Die Fakten zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge
Fragen und Antworten
In NRW gibt es für Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). Sie soll die medizinische Versorgung vereinfachen und die Kommunen entlasten. Doch viele Kommunen halten sich mit der Einführung bisher zurück. Wie ist der Stand in der Region, was soll die Karte bewirken und wie läuft es bisher? Fragen und Antworten.

Woher kommt die Idee zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge?
Die eGK ist eine Idee des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) Nordrhein-Westfalen. Eingeführt wurde sie Ende August 2015 in Kooperation mit mehreren Krankenkassen, darunter zum Beispiel die Knappschaft und die Techniker Krankenkasse.
Was soll die Karte bewirken?
„Mit der NRW-Gesundheitskarte schaffen wir die Voraussetzungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen und zur Entlastung der Kommunen“, erklärte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens. Nach dem neuen System sollen Flüchtlinge, sobald sie die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen haben und einer Kommune zugewiesen wurden, von der Krankenkasse die eGK zugesandt bekommen und sie von da an nutzen können.
Wie werden Flüchtlinge derzeit medizinisch betreut?
Wird ein Asylsuchender so krank, dass er zum Arzt muss, läuft es derzeit folgendermaßen: In den ersten Monaten - meist sind es 15 - seines Aufenthalts muss er bei der Kommune vorstellig werden und sich einen Behandlungsschein holen. Mit diesem muss er dann zum Arzt gehen, der Schein ist für ein Quartal gültig. Sind weitere Untersuchungen bei Spezialisten nötig, wird der Patient per Überweisung dorthin geschickt. Wenn nach dem Quartal noch eine Untersuchung ansteht, muss der Asylsuchende wieder beim Amt vorstellig werden und einen neuen Krankenschein abholen. Erst nach 15 Monaten erhalten Asylsuchende eine Versicherungskarte. Der zeitliche Aufwand ist also groß - sowohl für das Amt als auch für den Patienten.
Wer entscheidet im bisherigen Modell, ob ein Asylsuchender wirklich zum Arzt gehen darf?
Wie gesagt muss der Asylsuchende erstmal zur Kommune. Da entscheiden dann die Verwaltungsmitarbeiter, ob ein Arztbesuch notwendig ist - obwohl sie in der Regel keine medizinische Ausbildung haben. Auch darüber, welche Behandlungen später notwendig sind und wie dringend sie vorgenommen werden sollen, entscheiden nicht Arzt oder Krankenkasse, sondern die Kommune. Sie muss jede einzelne Arztrechnung prüfen.
Was würde sich also ganz konkret durch die Gesundheitskarte ändern?
Mit der Karte könnten Asylsuchende direkt zum Arzt gehen, wenn sie akut krank sind - wie jeder andere Mensch auch. Also kein vorheriges Warten auf dem Amt und kein Formulare-Ausfüllen seitens der Verwaltung. Und auch der Verwaltungs- und Prüfaufwand nach dem Arztbesuch entfällt für die Kommunen (bis auf ganz wenige Ausnahmen).
Dr. Hermann Steiger, langjähriger Chefarzt aus Hamm und Initiator des Arbeitskreises Flüchtlinge in Werne sieht den Vorteil vor allem darin, dass „durch die langwierige Prozedur dann keine Krankheiten mehr verschleppt werden“.
Er schildert ein Beispiel aus Werne: Ein junger Mann aus Südasien hat ein Augenleiden. Vom Sozialamt erhält er problemlos einen drei Monate lang gültigen Behandlungsschein für einen Arztbesuch. Damit ist es aber nicht getan. Der Augenarzt empfiehlt, einen Rheuma-Spezialisten hinzuzuziehen, „denn zwischen Rheuma und Augenleiden gibt es oft Wechselwirkungen“. Das Kreisgesundheitsamt, in dem ausschließlich Ärzte die Behandlungswünsche begutachten, wie Kreissprecherin Birgit Kalle betont, sieht das erst einmal anders. Erst nach Monaten – ein Auge ist inzwischen fast erblindet – setzt Steiger die Behandlung durch.
Viele Ärzte befürworten daher die Einführung - beispielsweise hat sich die Ärztekammer Nordrhein sich ausdrücklich dafür ausgesprochen.
Wer trägt die Kosten für die Gesundheitskarte?
Wo es die Gesundheitskarte bereits gibt, zahlen die Städte den Krankenkassen für jeden Patienten einen durchschnittlichen Abschlagsbetrag - dem Vernehmen nach sind es 200 Euro. Erst am Quartalsende wird genauer abgerechnet. Dass die Krankenkassen die tatsächlichen Kosten dann auch den Kommunen in Rechnung stellen, damit ist erst etwa mit einem Jahr Verzögerung zu rechnen - so erwartet es zumindest die Stadt Bochum. Angesichts dieses schleppenden Verfahrens müssten sich die Kommunen wohl auf Nachforderungen einstellen, die vom jeweiligen Haushalt dann gar nicht gedeckt werden können.
Wer entscheidet darüber, wo die Karte eingeführt wird?
Auf der MGEPA-Homepage heißt es, „jede einzelne Gemeinde entscheidet selbst, ob sie teilnehmen will“.
