Geheimnis der Wespen: Wie hartnäckig eine Königin für ihren Staat kämpft

© Sylvia vom Hofe

Geheimnis der Wespen: Wie hartnäckig eine Königin für ihren Staat kämpft

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Der Hochsommer ist Hochsaison für Wespen. Dann ist ihr Nest zu einem Palast für einen ganzen Staat angewachsen - im Idealfall. Bei einer kleinen Königin aus Langern lief es nicht so gut.

Selm, Lünen, Werne

, 01.08.2021, 19:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Augen funkeln wütend. Und das heißt etwas bei einer Wespe. Denn wie alle anderen Insekten hat sie Facettenaugen, die aus vielen kleinen Einzelaugen zusammengesetzt sind - und damit die Empörung vervielfachen. Das aufgebrachte Tier ist nicht irgendwer, sondern eine echte Königin. Allerdings eine ohne Staat. Und das jetzt: mitten im Sommer, wenn andere Königinnen - umsorgt von 300 bis 4000 Nachkommen - schon lebenssatt an den Ruhestand denken. Da kann man schon aus der Haut fahren. Insbesondere als Vertreterin der Ordnung der Hautflügler.

Die vier durchscheinenden, häutigen Flügel - daher der Name - hat die kleine Königin zusammengefaltet. Gerade noch war sie mit ihren sechs Beinen immer wieder auf und ab marschiert, mit bebenden Fühlern. Kaum hat sich aber die Kamera auf sie gerichtet, verharrt sie unbeweglich und mustert das seltsame Gegenüber. Dabei scheint sie hinter dem Objektiv zweifellos das Wesen identifiziert zu haben, dem sie ihre Misere zu verdanken hat. Dabei hatte es wenige Wochen zuvor so gut begonnen für sie.

Eine Arbeiterin lebt nur drei Wochen

Das Haus mit dem Holzschrank auf der Terrasse wird die kleine Königin schon lange gekannt haben. Lange heißt bei Wespen: seit dem vergangenen Jahr. Und das ist schon ein echtes Privileg für eine Wespe, das nur einer Königin zu Teil wird. Arbeiterinnen werden höchstens drei Wochen alt. Drohnen, also die männlichen Tiere, bis zu 30 Tage. Königinnen sind die einzigen, die den Winter überleben und auf ein ganzes Lebensjahr kommen. Wenn es denn gut läuft.

Dieses Nest stammt von der größten Wespenart in Deutschland: von Hornissen. Die Hornissenkönigin hat in einem Schuppen gebaut, den Menschen selten benutzen - anders als den Schrank auf der Terrasse, einige Meter weiter.

Dieses Nest stammt von der größten Wespenart in Deutschland: von Hornissen. Die Hornissenkönigin hat in einem Schuppen gebaut, den Menschen selten benutzen - anders als den Schrank auf der Terrasse, einige Meter weiter. © Sylvia vom Hofe

Die kleine Königin aus Langern hatte zunächst gute Startbedingungen. Zusammen mit ihren Schwestern, die ebenso zu Großem berufen waren wie sie selbst, hatte sie im Spätsommer des Vorjahres ihr Heimatnest verlassen. Vorbei die Zeiten, als fleißigen Arbeiterinnen sie ernährt und gepeppelt haben und Drohnen sie umgarnten.

Ihr erster Sex wird der letzte bleiben. Die Drohne war gleich nach dem Akt gestorben. Und sie hat seitdem alles, was sie braucht: eine Samentasche mit ausreichendem Spermien-Vorrat für ein ganzes weibliches Volk. Für die männlichen Tiere bräuchte sie die gar nicht. Drohnen entstehen bei Wespen genauso wie bei den Bienen und Ameisen durch Parthenogenese: Jungfernzeugung. Partner sind nicht nötig.

