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Ärger über LAFP-Studierende: „Ich fühle mich, als wohne ich über einer Kneipe“
Wohn-Ärger
Acht junge Studierende unter ihr, viel Krach, wenig Rücksicht. Das beklagt eine Selmerin. Sie hat einen Vorschlag - und hofft, dass so ein Wohnungsproblem gelöst werden kann.
Eigentlich, sagt Christin Wagner (30)*, hat sie die ideale Wohnung in Selm gefunden. „Die Wohnung ist wirklich schön, wir mögen die Nachbarschaft und weit zur Arbeit ist es auch nicht.“ Trotzdem ist Christin Wagner mit ihrem Partner gerade auf Wohnungssuche.
Türen knall und laute Musik am ersten Tag
Der Grund: Vor knapp vier Monaten zogen neue Mieter in die Wohnung unter das Paar. Wo vorher ein anderes Pärchen zu zweit gewohnt hatte, leben nun acht Studierende der nahen Polizeischule LAFP. „Ich fühle mich manchmal, als wenn ich über einer Kneipe wohne“, sagt Christin Wagner mit hörbarem Ärger in der Stimme.
Der Start sei bereits nicht gut gelaufen, schildert die Selmerin. Am ersten Tag habe ein Bus vor der Tür gehalten, die Studierenden seien in die Wohnung gegangen, hätten in ihrer Wohnung ständig laut die Türen geknallt und dazu die Musik aufgedreht. Das Haus sei ziemlich hellhörig und dass man von den Nachbarn mal etwas höre, sei ja klar, sagt Christin Wagner. Aber von den vorherigen Nachbarn hätte sie nur selten etwas gehört.
Musik geht um 22 Uhr an - Polizei ruft sie lieber nicht
Sie sei daraufhin am nächsten Tag hinunter gegangen, hätte sich vorgestellt und nett darum gebeten, die Türen nicht mehr zu knallen und nicht mehr so laut zu sein. Das habe auch funktioniert, aber nur für einen halben Tag, sagt sie. Das Türenknallen sei inzwischen ein ständiger Begleiter im Alltag.
Oft gehe die Musik um 22 Uhr an und dann werde es laut. Gerne werde es auch am Sonntagabend laut, wenn die Polizeischüler aus dem Wochenende zurückkehren in ihre Wohnung. Gerade, wenn sie eigentlich auf der Couch liege, sich auf den Start der neuen Woche einstimme. „Da kriege ich echt Beklemmungen“, sagt Christin Wagner. Darüber nachgedacht, in solchen Situationen die Polizei anzurufen habe sie schon, gibt sie zu. Aber: „So spießig bin ich nicht.“
Ärger über Müll und Co.
Die Dinge, die nicht gut laufen läppern sich. Christin Wagner hat sich extra Notizen gemacht, um nichts zu vergessen. Da sei das Parkraumproblem. Statt auf einen größeren Parkplatz in der Nähe zu fahren, würden die acht Schüler mit ihren acht Autos direkt am Haus parken. Andere Nachbarn müssten deshalb zwei Straßen weiter parken und ihre Einkäufe schleppen, die Mülltonnen würden nicht vernünftig befüllt und einmal habe es Madenbefall gegeben, weil Müllsäcke neben die Tonne geschmissen worden sein. Auch den normalen Hausdiensten wie Mülltonne rausbringen oder Treppenhaus putzen seien die Polizeischüler bisher nicht nachgekommen.
Sie habe die beiden Polizisten kontaktiert, die wiederum ihrerseits die Wohnung an die Polizeischüler vermietet hatten. Die hätten auch versprochen, dass sich etwas ändert. Geklappt habe das aber nicht. „Ich habe das Gefühl, dass sie uns nicht wirklich ernst nehmen“, sagt sie. Sie habe bereits einen Zettel mit Verhaltensregeln im Flur angebracht und mehrfach das Gespräch mit den Studierenden gesucht, geholfen habe das aber nicht. Zudem wechseln die Mieter auch regelmäßig, jeden Monat kommen andere Polizei-Studierende. „Ich fühle mich wie die Leiterin einer Jugendherberge“, sagt Christin Wagner. Ständig müsse sie die Regeln erklären. Außerdem findet sie: „Das sind doch angehende Polizisten, die sollten doch eigentlich wissen, wie man sich benimmt.“
Ärger über LAFP-Studierende - keine neues Thema in Bork
Ärger über Polizei-Studierende als Mieter sind auch schon in der Vergangenheit an unsere Redaktion herangetragen worden. Die Studierenden mieten den Wohnraum eigenständig an, ohne dabei Hilfestellungen vom LAFP zu erhalten, wie die Einrichtung betont. Somit fällt das Thema Wohnraum eigentlich nicht in den Zuständigkeitsbereich des LAFP. Trotzdem: Das LAFP hatte auch in der Vergangenheit stets betont, dass angehende Polizeibeamte zu Beginn ihres Studienabschnitts in Selm „auf die hier bekannten Problematiken hingewiesen und zu einem regelkonformen Verhalten angehalten“ werden, so LAFP-Sprecherin Sevinc Sethmacher und fügt hinzu: „Insbesondere die sich aus dem Beamtenrecht ergebende Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten wird detailliert dargestellt und mögliche Folgen eines Verstoßes werden genannt.“
Weiter erklärt sie: „Werden außerdienstliche Vorfälle hier bekannt, so werden je nach Intensität des geschilderten Vorfalles Maßnahmen getroffen. Diese können von Stellungnahmen, Einzelgesprächen über Berichtsaufforderungen bis hin zur Anregung des Einleitens eines Disziplinarverfahrens reichen. Weitergehende massiverer Interventionen werden fallabhängig geprüft.“
Mieterin aus Selm ist wieder auf Wohnungssuche
Seit die neuen Mieter eingezogen sind, sucht sie bereits mit ihrem Partner nach einer neuen Wohnung, sagt Christin Wagner. Aktuell sei die Suche aber nicht leicht. Etwa zwei Anzeigen, die ihren Kriterien entsprechen, würde es pro Woche geben und die seien dann entweder für Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein ausgeschrieben oder für Polizeischüler. Viele, die sie kenne, hätten ein ähnliches Problem. Ob Familien, die eine neue Wohnung suchen, oder Freunde, die nach der Trennung schnell eine neue Wohnung brauchten. Es sei schwer - auch durch die Polizei-Studierenden.
