Weihnachten 1952 wurde zum ersten Mal ferngesehen

Als das Fernsehen nach Schwerte kam

Bei Salzstangen traf sich die halbe Nachbarschaft bei denen, die schon einen Apparat hatten. Manchmal musste man bei der Übertragung zwischendurch auch aufs Dach steigen. So war das damals, als das Fernsehen nach Schwerte kam.

Schwerte

, 23.02.2018, 08:57 Uhr / Lesedauer: 3 min
Mit einer leinenen Hülle wurde der nagelneue Schaub-Lorenz-Fernseher im Wohnzimmer am Senningsweg vor Staub geschützt, wo Autor Reinhard Schmitz auf dem ausgezogenen Tisch mit der Märklin-Eisenbahn spielte.

Mit einer leinenen Hülle wurde der nagelneue Schaub-Lorenz-Fernseher im Wohnzimmer am Senningsweg vor Staub geschützt, wo Autor Reinhard Schmitz auf dem ausgezogenen Tisch mit der Märklin-Eisenbahn spielte. © Repro: Reinhard Schmitz

Die ersten Fernsehbilder zeigte der ungarische Physiker Dénes von Mihály (1894-1953) vor 90 Jahren dem staunenden Publikum. Wer sie sehen wollte, musste allerdings zu einer Messe nach New York in die USA schippern. Die Schwerter sollten noch eine Diktatur und einen Weltkrieg zu überstehen haben, bis das Heimkino auch zu ihnen kam.

Im Dezember 1952 war es so weit, wie eine Lokalzeitung unter dem Titel „Kleine Beobachtungen vor der Jahreswende“ vermeldete. „Wie viele Leute in den Nachbarstädten, so haben auch Schwerter am Weihnachtsfest ,ferngesehen´“, heißt es dort. Vorsichtig wird das neue Verb für den Duden-Wortschatz noch in Gänsefüßchen gedruckt.

Gaststätten waren Pioniere

In zwei Gaststätten – die Namen der Pioniere verschweigt der Autor leider – seien die Apparate aufgebaut gewesen. „An Interesse hat es nicht gemangelt, aber denen, die sich das kleine Sensatiönchen nicht entgehen lassen wollten, hat es nach Spielschluss noch lange vor den Augen geflimmert.“

Schließlich wagte der Herr Schriftleiter voller Überzeugung die Prognose: „Das Fernsehen wird sich durchsetzen.“ Und damit beispielsweise der alteingesessenen Firma Radio Gendrong brummende Geschäfte bescheren. Deren vergilbtes Wareneingangsbuch hat der heutige Inhaber Harald Becker zwar vor einiger Zeit auf dem Dachboden aufgestöbert. Das Geheimnis der ersten Kunden kann es aber auch nicht lüften. Denn die Aufzeichnungen in fein säuberlicher Handschrift wurden leider nach 1949 nicht mehr weitergeführt. Bis dahin waren nur Radios, Schallplatten, Birnen oder Lampenschirme über die Theke gegangen.

Bekannt ist aber, wann die Begeisterung für die bewegten Bilder den Bürenbruch erfasste. 1955 – so weiß Lothar Meißgeier (83) ganz genau – schalteten seine Eltern Paul und Elisabeth Meißgeier den allerersten Fernseher in dem abgelegenen Ortsteil ein. Stolz prangte der Markenname „Graetz“ auf der Truhe, in die auch noch ein Radio und ein Plattenspieler eingebaut waren.

Nachbarn nahmen das Wohnzimmer in Beschlag

„Samstagsabends, wenn die Sendungen übertragen wurden, habe ich anfangs als Junge auf dem Stuhl gesessen“, erzählt Meißgeier. Doch schon wenig später musste er – als wohlerzogenes Kind – seinen Polsterplatz im Wohnzimmer für die Nachbarn und Verwandten räumen, die das Elternhaus Am Steinberg 46 1/2 stürmten, wenn die Show-Master Hans-Joachim Kuhlenkampff oder Peter Frankenfeld auf der schwarz-weißen Mattscheibe erschienen: „Der ganze Steinberg kam dann.“ Dann blieb Meißgeier nichts anderes übrig, als vom Nachbarraum aus durch das Schlüsselloch mitzuschauen.

