„Der Familie bringt es nichts, wenn ich auch weine“, sagt Selina Schulz sanft. Die 27-Jährige spricht sehr ruhig und langsam, sodass man ihren Worten gut folgen kann. Sie hat einen wachen Blick und sucht den Augenkontakt, ohne dabei aufdringlich zu sein.
Vor anderthalb Jahren ist sie nach Schwerte gezogen, um ihre Ausbildung zu beginnen: als Bestatterin. Die Eingabe sei ihr eines Nachts gekommen: „Während Corona hatten viele eine Lebenskrise, mich eingeschlossen.“ Jetzt ist sie im zweiten Lehrjahr im Bestattungshaus Bovensmann in der Rathausstraße – und bereut die Entscheidung nicht.
Als Kind schon den Traum Pathologin zu werden
Während andere Mädchen in ihrem Alter Tierärztin, Autorin oder Lehrerin werden wollten, hatte Selina schon als 13-Jährige den Traum, Pathologin zu werden: „Ich habe mit meinem Papa immer die Serie CSI geguckt und fand die Gerichtsmediziner cool.“
Studiert hatte sie Ägyptologie und Altorientalistik: „Von toten Sprachen und Kulturen war der Schritt dann nicht mehr weit“, sagt sie heute. Obwohl man doch meinen könnte, dass dieser Schritt nicht für viele naheliegend gewesen wäre. „Einer muss es machen.“ Sie lächelt. Mit dem Tod habe sie sich auch vor ihrem Beruf schon auseinandersetzen müssen: Ihre Schwester hatte den Kampf gegen den Krebs besiegt, viele in ihrer Familie haben ihn aber verloren.

Spezieller Humor
An die erste Abholung kann sich die junge Schwerterin noch gut erinnern: „Er sah so aus, als würde er gleich wieder aufstehen.“ Vorher hatte sie geglaubt, es werde komisch, sie könne das nicht. „Man muss die Toten mit Respekt versorgen. Jetzt sage ich nicht mehr, dass ich etwas nicht kann. Ich probiere alles aus. Die persönliche Hemmschwelle ist nicht mehr da.“ Berührungsängste hat Selina keine mehr. Nicht bei der Abholung, nicht bei der Versorgung.
Zu letzterer gehört, die Toten zu waschen und anzuziehen, den Körper zu lockern, wenn er in der Leichenstarre ist. Am Anfang hatte sie Sorge, demjenigen wehzutun. „Es dauert, bis das Gehirn begreift, dass derjenige nicht einfach schläft. Aber man gewöhnt sich dran.“ Sie pausiert. Dann sagt sie: „Das ist wie in der Pflege, nur dass sie sich dabei nicht mehr beschweren können.“ Dabei setzt sie ein Grinsen auf.
Gehört wird dabei die 90er-Playlist des Kollegen mit Backstreet Boys und Co. – „Humor ist übrigens ganz wichtig für den Beruf. Und schon auch ziemlich speziell.“ Eine Kollegin etwa habe ihre Urne schon gekauft und bewahre ihre Kekse darin auf.
Emotionale Herausforderungen und Ekel überwinden
Es gebe aber auch Momente, die sie nicht so leicht wegsteckt. Wie etwa eine Beerdigung einer jungen Frau, die nur fünf Jahre älter als sie selbst gewesen ist – ein Unfall im Urlaub. „Das kann mir auch passieren“, war ein Gedanke. Und: „Da ist noch so viel Leben und dann ist es vorbei.“
An die Beerdigung erinnert sie sich gut, hundert Trauernde waren da. Neben den emotionalen Herausforderungen gibt es auch körperliche: „Maden sind furchtbar ekelig. Gehören aber zum Job – auch wenn das nur einen niedrigen Prozentsatz ausmacht.“ Auch Unfallopfer werden versorgt, egal wie sie aussehen: „Das gehört zur Totenwürde.“
Über die herausfordernden Momente spricht sie mit Kollegen, holt sich Rat bei ihrer Mama. Über Situationen redet sie, nie über die Verstorbenen. Sie liest gerne, verbringt Zeit mit ihrem Kater und spielt Playstation. Sie trägt T-Shirts mit den verrücktesten Mustern und ganz bunte Socken in der Freizeit.
„Angst vor dem Tod zu haben, ist sinnlos. Er gehört zum Leben“, sagt sie. Wie ihre Beerdigung aussehen soll, weiß die 27-Jährige auch. „Nach deiner 15. Beerdigung hast du eigentlich alle gesehen, die es so gibt“, sagt sie nüchtern. Für sich selbst wünsche sie sich eine anonyme Seebestattung, so wie ihre Mama sich auch eine wünscht.

Tod: Thema in der Familie
Der Tod sei ein Thema, das viele nicht besprechen möchten, fällt Selina immer wieder auf. „Die Leute sollten weniger Angst haben, sich damit auseinanderzusetzen. Wir sterben alle irgendwann. Schlimm ist, wenn die Angehörigen nicht wissen, was Oma, Opa oder Mama und Papa eigentlich wollten.“ Darüber wenigstens ein Mal gesprochen zu haben, mache es für die Hinterbliebenen einfacher und letztlich auch für Selina als Bestatterin.
Zu den trauernden Familien wahrt Selina emotionale Distanz – mit Empathie, Mitgefühl und Verständnis. „Das lernt man, damit man nicht nach einem Jahr einen Burnout hat.“ Wenn die Angehörigen am Ende der Beerdigung auf sie zukommen und sagen: „Das haben Sie schön gemacht“ und sie umarmen, dann weiß sie, sie hat alles richtig gemacht. Trauer und Tod sind Teil ihres Jobs. Das gibt ihr aber auch die Perspektive, das Leben zu schätzen: „Ich sehe mehr die Dinge, die Spaß machen.“ Sie bereut es nicht, sich diesen Beruf ausgesucht zu haben.
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