Doch in einzelnen Fällen versuchen sich die nicht kreisfreien Kommunen auf höherer Ebene zu koordinieren. „Wir müssen das kreiseinheitlich lösen“, erklärt beispielsweise Simone Kötter, Pressesprecherin der zum Kreis Unna gehörenden Stadt Lünen auf Nachfrage, „die Karte liegt nicht in den Planungen der Stadt“. Doch der Kreis Unna sieht sich nicht in der Verantwortung: „Die Beteiligung liegt in der Kompetenz der Städte, wir mischen uns da nicht ein“, so Birgit Kalle, stellvertretende Leiterin des Presseamtes Unna, „wir koordinieren oder moderieren da nichts – der Ball liegt bei den Städten und Gemeinden.“
Wo gilt die eGK bereits?
Mehrere Städte in NRW haben diese Karte bereits eingeführt, darunter Bochum, Bonn, Oberhausen und Münster – doch lange noch nicht alle. Stand Donnerstag, 21. Januar, waren es nach Angaben des MGEPA NRW 18 Kommunen in unserem Bundesland. Erfahrungen aus den Städten Hamburg und Bremen, die die Karte bereits vor NRW eingeführt hatten, zeigen, „dass es dort zu Einsparungen in der jeweiligen Verwaltung gekommen ist", so die Behörde.
In Dortmund, Castrop-Rauxel (Kreis Recklinghausen), dem Kreis Unna mit Lünen, Werne, Selm und Schwerte sowie im Kreis Coesfeld mit Olfen, Nordkirchen und Ascheberg wurde die Karte (noch) nicht eingeführt.
Warum zögern viele Kommunen?
„Die Städte im Kreis Unna sind nicht begeistert von der Idee“, erklärt Beate Lötschert, Abteilungsleiterin Wohnen und Soziales der Stadt Lünen. Sie fürchten, dass die Kosten höher sind als bisher. Auf Kreisebene haben die Vertreter der Kommunen das Thema ausführlich besprochen. Die Städte Unna und Schwerte hatten Berechnungen durchgeführt, die gezeigt haben, dass die Einführung der Gesundheitskarte Mehrkosten für die kommunalen Kassen zur Folge hätten. Daher wurde Abstand von der Einführung genommen.
Lötschert kann auch eine große Vereinfachung der Verwaltung nicht erkennen. Kordula Mertens, zuständige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Werne, stimmt dem zu. Die Entlastung für sie und ihre Kollegen durch die Gesundheitskarte wäre gar nicht groß – „das Ausstellen der Behandlungsausweise geht ruckzuck“.
Was ist also Stand der Dinge in unserer Region?
Bochum ist die einzige Kommune in der Region, die die Gesundheitskarte für Flüchtlinge eingeführt hat - beziehungsweise gerade dabei ist: 3000 Karten will die Stadt Ende Februar an die Betroffenen ausgeben. Woche für Woche werden Bochum 150 weitere Menschen zugewiesen. Das führte dazu, dass es Anfang des Jahres noch Anlaufschwierigkeiten gab.
Bei einer kalkulierten Anzahl von 3500 Betroffenen rechnete die Verwaltung mit Kosten in Höhe von 8,4 Millionen Euro, wie wir im November berichtet haben. Das wären 2 Millionen Euro mehr als im Vergleich zum bisherigen System.
Dortmund hat bereits im vergangenen Jahr eine Einführung abgelehnt. Die Stadt will die Kosten nicht tragen und nimmt hier den Bund in die Pflicht.
Lünen und Selm aus dem Kreis Unna sowie die Kommunen im Kreis Coesfeld - darunter Nordkirchen, Olfen und Ascheberg - haben ebenfalls eindeutig von der Einführung der Karte Abstand genommen, vor allem auf Grund der Kosten. Der Selmer Stadtsprecher Malte Woesmann teilte mit: „Die Nachteile (Thema Kosten) überwiegen, vor allem vor dem Hintergrund, dass Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keine Nachteile in der gesundheitlichen Versorgung haben." Zum Kreis Coesfeld äußerte sich Mechthild Kammert, Leiterin des Bereichs Bürgerservice und Soziales in Nordkirchen: Man sei sich einig gewesen, dass die Karte „keine besonderen Vorteile“ böte. Sie sei sogar teurer.
Auch Schwerte hat Einführungspläne vorerst verworfen: Die Grünen hatten im Herbst zwar einen Antrag auf Einführung gestellt, diesen dann aber zurückgezogen. „Die Rahmenbedingungen, die das Land gesetzt hat, stimmen einfach noch nicht“, so das grüne Ratsmitglied Reinhard Streibel. Die Pauschale von 200 Euro pro Flüchtling im Monat würde die aktuellen Kosten der Stadt für die Krankenversorgung der Kontingentflüchtlinge nahezu verdoppeln, rechnete der erste Beigeordnete Hans-Georg Winkler vor.
In Werne will der Sozialausschuss am 24. Februar, 18 Uhr, im Stadthaus am Adenauer-Platz entscheiden. Ende 2015 hatte der Ausschuss eine Entscheidung vorerst vertagt.
In Castrop-Rauxel will man noch abwarten, wie sich die Lage entwickelt - eine Einführung ist derzeit kein Thema.
Haltern wartet ebenfalls ab: „Die Stadt vertritt derzeit die Ansicht, die Gesundheitskarte nicht einzuführen, weil es für uns teurer werden würde. Wir sind aber offen und sehen diese Entscheidung nicht unbedingt als endgültig an“, so Pressesprecher Georg Bockey.
In Dorsten war eine Einführung bisher kein Thema.