Live-Übertragung des WM-Siegs 1954

Gedränge vor der Flimmerkiste war der Zeitzeuge eigentlich schon seit der ersten Begegnung mit dem neuen Medium gewohnt. 1954 hatte Meißgeier im Westfälischen Hof an der Bahnhofstraße (heute Künstlerhaus) die Live-Übertragung des Weltmeisterschaft-Triumphs der deutschen Fußball-Nationalmannschaft miterlebt: „Zusammen mit Tischtennis-Spielern.“ Die ließen an diesem Tag die Plecken Plecken sein und schmetterten voller Inbrunst nach dem „Wunder von Bern“ das Deutschland-Lied.

Den ersten Fernseher auf dem Bürenbruch nannte Paul Meißgeier sein Eigen. Zu Weihnachten 1955 ließ sich der stolze Besitzer mit der Kombi-Truhe der Marke Graetz fotografieren, in die auch ein Radio und ein Plattenspieler eingebaut waren.

Den ersten Fernseher auf dem Bürenbruch nannte Paul Meißgeier sein Eigen. Zu Weihnachten 1955 ließ sich der stolze Besitzer mit der Kombi-Truhe der Marke Graetz fotografieren, in die auch ein Radio und ein Plattenspieler eingebaut waren. © Repro: Reinhard Schmitz

Unterdessen wurde unter den Kindern der Mühlenstraße das Nierhoffsche Kaufmanns-Haus an der Brückstraße 23 als Geheimtipp gehandelt. Wie ein Lauffeuer hatte es sich ausgebreitet, dass sich dort der Opa und die Oma eines Kumpels einen Fernsehapparat geleistet hatten. Netterweise machten sie auch die Tür auf, wenn sonntagmittags die Kindersendungen ausgestrahlt wurden. So jedenfalls wird es immer noch in der Altstadt erzählt.

Schnee auf dem Bildschirm bei Sturm

„Man wusste, wer einen Fernseher hatte“, sagt auch Heimatvereins-Vorsitzender Uwe Fuhrmann. Fein zurechtgemacht, hätten sich dort Nachbarn und Verwandte zu den Lieblingssendungen getroffen: „Die Gastgeber stellten dann Salzstangen oder Fischli hin.“ Die Familie Fuhrmann übrigens bekam ihre Flimmerkiste zur Olympiade 1960 in Rom. Das Gerät wurde aber geschont und nur abends eingeschaltet. Wenn nicht mal wieder ein Sturm dafür gesorgt hatte, dass nur noch „Schnee“ auf dem Bildschirm zu sehen war. Dann waren Mutige gefragt, die aufs Dach stiegen, um die Antenne auf Zuruf wieder in die richtige Position zu drehen.

Was tat man nicht alles für die Schwarzweiß-Bilder. Dabei wurde hinter den Kulissen schon längst kräftig für ein Farbfernsehen für alle getüftelt. Fernsehtechnikermeister Ulrich Knapp, der 1960 nach Schwerte kam, erlebte mit, wie die Firma Loewe Opta in Dortmund schon ein Jahr vor dem Verkaufsstart einen Feldversuch mit der neuen Technik startete. Den richtigen Durchbruch brachten ihr aber erst die Olympischen Spiele in München 1972, als das Erste und Zweite Programm ein gemeinsames Vollprogramm in bunten Bildern ausstrahlten. Die Wirtsstube oder das Wohnzimmer aus den Frühzeiten des Rudelguckens ersetzte da der Bürgersteig der Hüsingstraße. Vor den eingeschalteten Farbfernsehern im Schaufenster des „Telecenters“ an der Ecke zur Friedensstraße blieben die Passanten in Scharen stehen. Und träumten: So was müsste man auch haben.