Gedenken in der Synagoge Bork Die Vergangenheit ist wichtig für heute und morgen

Gedenken in der Synagoge Bork: Gestern ist wichtig für heute und morgen
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Der 9. November ist der Tag, an dem Menschen der Opfer der Reichspogromnacht 1938 gedenken, in der Nationalsozialisten Juden verfolgt, geschändet, ermordet haben. Um diese Gräueltaten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, versammeln sich auch in Selm - speziell in der Alten Synagoge in Bork - Menschen, um der Opfer zu gedenken. Aber nicht nur deswegen.

Auch am Mittwoch, 9. November, war das so. Es war eine Gedenkveranstaltung, getragen vom Arbeitskreis 9. November, der vor einigen Jahren aus den Bürgerinitiativen „Bürgergarten vor der Synagoge“ und „Initiative Jüdischer Friedhof“ hervorgegangen ist. „Das ist ein ganz kleiner Kreis an Ehrenamtlichen“, erklärt die stellvertretende Leiterin der Volkshochschule (VHS) Selm, Manon Pirags.

Aus diesem kleinen Kreis hatte sich Christel Gewitzsch erneut bereit erklärt, einen Blick auf jüdisches Leben zu werfen. So, wie sie es bereits vier Mal gemacht hat. Sie suche sich immer in vorheriger Absprache ein Thema, sagt Manon Pirags. Dieses Mal war es das Leben des deutschen Philosophen der Aufklärung, Moses Mendelssohn (1729 bis 1786), und seiner Familienchronik.

Manon Pirags, stellvertretende Vorsitzende der VHS Selm, unterstrich die Bedeutung von Gedenkveranstaltungen wie die in der Borker Synagoge.
Manon Pirags, stellvertretende Vorsitzende der VHS Selm, unterstrich die Bedeutung von Gedenkveranstaltungen wie die in der Borker Synagoge. © Jura Weitzel

Reiche jüdische Kultur

Warum der Gedenktag zum 9. November in Selm so gehalten wird, hat laut Manon Pirags folgenden Grund: Vor mittlerweile sieben Jahren haben sich die Aktiven der Bürgerinitiative, die sich um den jüdischen Friedhof und den Garten vor der Synagoge gekümmert hatten, damit auseinandergesetzt, warum immer nur zu Gedenktagen Reden geschwungen werden, aber die aktive Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem unwiederbringlichen Verlust der Kultur, der aus der Shoa erwuchs, so vernachlässigt wird.

„Aus diesem Grund gedenken wir in Selm am 9. November zum einen der Mitglieder der damaligen jüdischen Gemeinde in Bork, die am 9. November 1938 geschändet und verprügelt wurden und die in den drei Deportationszügen vom 13. Dezember 1941 bis Juli 1942 deportiert und im KZ ermordet wurden. Zum anderen aber werfen wir bewusst einen Blick auf die reiche jüdische Kultur, die in den vergangenen Jahrhunderten in Deutschland existierte und durch die Nazis vernichtet wurde.“

Dieses Konzept entspreche der historisch-politischen Bildungsarbeit der VHS, die davon ausgehe, „dass wir Antisemitismus und Fremdenhass nur entgegentreten können, wenn wir voneinander wissen, Denken und Handeln, das aus religiösem Glauben erwächst, verstehen und wertschätzen lernen“, führt die stellvertretende VHS-Leiterin im Gespräch mit der Redaktion aus.

Umso wichtiger seien solche Veranstaltungen wie am Mittwoch, 9. November, zumal an einem Ort wie der Borker Synagoge: „Wir können Antisemitismus und Fremdenhass nur durch Entlarvung falscher Behauptungen, durch Wissen um die verschiedenen Religionen, durch aktives Eintreten gegen Jahrhunderte alte Ressentiments und Vorurteile entgegentreten.“

Berührend

Nun war es ein kleiner Kreis, der sich in der Synagoge eingefunden hat. Ist das aus Sicht von Manon Pirags frustrierend? „Natürlich ist es schade, wenn nicht mehr Leute kommen – das sollte man aber nicht so verstehen, dass kein Interesse da ist oder die Wichtigkeit, diese Gedenktage auch weiter zu begehen, nicht bestünde.“

Die Atmosphäre jedenfalls war berührend. Im Anschluss an den Vortrag wird jedes Mal zum Gespräch bei Wein und Brot eingeladen. „Ganz im jüdischen Sinn, denn Gastlichkeit hat einen hohen Stellenwert in der jüdischen Religion“, erläutert Manon Pirags. So hätten alle Anwesenden noch über eine Stunde beisammen gestanden, hätten die Notwendigkeit von Veranstaltungen zu jüdischem Leben früher als auch heute explizit betont und der Arbeit der VHS im FoKuS Selm eine hohe Wertschätzung ausgedrückt. „Aus dem Kreis entstand der Wunsch, eine Gedenkstättenfahrt im kommenden Jahr anzubieten.“

1729 Geboren am 6. September in Dessau.

1735 Besuch der Talmud-Schule, Lektüre der Tora, Übungen in hebräischer Grammatik und Poesie.

1743 Umzug nach Berlin. Studium von Fremdsprachen, Philosophie und Mathematik.

1757 Herausgabe der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste mit Friedrich Nicolai.

1767 Phaedon, sein erfolgreichstes Buch erscheint.

1778 Gründung der Jüdischen Freischule, angeregt von Mendelssohn.

1783 Ehrenmitglied der Gesellschaft von Freunden der Aufklärung. Würdenträger der Jüdischen Gemeinde.

1786 Tod Moses Mendelssohns.

Rabbiner kommt nach Bork

Welches sind die nächsten Veranstaltungen der VHS in Sachen jüdisches Leben? „Für den 19. November sei eine Fahrt zur Steinwache in Dortmund geplant gewesen, die wahrscheinlich ins Frühjahr verschoben werde auf Wunsch einiger Anwesender bei der Lesung, die gerne mitgefahren wären, und da bislang es für den 19. November noch zu wenig Anmeldungen gibt“, sagt Manon Pirags. „Alle Interessierten sollen sich auf jeden Fall, unabhängig vom ursprünglich geplanten Termin, bei der VHS melden, sodass wir den neuen Termin per Brief und Mail absprechen können.“

In der Synagoge Bork stehe am Sonntag, 15. Januar 2023, mit Dr. Roman Salyutov die „Geschichte einer Geige“ (so der Arbeitstitel) im Vordergrund. Manon Pirags weiter: „Die Geige gehörte einem jüdischen Violinisten, der im KZ ermordet wurde und vor seiner Deportation die Geige einem Nachfahren schenkte mit dem Auftrag, ihre Geschichte zu erzählen. Über Umwege kam Dr. Salyutov in den Besitz dieser Geige, begab sich in die Erforschung um das Leben des Geigers und ist mit einem musikalischen Vortrag in Selm zu Gast.“

Am Sonntag, 12. Februar 2023, ist der zukünftige Rabbiner der jüdischen Gemeinde Münster, Levi Ufferfilge, in der Synagoge zu Gast und wird über jüdisches Leben heute, aber auch über aktuellen Antisemitismus sprechen und aus seinem Buch „Nicht ohne meine Kippa“ lesen.