Vom ersten Hotel der Stadt zur Künstlerkommune Letzte Spurensuche im Abrisshaus am Bahnhof

Vom ersten Hotel zur Künstlerkommune: Spurensuche in einem Abrisshaus
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Unaufhaltsam schleicht sich von hinten der Abrissbagger immer näher heran. Nur noch das letzte Gerippe des ehemaligen Aldi-Markts trennt seinen langen Greifarm von seinem weiteren Ziel, dem zuletzt als Künstlerkommune genutzten „Westfälischen Hof“ an der Bahnhofstraße. In wenigen Wochen wird das Gebäude, das zu den ältesten Hotels der Stadt gehörte, verschwunden sein. Wir durften zuvor noch einmal hinein. Ein Abschiedsbesuch in den verwaisten Räumen.

Fast so alte wie die Eisenbahn

Der Vorarbeiter des Abbruchunternehmens öffnet die Tür. Der Schein seiner Handleuchte reißt überall nackte Wände aus der Dunkelheit. Vom alten Glanz ist kaum noch etwas zu erahnen. Die Kollegen von der Entkernung haben bereits ganze Arbeit geleistet. Bis auf die Höhe des ersten Stocks türmt sich im Innenhof der Stapel aus herausgerissenem Wandverkleidungen und anderen hölzernen Bauelementen.

Als erstes Hotel am Bahnhof wurde der „Westfälische Hof" kurz nach der Eröffnung der Eisenbahnlinie nach Schwerte im Jahre 1870 eröffnet und später mehrfach erweitert.
Als erstes Hotel am Bahnhof wurde der „Westfälische Hof" kurz nach der Eröffnung der Eisenbahnlinie nach Schwerte im Jahre 1870 eröffnet und später mehrfach erweitert. © Sammlung Rudolf Kassel

Alles muss weggeräumt und für die getrennte Entsorgung sortiert werden, bevor der eigentliche Abbruch beginnen kann. Dazu kommen noch haufenweise altes Mobiliar, Geschirr und sonstiges Gerümpel in den Innenräumen. Unglaublich, was hier alles hinterlassen wurde. Fast leer ist dagegen der ehemalige Küchenbereich, aus dessen Decke eine rätselhafte Falltür herausschaut. Auch an den Fachwerkwänden sind beim Abreißen der Vertäfelungen zahlreiche zugemauerte Türen zum Vorschein gekommen. So oft wurde in dem einstigen Hotel in- und angebaut, nachdem es kurz nach der Eröffnung der Eisenbahnstrecke nach Schwerte im Jahre 1870 gegenüber vom neuen Bahnhof errichtet worden war.

Wäscheleinen unter dem Dach

Verwinkelte Treppen führen zu den ehemaligen „Fremdenzimmern“ herauf, die zuletzt als Künstlerateliers dienten. Betten oder Schränke sucht man hier vergebens. Hinter einer Luke verbirgt sich eine ausziehbare Treppe zum Dachboden, auf dem noch die Wäscheleinen gespannt sind.

Gute Adresse: Mit Kaisersaal und vorzüglicher Küche warb einst der Westfälische Hof.
Gute Adresse: Mit Kaisersaal und vorzüglicher Küche warb einst der Westfälische Hof. © Gunther Gerke

Es gibt sogar einen Keller unter dem Altbau, der einen relativ aufgeräumten Eindruck macht. Wer hinunter will, muss allerdings gehörig den Kopf einziehen - so niedrig ist die Decke über den Stufen, aus denen zudem noch Nägel herausragen. Diesen Weg mussten die Köche nehmen, wenn sie zu ihrem unterirdischen Kühlraum hinab wollten. Wer das ehemalige Lebensmittel-Lager jetzt sieht, hätte allerdings nicht mehr so großen Appetit auf das, was daraus auf den Tellern landet.

Rechts vom Eingang des damaligen Kinos Scala ist auf diesem Foto aus dem Jahre 1969 der Westfälische Hof zu erkennen. Beide Gebäude werden jetzt abgerissen.
Rechts vom Eingang des damaligen Kinos Scala ist auf diesem Foto aus dem Jahre 1969 der Westfälische Hof zu erkennen. Beide Gebäude werden jetzt abgerissen. © Uwe Fuhrmann

Ein Abbruchhaus, das seine besten Zeiten längst hinter sich hat. „Es muss mal ein sehr schönes Stück Schwerte gewesen sein“, sagt Gunther Gerke, der mit seiner Schwerter Operettenbühne schon in so vielen Lokalen der Stadt ein gerngesehener Gast gewesen ist. In seinem Archiv hütet er eine historische Werbeanzeige, mit der frühere Inhaber Wilhelm Kordeck in seinen „Altrenommierten Gasthof“ mit „großem Kaisersaal“, „schönen, schattigen Gartenanlagen“ und „vorzüglicher bürgerlicher Küche“ lockte. Ausgeschenkt wurde helles Ostermann-Bier aus Schwerte und dunkles Dortmunder Stade. Die Übernachtung in einem der acht Zimmer kostete samt Frühstück 2 Mark.

Quelle-Agentur und China-Mann

Konkurrenz brauchte der Westfälische Hof in seinen ersten Jahrzehnten nicht zu fürchten. Denn die Baugenehmigung für das benachbarte Hotel Reichshof wurde erst 1899 erteilt. Auch danach wurde zwischen 1900 und 1920 immer wieder vergrößert. Ein Teil der Gaststätte wurde um 1960 als Ladenlokal für einen Goldschmied abgezwackt, das später von einer Quelle-Agentur und einem Second-Hand-Geschäft genutzt wurde. Der restliche Betrieb hielt sich bis in die 1970er-Jahre hinein, dann zogen Chinarestaurants und ein Piri-Piri-Restaurant ein, bevor die Künstler den Leerstand für sich entdeckten.

Der Abriss wird jetzt noch zu einer Herausforderung. Er muss von der rückwärtigen Seite aus geschehen, weil die Bahnhofstraße höchstens halbseitig gesperrt werden kann. Das Hotel Reichshof wird mit einer speziellen Mattenkonstruktion vor Trümmerteilen geschützt.

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