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Grüne sehen auch Selmer Themen als Ursache für Europawahl-Ausgang - anders als die SPD
Europawahl
17,4 Prozent für die AfD: Nirgendwo sonst in Selm haben so viele für die Rechtsaußen gestimmt wie im Wahllokal Heimatverein. St. Josef folgt mit 16,7 Prozent: beides einst SPD-Hochburgen.
Am Tag nach der Europawahl herrscht Katerstimmung bei den beiden einstigen Volksparteien. Die Grünen freuen sich dagegen ausgelassen. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.
? Die SPD hat in Selm bei der Europawahl 14,56 Prozentpunkte eingebüßt. Wie schlecht ist das? Noch etwas schlechter als bundesweit. Die SPD hat in Deutschland 11,5 Prozentpunkte verloren und ist auf 15,8 Prozent herabgefallen. In anderen Kommunen des Kreises haben die Wählerinnen und Wähler die SPD noch stärker abgestraft: allen voran Bergkamen. Dort verzeichnen die Sozialdemokraten ein Minus von 22,6 Prozentpunkten.
? Was sagt die Selmer SPD dazu? Der SPD gelinge es nicht ausreichend, deutlich zu machen, für was sie stehe in der Bundesregierung, sagt Thomas Orlowski, der Fraktionsvorsitzende der SPD. Jüngstes Beispiel: die Grundrente. „Ein gutes Thema, aber nicht mit der letzten Konsequenz durchgesetzt.“ Auch Andreas Kilian, Vorsitzender der SPD Selm, befürchtet, „dass uns die Groko nicht guttut.“. Beide Selmer Sozialdemokraten sind sich einig, dass „die Kommunalpolitik bei dieser Wahl nicht entscheidend war“.
? Und was ist mit dem Erstarken der AfD? „Ich bin erschrocken“, sagt Thomas Orlowski. Die Rechtsaußen haben ihr Ergebnis in Selm verdoppelt und landeten auf 10,5 Prozent - immerhin leicht über dem Kreisergebnis von 9,8 Prozent. „Ich denke, das ist ein europaweites Phänomen“, sagt Andreas Kilian. Der befürchtete Rechtsruck in der EU ist zwar ausgeblieben, aber dennoch seien die Rechtsnationalen sehr präsent. Allerdings nicht persönlich. „Ich führe viele Gespräche in meiner Nachbarschaft“, so Orlowski, der da wohnt, wo Selm den höchsten AfD-Wert verbucht, „aber bislang hat mir niemand gesagt, dass er sich für die AfD stark machen wolle oder sie wähle“. Dass es sich bei den blauen Schwerpunktregionen um einstige, von Arbeitern geprägten SPD-Hochburgen handelt, empfindet er als „sehr schmerzhaft“: ein Denkzettel für die Volksparteien.
? Die Grünen sehen durchaus einen Zusammenhang mit der Kommunalpolitik. Warum? Die Sorge um das Klima, die insbesondere junge Leute umtreibe, sei ein großer Faktor für den Wahltriumph der Grünen, die ihr Ergebnis in Selm mehr als verdoppelt haben auf 19,1 Prozent (kreisweit sind es sogar 20,8), meint Marion Küpper, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Aber die Unzufriedenheit mit der Situation in Selm spiegele sich auch darin wieder. „Viele erleben hier, wie hier in der Stadt die Mitte zubetoniert wird und sie keine Gelegenheit haben, diesen Prozess mitzugestalten“, sagt Küpper. Dass in Cappenberg jeder Vierte sein Kreuz bei den Grünen gemacht habe, sieht sie auch lokal bedingt. Die Diskussion über Baugebiete, für die Wald gerodet werden solle, habe das bestimmt beeinflusst.
? Kann sich die CDU in Selm freuen? Ja und nein. Die CDU ist stärkste politische Kraft in Selm geworden - wie auch schon bei der Bundestagswahl 2017. Kreisweit liegt nach der Europawahl immer noch die SPD knapp vorne. Wirklich freuen will sich CDU-Vorsitzender Michael Zolda darüber aber nicht. Dafür sei der Verlust von fast sechs Prozentpunkten zu groß. Die CDU liegt bei 29 Prozent - nahezu auf dem Bundeswert.
? Wie haben die Linke und die FDP abgeschnitten? Die Linke, die in Selm auf 3,2 Prozent der Stimmen kommt, hat ihren Anteil halbiert . Die Liberalen haben dagegen genauso viel dazu gewonnen wie die Linke verloren haben. Sie kommen jetzt auf 6,4 Prozent -und liegen damit hauchdünn über dem Bundeswert.
? Und wie haben die kleinen Parteien abgeschnitten? 213 Selmerinnen und Selmer (1,8 Prozent) zeigten Humor und wählten Martin Sonneborns Satirepartei, die drei Sitze im EU-Parlament gewonnen hat. Die zweitstärkste Partei unter den Kleinen wurde in Selm die Tierschutzpartei (1,7 Prozent) vor der Familienpartei (1,6 Prozent). Helmut Geuking aus Billerbeck wird nach Brüssel pendeln können.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
