Tierschutzvereins-Vorsitzende Anna Sonntag mit dem anhänglichen Knut. Wegen gestiegener Kosten können sich viele Halter die Tierarztkosten kaum noch leisten. Auch das Schwerter Tierheim kommt an seine Grenzen.

Tierschutzvereins-Vorsitzende Anna Sonntag mit dem anhänglichen Knut. Wegen gestiegener Kosten können sich viele Halter die Tierarztkosten kaum noch leisten. Auch das Schwerter Tierheim kommt an seine Grenzen. © Martina Niehaus

Tierheim Schwerte: „Der Tierschutz läuft in eine Katastrophe!“

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Energie- und Tierarztkosten steigen – gleichzeitig wird weniger gespendet. Auch im Schwerter Tierheim wächst die Verzweiflung. Leiterin Catharina Seelig sagt: „Die Zukunft sieht düster aus.“

Schwerte

, 26.09.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der kleine Jack-Russell-Terrier Felix, der gerade spazieren geführt wird, sieht mager aus. Das weiß-braune Hündchen ist zwar schon ein Senior, aber grundsätzlich kerngesund, wie Catharina Seelig vom Tierheim Schwerte erzählt.

Das Problem: Der Hund hat in der Vergangenheit vermutlich nur selten einen Tierarzt gesehen. „Das Herrchen kam ins Krankenhaus, und eine Nachbarin hat uns den Hund gebracht. Bei einer ersten Untersuchung haben wir festgestellt, dass seine Zähne verfault waren.“

Wegen schlechter Zähne wäre der kleine Hund fast verhungert

Ein Tierarzt muss dem Terrier fast alle Zähne ziehen – bis auf zwei. Catharina Seelig zeigt auf ihrem Handy ein Bild der gezogenen Zähne. Nur noch braune Stümpfe hatte Felix im Maul. Und wäre fast verhungert – weil die Schmerzen beim Fressen zu groß waren.

Tierhalter haben weniger Geld. Nicht nur Energie- und Futterkosten steigen, sondern auch die Behandlungskosten für Tierärzte. Ab November wird es noch teurer - dann tritt nämlich eine neue Gebührenordnung für Tierärzte in Kraft. Offenbar hatte das Herrchen von Felix sich einen Tierarztbesuch nicht leisten können.

Catharina Seelig vom Tierheim Schwerte hat Kater Gismo auf dem Arm. Auch er wurde nie tierärztlich behandelt. Jetzt geht es ihm schon viel besser.

Catharina Seelig vom Tierheim Schwerte hat Kater Gismo auf dem Arm. Auch er wurde nie tierärztlich behandelt. Jetzt geht es ihm schon viel besser. © Martina Niehaus

Terrier Felix ist kein Einzelfall. Der nächste Besuch gilt Gismo. Der schwarz-weiße Kater befindet sich in Quarantäne, also in einem gesonderten Gebäude des Tierheims. Als Catharina Seelig die Tür zu seinem Raum öffnet, kommt Gismo sofort angehopst. Er schnurrt, schmiegt sich an, klettert auf Schoß und Schultern der Besucher.

Tiere müssen erst aufgepäppelt werden

Man würde den liebebedürftigen Gismo gern streicheln und kraulen. Doch am Hals hat der Kater eine kahle Stelle, wie ein breites Halsband. Sie blutet und nässt. „Gismo hatte eine Tierfutter-Allergie. Weil sie nicht erkannt und behandelt wurde, hat er sich dort immer wieder blutig gekratzt. Inzwischen hat sich das zu einer Auto-Immun-Schwäche entwickelt“, erklärt Catharina Seelig. Der kuschelige Gismo hat also eine Art Neurodermitis.

Wie ein Halsband verläuft eine kahle Stelle um Gismos Hals. Er hatte sich blutig gekratzt, weil er eine Futter-Allergie hatte. Mit anderem Futter und der richtigen Behandlung, die er jetzt erhält, ist er bald wieder gesund.

Wie ein Halsband verläuft eine kahle Stelle um Gismos Hals. Er hatte sich blutig gekratzt, weil er eine Futter-Allergie hatte. Mit anderem Futter und der richtigen Behandlung, die er jetzt erhält, ist er bald wieder gesund. © Martina Niehaus

Die Tierarztbehandlung und die Diät helfen: Gismos Wunden werden bald ganz verheilt sein. „Doch wegen der vorherigen Vernachlässigung waren die Tierarzt-Rechnungen für uns sehr hoch“, erklärt Seelig. In die Tausende seien sie gegangen.

Das passiert immer wieder und immer öfter. Tiere kommen an – und müssen zunächst für viel Geld tierärztlich aufgepäppelt werden, bevor man überhaupt daran denken kann, sie zu vermitteln.

Auch diese gefundene Schildkröte fühlt sich im Schwerter Tierheim wohl. Das große Aquarium, das für sie gekauft werden musste, war sehr teuer. Insgesamt steigen die Kosten für Tierheime bedrohlich.

Auch diese gefundene Schildkröte fühlt sich im Schwerter Tierheim wohl. Das große Aquarium, das für sie gekauft werden musste, war sehr teuer. Insgesamt steigen die Kosten für Tierheime bedrohlich. © Martina Niehaus

Die Vorsitzende des Tierschutzvereins Anna Sonntag sagt: „Wir haben immer vorausschauend gewirtschaftet. Aber momentan sieht es schwarz aus.“ Catharina Seelig ergänzt: „Gefühlt fahren wir gerade mit Vollgas gegen eine Wand.“ Der praktische Tierschutz laufe aktuell in eine Katastrophe. „Viele Tierheime werden pleite gehen.“

Peter der Ziegensittich - wer hier automatisch an Heidi und den Ziegenpeter denkt, der rät richtig. Auch Peter sucht ein Zuhause.