Wer beispielsweise eine Wohnung auf Ebay-Kleinanzeigen in Selm sucht, ohne bestimmte Kriterien einzugeben, stößt auf zahlreiche frisch eingestellte Wohnungen, die sich explizit an Polizei-Studierende richten. „Schöne gemütliche Wohnung für 3-6 Studierende des LAFP“ steht da zum Beispiel oder „stylishe Wohnung für 3-6 Studierende des LAFP“. Bei unserer Stichprobe am 23.10. sind etwa drei Viertel der Wohnungen explizit als Wohnungen für Polizeischüler ausgeschrieben.
Die Preise sind von der Personenzahl abhängig und bewegen sich alle in einem ähnlichen Rahmen. So verlangt ein Vermieter für seine 91 Quadratmeter-Wohnung beispielsweise bei sechs Personen pro Person eine Wochenmiete von 91 Euro, bei drei Personen sind es 119 Euro Woche/Person. Macht bei drei Personen eine Monatsmiete von 1.428 Euro, bei sechs Personen sogar von 2.198 Euro. Auf den Quadratmeter gerechnet sind das bei drei Personen 15,69 Euro, bei sechs von 24,15 Euro. Selbst wenn die Wohnungen zweitweise leerstehen und die zusätzlichen Kosten für Möblierung, Wlan und Co. abzieht, ist das aber lukrativer als normal zu vermieten.
Ein Wohnheim als Aushilfe für die Wohnungsnot?
Christin Wagner verärgert auch das - und viele, die sie kennt auch, sagt sie. „Ich bin immer schon in Selm gewesen und es ist traurig, wenn Menschen, die so sind wie ich, dann keinen Platz mehr hier haben.“ Sie würde sich deswegen wünschen, dass das LAFP künftig Wohnraum für die Studierenden auf eigene Faust stellt. Ein Wohnheim zum Beispiel auf dem Gelände des LAFPs oder im Industriegebiet. „Ich verstehe nicht, warum das nicht möglich ist“, sagt Christin Wagner.
Das LAFP vor 2008 sogar Wohnungen auf dem Campus. Allerdings stiegen dann mit Einführung des der Bachelorstudiengangs Polizeivollzugsdienst die Einstellungszahlen deutlich erhöht. Waren es zuvor noch 500 Studierende, lag die Zahl im Jahr 2008 bereits bei 1100, bis auf insgesamt 2660 im Jahr 2020 und 2021. Das sind allerdings die Gesamtzahlen. Am Standort Bork gab es im Jahr 2021 662 Studierende zu Beginn des Studienjahres. Auf die Frage, ob mit der gestiegenen Studierendenzahl ein Wohnheim eine Option sein könnte, antwortet Sevinc Sethmacher: „Mit Erhöhung der Einstellungszahlen und einer veränderten Ausbildung im Rahmen des Bachelorstudiengangs ist eine Unterbringung der Studierenden nicht mehr vorgesehen.“
Die Stadt erklärt auf Anfrage lediglich, dass sich Bürgermeister Orlowski für bezahlbaren Wohnraum für alle Selmerinnen und Selmer einsetze. Welche konkreten Ideen es gibt, diese Frage beantwortet Stadtsprecher Malte Woesmann nicht. „Die Aussage, sich für bezahlbaren und auch kleinen Wohnraum z.B. für Singles einzusetzen, gilt weiterhin“, teilt er lediglich mit.
* Name von der Redaktion geändert
Ich bin neugierig. Auf Menschen und ihre Geschichten. Deshalb bin ich Journalistin geworden und habe zuvor Kulturwissenschaften, Journalistik und Soziologie studiert. Ich selbst bin Exil-Sauerländerin, Dortmund-Wohnerin und Münsterland-Kennenlernerin.
