mit. Neben Straßenverkehr und Räubern sorgen vor allem Krankheiten dafür, dass sie den ersten Winter nicht überleben. Seit den 1960er-Jahren ist bekannt, dass vor allem die Junghasen unter drei Infektionserkrankungen leiden: Kokzidiose, Yersiniose und Pasteurellose. Auch Magen- und Darmwürmer befallen die Hasenkinder. Heinz-Gerg Mors macht sich aber vor allem wegen einer anderen Krankheit Sorgen: die Hasenpest oder auch Tularämie. Das ist eine meldepflichtige Krankheit, die auch dem Menschen gefährlich werden kann. „Noch“, sagt der Selmer, „ist sie nicht bei uns“. Aber denkbar nah dran.
Vor fast genau einem Jahr waren in Werne zwei Fälle von Hasenpest aufgetreten. Das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt Westfalen in Arnsberg hatte die im April 2021 tot aufgefundenen Tiere untersucht und bestätigt: Es handelt sich tatsächlich um diese bakterielle Erkrankung.
Die Sorge um die Hasenpest
Wie das Lanuv bestätigt, greift die Seuche besonders im Münsterland, in der Soester Börde und in Ostwestfalen-Lippe um sich. Menschen können sich etwa durch das Berühren von infizierten Tieren, durch den Verzehr von ihrem Fleisch, durch Zeckenbisse oder auch durch das Einatmen von infektiösem Staub anstecken und schwer erkranken, wie das Friedrich-Loeffler-Institut berichtet.
Pflanzenschutzmittel und andere Umweltchemikalien setzen den Hasen ebenfalls zu. Wie genau, sei noch nicht ausreichend untersucht, teilt das Lanuv mit. Für Mors und Garbe braucht es keine Studie. Ein Zusammenhang sei offensichtlich. Allein schon deshalb, weil den Tieren ihre „Hasenapotheke“ fehle, wie Garbe sagt: Wildkräuter, die ursprünglich eine wichtige Rolle für die gesunde Ernährung der Tiere spielten.

Heinz-Georg Mors öffnet an diesem Heiligabend 2021 mit Freunden die Tür zum Bürgerhaus. © Sylvia vom Hofe
Heinz-Georg Mors lässt den als Maulwurfshaufen getarnten Osterhasen in Ruhe. Er weiß, wann er ihn in Aktion beobachten kann: am Abend und in den frühen Morgenstunden. Dann spurtet der rund 50 Zentimeter große und um 5 Kilogramm schwere Meister Lampe mit bis zu 70 Stundenkilometern über das Feld, schlägt Haken und freut sich des Lebens - hoffentlich noch lange.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
