
© Redaktion
Corona trotz Impfung: „Ich war ja am Wochenende noch unterwegs“
Coronavirus
Tim Weener aus Selm hat Corona trotz Impfung. Sauer auf Ungeimpfte ist er deswegen nicht, sagt er. Aber etwas würde er trotzdem anders machen, wenn er vorher von seiner Infektion gewusst hätte.
„Ich glaube, dass ich krank bin, das hört man schon“, sagt er am Telefon. Die Stimme hört sich tatsächlich kratzig an. Tim Weener aus Selm hat Corona. Trotz Impfung. Die Symptome: Ziemliche Kopfschmerzen, verstopfte Nase, inzwischen auch Husten. „Außerdem kann ich nichts riechen und schmecken. Ich hoffe, es wird nicht schlimmer“, sagt Tim Weener *. Neulich hat er in eine Zitrone gebissen. Einfach, um zu testen, ob er tatsächlich nichts schmeckt. Sein Fazit nach dem Biss in die saure Frucht: „Absolut nichts.“
Tim Weener hatte seine zweite Impfung im Juli bekommen. Theoretisch hätte er sich bald Gedanken über eine Booster-Impfung machen können. Das muss er nun erstmal nicht mehr. Immer mehr Menschen erkranken trotz einer vollständigen Corona-Impfung. Das ist kein Wunder, denn keiner der Impfstoffe schützt zu 100 Prozent vor einer Infizierung. Und da immer mehr Menschen geimpft sind, ist auch klar, dass unter den Neuinfektionen immer mehr Menschen sind, die zuvor keine Infektion durchgemacht haben.
Mehr Impfdurchbrüche bei mehr zirkulierenden Fällen
Das Robert-Koch-Institut erklärt auf seiner Seite unter anderem, dass es auch zu mehr Impfdurchbrüchen kommt, wenn es mehr aktive Corona-Fälle gibt: „Wenn es keine oder nur eine geringe Zirkulation des Erregers in der Bevölkerung gibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion, und damit auch die Zahl der Impfdurchbrüche. Vereinfacht gesagt: wenn der Erreger gar nicht zirkuliert, gibt es auch keine Impfdurchbrüche“, so das RKI.
Der Kreis Unna zählt am 25. November 1.455 aktive Fälle, deutlich mehr als noch vor einem Monat, als es noch 363 aktive Fälle waren. Die meisten gab es bisher am 1. Mai 2021 mit 2295 Fällen. Wie sieht es da mit Impfdurchbrüchen aus? Das Gesundheitsamt habe es zuletzt geschafft, diese Quote für die Kalenderwoche 45 zu berechnen, sagt Max Rolke vom Kreis Unna. Also die Woche vom 8. bis zum 14.11. Von 673 Neuinfektionen waren 129 Personen geimpft, 19,1 Prozent waren also Impfdurchbrüche. 80,8 Prozent der Infizierten waren demnach ungeimpft. Wie hoch aktuell die Impfquote im Kreis Unna sei, könne er gar nicht sagen, so Max Rolke, da Ärzte beispielsweise direkt an das RKI melden.
Wahrscheinlich bei der Familie angesteckt
Tim Weener gibt ungeimpften Menschen auch nicht die Schuld an seiner Erkrankung. Sauer sei er nicht, dass sich manche Menschen nicht impfen lassen wollen, sagt er. „Ich denke, bei den hohen Infektionszahlen ist es ganz normal, dass man sich überall anstecken kann“, sagt Weener. Er geht davon aus, dass er sich bei seinem Bruder angesteckt hat. Sein Bruder, dessen Frau und eine der beiden Nichten haben sich mit Corona infiziert. „Mitgebracht aus dem Kindergarten“, sagt Weener. Allerdings hatten die das Ergebnis schon am Dienstag der Vorwoche bekommen, Weener hatte daraufhin regelmäßig Schnelltests gemacht, die negativ waren. Er dachte, er hätte sich nicht infiziert. „Am Samstag ging es dann los“, sagte er. Ein Schnelltest am Sonntag ist positiv. Ein Test beim Arzt bestätigt ihm schließlich diese erste Diagnose: Er hat Corona.