Peter der Ziegensittich - wer hier automatisch an Heidi und den Ziegenpeter denkt, der rät richtig. Auch Peter sucht ein Zuhause. © Martina Niehaus

Ob das Schwerter Tierheim, das es seit 1956 gibt, davon auch betroffen sein wird, ist noch nicht klar. Es ist nicht städtisch, sondern wird vom Tierschutzverein in privater Trägerschaft betrieben. Rund 420 Mitglieder hat der Verein. „Jedes Jahr werden es weniger“, sagt Anna Sonntag.

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Weil alle weniger Geld haben, werde auch weniger gespendet. Und im Tierheim fragt man sich allen Ernstes, wie man den Winter überstehen soll. „Streu für unsere Kaninchen zum Beispiel ist um 100 Prozent teurer geworden“, sagt Anna Sonntag. Und auch wenn man versuche, Energie zu sparen, habe man allmählich keine Stellschrauben mehr. Anna Sonntag fragt: „Sollen wir die Lichter ausmachen und die Tiere in der Kälte stehen lassen?“

Anna Sonntag geht mit Knut Gassi. Er kommt aus einem rumänischen Zwinger und wurde noch gerade rechtzeitig vor dem Einschläfern gerettet.

Anna Sonntag geht mit Knut Gassi. Er kommt aus einem rumänischen Zwinger und wurde noch gerade rechtzeitig vor dem Einschläfern gerettet. © Martina Niehaus

Dann geht sie mit Knut spazieren, einem Mischling aus Rumänien. Hätte der Schwerter Tierschutz den Hund nicht übernommen, wäre er nächste Woche getötet worden. Knut ist zutraulich, schmiegt sich an und will gestreichelt werden. Sein Hals ist vernarbt von den Bissen der anderen Hunde aus dem rumänischen Zwinger. „Knut ist ein Mobbing-Opfer“, erklärt Anna Sonntag. Daher habe er auch Scheu vor anderen Hunden. Aggressiv wird er nicht, Knut ist lieb und anhänglich. Aber er schreit laut, wenn er sich bedroht fühlt.

Gina ist die eigentliche Chefin im Tierheim. In den Katzentrakt darf sie nicht - durch die Glasscheibe alles zu beobachten, hat ihr allerdings niemand verboten.

Gina ist die eigentliche Chefin im Tierheim. In den Katzentrakt darf sie nicht - durch die Glasscheibe alles zu beobachten, hat ihr allerdings niemand verboten. © Martina Niehaus

Lautstark meldet sich neben Knut übrigens auch Gina. Sie ist die offizielle Tierheim-Katze und herrscht selbstbewusst über Gelände und Büro. Mit tiefem Miau verkündet sie, dass sie das Sagen hat. Nur in den Katzen-Trakt darf sie nicht, aus Hygiene-Gründen.

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Dort wartet unter anderem Spooky auf ein neues Zuhause. Interessenten gebe es schon, erklärt Anna Sonntag. Trotzdem erzählt sie die Geschichte des kleinen Katers, der auf den ersten Blick komisch aussieht. Er wirkt dünn und knochig, sein Schwanz hat am Ende eine Art Quaste.

Für Spooky gibt es bereits Interessenten. Die Vorbesitzer hatten den kleinen Kater komplett rasiert und dann ausgesetzt. Wenn sein Fell nachwächst, sieht Spooky auch nicht mehr so dünn aus.

Für Spooky gibt es bereits Interessenten. Die Vorbesitzer hatten den kleinen Kater komplett rasiert und dann ausgesetzt. Wenn sein Fell nachwächst, sieht Spooky auch nicht mehr so dünn aus. © Martina Niehaus

Kater oder Löwenbaby? Catharina Seelig liefert die Erklärung: „Spooky ist von seinem Besitzer offenbar komplett rasiert worden. Möglicherweise hatte er Flöhe, denn wir haben Flohkot auf seiner Haut gefunden.“ Anstatt den kleinen Kater also tierärztlich zu behandeln, hat man ihn rasiert und ausgesetzt.

Manche der älteren Tiere bleiben bis zu ihrem Lebensende im Heim. „Unsere Tiere werden nicht nur gefüttert. Sie werden geliebt. Wir kennen sie alle mit ihren Marotten, und können darauf eingehen“, sagt Catharina Seelig.

Die mollige Pia liegt in ihrem Körbchen. "Unsere Tiere haben es gut, wir kennen sie und ihre Marotten", sagt Catharina Seelig. Trotzdem freut sie sich immer, wenn sie ein Tier vermitteln kann.

Die mollige Pia liegt in ihrem Körbchen. „Unsere Tiere haben es gut, wir kennen sie und ihre Marotten", sagt Catharina Seelig. Trotzdem freut sie sich immer, wenn sie ein Tier vermitteln kann. © Martina Niehaus

Trotzdem freuen sich die Tierschützer jedes Mal, wenn ein Tier erfolgreich vermittelt wird. So wie Schäferhündin „Ronja“, deren Frauchen sich die Haltung nicht mehr hatte leisten können. Das Tier hatte einen Tumor und schlechte Zähne. Ein Mädchen habe beim Gassigehen im Tierheim Gefallen an der Hündin gefunden. „Ronja lebt jetzt dort. Manchmal gibt es noch richtige Glücksfälle“, sagt Anna Sonntag.

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