
Nicht nur die Marienkirche, sondern die ganze Institution Kirche scheint wie eine Baustelle. Immer mehr Gläubige wenden sich ab. Pfarrer Peter Iwan kennt ein Bündel von Gründen für diesen Schritt. © Grafik Martin Klose
Kirchenaustritte in Schwerte: Missbrauchsskandal reißt auch Protestanten mit
Mehr Kirchenaustritte
Noch gibt es 13.000 Katholiken und knapp 12.000 Protestanten in der Stadt. Doch die Gemeinden verlieren deutlich an Mitgliedern – wie aktuelle Zahlen aus den ersten sechs Monaten dieses Jahres zeigen.
Die Zahlen wirken dramatisch. Die Kirchengemeinden scheinen mit stetig wachsendem Tempo zu schrumpfen. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben die Schwerter Kirchengemeinden mehr als ein Prozent ihrer Mitglieder verloren.
162 Katholiken und 124 Protestanten kehrten ihnen den Rücken, wie Amtsgerichts-Direktor Ansgar Heithoff auf Anfrage berichtet. Zusammengerechnet sind das schon mehr als im kompletten Jahr 2020, als er zusammen 259 Kirchenaustritte registrierte. Im Vorjahr wollten sich 350 Personen die Steuer sparen.
Nachholeffekt aus der Corona-Zeit?
Den rapiden Anstieg der Zahlen seit Januar könnte sich Ansgar Heithoff unter anderem ein wenig mit einem Nachholeffekt erklären. Denn während der vorhergehenden Corona-Zeit war der Geschäftsbetrieb der Behörde an der Hagener Straße sehr eingeschränkt, sodass möglicherweise viele Austrittswillige nicht kommen konnten oder wollten. Mittlerweile ist das Amtsgericht wieder besser besuchbar, sagt der Direktor. Gerade im katholischen Bereich – so vermutet er – käme aber sicherlich auch noch die Unzufriedenheit mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals dazu.
Diese Unzufriedenheit sieht St.-Marien-Pfarrer Peter Iwan, ohne die Reformbedürftigkeit der Institution Kirche in Abrede zu stellen, zusätzlich befeuert durch erhebliche Managementprobleme in der Kirche. Es wäre doch klüger gewesen, einen gemeinsamen Bericht für Deutschland zu veröffentlichen, anstatt das alle zwei Dutzend Bistümer einzeln nacheinander machen zu lassen – mit dem Effekt, dass das Thema ständig mit Negativschlagzeilen aufploppt und gar nicht aus den Medien herauskommt.

Beim Amtsgericht Schwerte an der Hagener Straße werden immer mehr Kirchenaustritte erklärt. © Reinhard Schmitz (A)
Als alleinigen Grund für die Kirchenaustritte sieht Pfarrer Iwan den Missbrauchsskandal indes aber nicht. „Sonst müssten die Zahlen in der Evangelischen Kirche doch spürbar geringer sein“, erklärt er. Denn die ist von diesem Thema gar nicht betroffen. Es gebe immer ein ganzes Bündel von Gründen: „In allen Bereichen lösen sich die Bindungen an die Gemeinschaft auf.“ Diese Tendenz spürten beispielsweise auch Vereine und Gewerkschaften deutlich.
Man hielt früher zur Kirche, weil es gesellschaftlich „in“ war
„Christ sein ist nichts Normales mehr“, sagt Pfarrer Iwan deutlich. Doch auch schon in den 1980er-Jahren sei die Kirche im Alarmzustand gewesen, was oft vergessen wird. Davor sei die Kirche bis in die 60er- und 70er-Jahre in der Bundesrepublik gesellschaftlich abgestützt gewesen: „Man hielt zur Kirche, weil es gesellschaftlich ,in´ war.“ Diese Phase sei aber historisch bedingt gewesen und keine Normalsituation.
„Es gibt eine schleichende Entfremdung, und dann kommt der Punkt, wo es zum Austritt kommt“, sagt auch Pfarrer Achim Dreessen von der Evangelischen Kirchengemeinde Schwerte. Die Kirche werde in Misskredit gebracht, je mehr die Bindung nachlasse. „An dieser Stelle merken wir, dass vielen Christen die genaue Detailkenntnis fehlt“, hat er beobachtet. Sie können einfach nicht mehr unterscheiden und merken nicht, dass Negativschlagzeilen auf der katholischen Seite die evangelischen Gemeinden gar nicht betreffen, bevor sie einen Schlussstrich ziehen: „Die Kirche wird in einen Topf geworfen.“
Pfarrer Achim Dreessen erlebt auch Kircheneintritte
„Wir erleben es aber auch anders“, berichtet Pfarrer Dreessen von positiven Momenten. Es gebe auch Eintritte – und zwar immer dann, wenn es zu einer direkten Begegnung komme. Das sei zuletzt noch bei einer Trauung und nach einem Taufgespräch geschehen.
Die Evangelische Kirchengemeinde in Schwerte zählt aktuell knapp unter 12.000 Mitglieder, die katholische Pfarrgemeinde St. Marien ungefähr 13.000 Gläubige.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
