Menschen berichten und erklären Wie sich das Leben in Bork durch die Zeltstadt verändert

So verändert sich das Leben durch die Zeltstadt in Bork
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In Bork sind manche Einwohner besorgt, schauen sich auf dem Heimweg mehrmals um, und haben sogar Kameras an ihren Häusern installieren lassen. Grund dafür ist die Zeltstadt. Eine Flüchtlingsunterkunft in Bork, die seit Mitte September 2022 Männern aus verschiedensten Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak und dem Iran vorübergehend eine Heimat bietet. Inzwischen sind dort über 700 Personen untergebracht, das macht sich in einem Stadtteil mit weniger als 7000 Einwohnern bemerkbar.

Intensivpflegerin Zeynep Dede, ihre Arbeitgeberin Melanie Offergeld und Heinz Jung, Nachbar eines Intensivpatienten, sitzen am Gartentisch. Sie erzählen von einem Vorfall am 4. Juni, der zu der Angst passt, von der zuletzt viele Borker berichtet haben, wenn es um die Zeltstadt und ihre Bewohner geht.

Dede, ihre Großeltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland, arbeitet als Teilzeitkraft bei dem Pflegedienst und war gerade auf dem Weg von ihrem Auto zur Haustür, wo sie um 12 Uhr ihre Schicht bei einem Patienten antreten sollte. Als die 32-Jährige die wenigen Meter zur Tür lief, kamen ihr vom Straßeneingang drei Männer entgegen. Bewohner der Zeltstadt, vermutet sie. Zu Fuß liegt zwischen den beiden Adressen weniger als ein Kilometer.

„Die haben mich lange angeguckt. Einer von ihnen war etwas größer und sehr am schwanken, als wäre er betrunken. Plötzlich standen zwei von denen auf dem Grundstück", sagt sie. Einer habe sie dann auf einer Sprache, die sie nicht verstand, angesprochen und sei bis zur Haustür auf sie zugekommen. „Ich war so froh, dass mein Kollege direkt die Tür geöffnet hat." Heinz Jung, der als Mieter im Erdgeschoss des Hauses wohnt, hat die Situation beobachtet und bezeugt den Vorfall.

Die Einfahrt, auf dem sich die Belästigung ereignete. Links steht ein Beet mit zwei größeren Pflanzen.
Auf der Einfahrt kam es zu der Belästigung, die Zeynep Dede bei der Polizei anzeigte. © Benedikt Iwen

Die beiden Männer hätten links und rechts des kleinen Beetes in der Einfahrt gestanden und sie eingeengt. Die Intensivpflegerin aus Bergkamen sei mindestens zehnmal im Monat bei dem Patienten in Bork und habe sich in dieser Situation bedroht und eingeschüchtert gefühlt. Sie könne nicht mit Gewissheit sagen, was der Mann von ihr wollte, als er auf sie zuging. Deshalb relativiert sie den Vorfall etwas.

Polizei rät zur Anzeige

Im Nachgang erstattete Dede trotzdem, gemeinsam mit ihrer Chefin Melanie Offergeld, online eine Strafanzeige wegen Belästigung bei der Polizei.

Die Polizei Unna wollte sich zu den Ermittlungen noch nicht äußern, bestätigte aber den Eingang der Anzeige. Pressesprecher Christian Stein sagt: „Wenn man sich bedroht fühlt, sollte man sich nie scheuen, die 110 zu wählen."

Bernd Pentrop, Leiter der Polizei-Pressestelle, erklärt, dass es seit Anfang des Jahres ungefähr 30 Einsätze im Zusammenhang mit der Zeltstadt gegeben habe. Das sei nicht viel. Zumal auch nicht jeder Einsatz einen Notruf rechtfertige. Manchmal würden Bürger auch die 110 wählen, obwohl gar keine Straftat oder sonstige Gefahr vorliegt.