Mit Frostschutz durch den Winter

Nachdem die kleine Königin allein auf sich gestellt war, gab es nur eines: Suchen., suchen, suchen. Ein Unterschlupf für den Winter musste her. Dunkel, trocken und sicher vor hungrigen Vögeln und Mäusen. Ihr ist es gelungen, etwas Geeignetes zu finden: vielleicht ein Reisighaufen oder eine Spalte in einer Baumrinde. Dort hat sie sechs Monate - geschützt durch eine Art Glykol als körpereigener Frostschutz - im Tiefschlaf zugebracht. Andere Königinnen hatten da weniger Erfolg.

„Von 10.000 Königinnen, die die Winterruhe angetreten haben, werden bis zum Frühjahr etwa 98 Prozent ihr Leben lassen“, sagt Peter Tauchert. Der hessische Berufsfeuerwehrmann ist Gründer der „Aktion Wespenschutz“.

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Im Frühsommer schien die Glückssträhne der kleinen Königin anzuhalten. Die Suche nach einem idealen Ort für ihr eigenes Nest führt sie ins Dreiländereck zwischen Wethmar, Langern und Cappenberg: zu dem Holzschrank auf der Terrasse. Als Dunkelhöhlennisterin, wie es offiziell heißt, hat sie es gerne schattig. Und Holz, das schon lange nicht mehr angestrichen wurde, ist ideal zum Nestbau. Eine dramatische Fehlentscheidung - finden zumindest die Menschen, die in dem Haus wohnen, auf der Terrasse essen und trinken und den Schrank regelmäßig benutzen müssen.

Wespen stehen unter Naturschutz

Wespen stehen unter Schutz. Bis zu 50.000 Euro können in Nordrhein-Westfalen fällig werden, wenn man Wespen ohne triftigen Grund fängt, verletzt oder tötet. Schließlich sind sie nützlich - auch für den Menschen. Auf ihrem Speiseplan stehen nach Angaben der Naturschutzorganisation Raupen, Blattläuse, aber auch Stechmücken, Bremsen und Spinnen. Ein einziges Wespenvolk schafft davon mehr als sieben Kilo. Ein Hornissenvolk - Hornissen sind die größte Wespenart in Deutschland - sogar 15 Kilo.

Der kleinen Königin will niemand nach dem Leben trachten. Als die Menschen ihre neue Nachbarin entdeckten, öffneten sie lediglich die Schranktür und setzten auf Einsicht. Sobald die kleine Königin merken würde, dass die vermeintlich dunkle Höhle in Wahrheit taghell ist, würde sie verstehen und sofort umziehen. Vergebens. Zwei Wochen lang hielt sie hartnäckig fest an ihrem Platz an der Sonne. Und an den gut 20 aus Holzbrei gebauten Waben. Eigentlich sollten dort längst die Arbeiterinnen herangewachsen sein und den Ausbau des Nestes zu stattlicher Größe übernommen haben, wie es die Hornissen im einige Meter entfernten Gartenschuppen vormachen. Dort Braucht sich die Königin nur noch aufs Eierlegen beschränken: ein Luxus, von dem die kleine wütende Königin nur träumen kann.

Nur 8 von 10.000 schaffen es

Was sie nicht weiß. Anderen Kolleginnen ist es noch schlechter ergangen. Sie hatten nicht nur gegen geöffnete Schranktüren zu kämpfen, gegen Fressfeinde, Parasitzen, Menschen, die verbotener Weise zur chemischen Keule greifen und manchmal auch gegen Kolleginnen, mit denen sie in Revierkämpfe verwickelt wurden: in jedem Fall ein Kampf mit tödlichem Ende. 92 Prozent aller Königinnen, die den Winter überstanden haben, gegen daran zu Grunde, wie Peter Tauchert sagt. Und selbst all denen, die es bis zur Staatengründung schaffen, ist nicht der friedliche Tod in der Wabe vergönnt.

Von den anfangs 10.000 Königinnen blieben statistisch gesehen gerade mal 8 übrig, die es schaffen, Nachkommen zu gründen. Die Augen der kleinen Königin funkeln zu Recht wütend. Und traurig.

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