„Ich habe schon viele Erkältungen gehabt“, sagt Weener. „Aber das ist schon was anderes.“ Vor allen Dingen der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sei unangenehm. Die anderen Symptome noch ertragbar. „Ich hoffe aber schon, dass es nicht schlimmer wird“, sagt er. Mit seinen 34 Jahren geht er von einem milden Verlauf aus. Immerhin stehen die Zahlen auf seiner Seite: Das RKI schreibt auf seiner Seite, dass die Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astrazeneca zu 90 Prozent vor schweren Krankheitsverläufen schützen, der von Johnson & Johnson zu 70 Prozent.
Ob er sich tatsächlich bei der Familie seines Bruders angesteckt hat? Zu 100 Prozent kann er das nicht wissen. Er war am Wochenende noch unterwegs, ist auch zur Arbeit gegangen. War unter vielen Menschen. Die Schnelltests waren ja negativ.
Quarantäne-Regeln nach Impfung nicht mehr so streng
Vor der Impfung waren die Quarantäne-Regeln strenger. Wer innerhalb einer bestimmten Zeitspanne direkten Kontakt zu infizierten Menschen hatte, musste direkt in Quarantäne. Aktuell gilt das nicht mehr. In Quarantäne muss laut Land NRW aktuell, wer einen positiven PCR-Testnachweis hat, wer in einem Haushalt mit einer Person lebt, die positiv ist - aber nur, wenn er oder sie nicht geimpft oder genesen ist. Oder, wenn Symptome und ein positives Schnelltestergebnis vorliegen. Personen, deren PCR-Test auf das Coronavirus SARS-CoV-2 positiv ausgefallen ist, und auf die Bestätigung durch einen PCR-Test warten.
Als die Quarantäne-Regeln im Frühjahr für Geimpfte gelockert wurden, ging das Robert Koch-Institut davon aus, dass vollständig gegen Corona Geimpfte das Virus nicht mehr übertragen können. Inzwischen weiß man aber, dass auch Geimpfte die Viruslast übertragen, wenn auch weniger lang als Ungeimpfte. „Die Delta-Variante hat leider die Eigenschaft, sich trotz der Impfung zu verbreiten“, sagte Virologe Christian Drosten jüngst in der Zeit. Die Pandemie sei deshalb keine reine Pandemie der Ungeimpften, wie sie zuvor zum Beispiel Gesundheitsminister Jens Spahn bezeichnet hatte.
Tim Weener lebt in einem Haus mit seinen Eltern. Auch der Vater hat sich mit Corona infiziert, die Mutter bisher nicht. Sie darf noch zur Arbeit gehen. Tim Weener hat seine Kontaktpersonen sofort beim ersten positiven Test informiert, auch den Arbeitsplatz. Um die Gesundheit seiner Eltern macht er sich besonders Sorgen. „Aus meiner Sicht können die gar nicht vorsichtig genug sein“, sagt er. Er hatte vorher gewusst, dass Infektionen möglich sind. Sei aber trotzdem gern weggegangen, habe sich an alle Regeln gehalten, aber auf nichts verzichtet. Gibt es denn etwas, was er anders machen würde, jetzt, wo er weiß, dass er Corona hat? Dazu sagt der Selmer: „Ich war ja am Wochenende noch weg“, sagt er. „Hätte ich das vorher gewusst, dann hätte ich darauf verzichtet.“
*Name von der Redaktion geändert
Ich bin neugierig. Auf Menschen und ihre Geschichten. Deshalb bin ich Journalistin geworden und habe zuvor Kulturwissenschaften, Journalistik und Soziologie studiert. Ich selbst bin Exil-Sauerländerin, Dortmund-Wohnerin und Münsterland-Kennenlernerin.