Um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu erhöhen, hat die Stadt Selm seit Anfang Mai einen Sicherheitsdienst engagiert. Arbeitszeiten: 13 bis 21 Uhr. In der Zeit patrouillieren nun immer jeweils zwei Mitarbeiter der Sicherheitsfirma durch Bork. In der Facebook-Gruppe „Was in Bork passiert" ist vereinzelt Kritik an dem Sicherheitsdienst zu lesen. Malte Woesmann, Pressesprecher der Stadt Selm, sagt dazu: „Die Arbeit des Sicherheitsdienstes ist aus Sicht der Stadtverwaltung einwandfrei. Kritik in dem konkreten Fall oder anderweitige Kritik an dem Sicherheitsdienst sind nicht bekannt." Eine Ausdehnung der Arbeitszeiten sei deshalb auch nicht geplant.

Unterschiedliche Erfahrungen

Jens Röppenack ist Sozialarbeiter und wohnt auch in Bork. Er hat bisher noch keine negative Erfahrung mit den Geflüchteten gemacht. Er sagt: „Es ist klar, dass sich jetzt mehr Menschen auf den Straßen bewegen. Die sind froh, wenn sie rauskommen." Belästigungen hätten seine Verlobte und er bislang noch nicht erlebt.

Einwohner Alexander Heiliger startete mit Monika Meyer, Claudia Oppermann und Rüdiger Oppermann gemeinsam eine Petition für eine "politisch-strukturell nachholende und nachhaltige Entwicklung von Selm-Bork im Sinne aller". Melanie Offergeld bekräftigt dieses Ziel: „Es muss sich endlich etwas tun. Den Flüchtlingen muss auch geholfen werden, so wie jedem anderen Bürger." Gestartet am 6. Mai, hat die Petition inzwischen über 300 Unterschriften gesammelt.

Röppenack zeigt Verständnis für die etwas kritischeren Bürger. „Wenn ich unterwegs bin und mir kommt eine Gruppe von zehn Männern entgegen, habe ich natürlich ein mulmiges Gefühl. Das ist einfach so." Kritiker argumentieren, dass die Zahl der Geflüchteten zu hoch für einen kleinen Ortsteil wie Bork sei. Er sieht das anders. „Man sollte lieber Angebote schaffen, damit die Integration vernünftig klappt. Wenn man mit 700 Männern auf kleinstem Raum zusammensitzt und nichts machen kann, ist das frustrierend."

Ein Experte äußert sich

Jannik Willers, der als Berater beim Multikulturellen Forum ständig mit Geflüchteten arbeitet, bestätigt den Eindruck: „Das Leben in einer Notunterkunft wirkt sich natürlich auf die Menschen aus. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele Geflüchtete schon traumatische Erfahrungen gemacht haben und vorbelastet sind." Vor Jahren habe es mal ein Gutachten gegeben, das die Grünen in Auftrag gaben, erklärt er. Darin sei festgestellt worden, dass eine Unterbringung in Sammelunterkünften krank mache. Nicht die verschiedenen Kulturen, sondern die Unterbringung und die Perspektiven für Geflüchtete seien das Problem. In anderen Unterkünften würden Menschen teils bis zu 24 Monate verharren und keine Beschäftigungserlaubnis erhalten.

Ein Blick auf die Notunterkunft in Selm-Bork von oben.
Die Notunterkunft in Selm-Bork sorgt seit Monaten für viele Diskussionen. © Hans Blossey

Christoph Söbbeler, Pressesprecher der Bezirksregierung Arnsberg, bestätigt: „Die Dauer des Aufenthalts von Geflüchteten ist unterschiedlich und von verschiedenen Faktoren abhängig. Personen, die im Asylverfahren sind, werden spätestens nach Ablauf bestimmter Maximalfristen kommunal zugewiesen. Familien mit Kindern nach sechs Monaten, alle übrigen Personengruppen spätestens nach 18 oder 24 Monaten." In der Borker Zeltstadt betrage die längste Aufenthaltsdauer derzeit circa vier Monate.

Integration sei keine Einbahnstraße, sagt Jannik Willers. „Das muss auch von der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland stattfinden. Unterschiedliche Kulturen sind keine Rechtfertigung dafür, Menschen mit Vorurteilen zu begegnen." Deshalb seien auch integrierende Strukturen wie beispielsweise der Asylkreis in Bork sehr wichtig. „Um das verbindende Element zu haben, auch wenn die Menschen dort nur zeitweilig untergebracht sind."

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