
© Heiko Mühlbauer
Tätowierer sind sauer: „Versprochene, aber unterlassene Hilfeleistung“
Situation der Tattoostudios
Der Chef des Tattoostudios Human InkStinct, Frederic Siewert, macht der Politik schwere Vorwürfe und stellt klare Forderungen. Ein anderes Studio hat nach einem Rauswurf kein Personal mehr.
Frederic Siewert fehlt mittlerweile jegliches Verständnis. „Ich vertraue den Aussagen der Politiker nicht mehr, es gab zu viele Versprechen, die schon gebrochen wurden“, sagt der Geschäftsführer des Tattoostudios Human InkStinct. Insbesondere führt er dies auf die von der Bundesregierung angekündigten Hilfestellungen zurück. Hier sei zwar viel versprochen worden, in der Tat jedoch kaum etwas angekommen.
„Faktisch" keine Entschädigung für ersten Lockdown
Siewert belegt das mit konkreten Zahlen: Im ersten Lockdown im Frühjahr vergangenen Jahres habe er zunächst 9000 Euro erhalten, die er jedoch zu 100 Prozent zurückzahlen musste. Der Grund: Durch neue Konzepte und eine schnelle Anpassung an die Situation - beispielsweise den Online-Shop, Gutscheine und Gewinnspiele - konnte sein Betrieb Umsätze und einen minimalen Gewinn erzielen. „Das ist aber bei Weitem keine Entschädigung für die Verluste der Potenziale, die wir in dieser Phase gehabt hätten“, so Siewert. Immerhin habe sein Studio mit acht festangestellten Mitarbeitern in Schwerte und vier weiteren an seinem Standort in Bonn monatlich Fixkosten im mittleren fünfstelligen Bereich. „Eine Entschädigung gibt es für den ersten Lockdown also faktisch nicht“, erklärt der Tätowierer.
Auch nach der erneuten Schließung der Betriebe im November sei von den angekündigten Hilfsmaßnahmen noch nicht viel zu sehen gewesen: „Bei den Novemberhilfen gab es bisher eine Abschlagszahlung, die aber gerade einmal die Hälfte der laufenden Kosten unseres Betriebs für einen Monat deckt. Wir sind jetzt aber schon in Monat vier des Lockdowns – da muss man kein Professor sein, um zu sehen, dass es sich hier eigentlich nicht um eine Entschädigung handelt, sondern vielmehr um eine versprochene, aber unterlassene Hilfeleistung.“ Von den Dezemberhilfen möchte er erst gar nicht anfangen zu berichten: „Der Bericht würde sehr kurz ausfallen und wäre mit der Zahl ,Null‘ ausreichend beschrieben.“
„Kein einziger Grund, weshalb wir noch zu sein müssen“
Überhaupt sieht Siewert aktuell „keinen einzigen Grund, weshalb wir noch zu sein müssen.“ Es gebe eine Reihe von europäischen Ländern, in denen körpernahe Dienstleistungen gar nicht oder nur für einen minimalen Zeitraum verboten wurden. In Schweden, Polen, Italien, Spanien, Österreich oder der Schweiz werde schon längst wieder gearbeitet – und die Infektionszahlen seien trotzdem rückläufig.
Insbesondere im Vergleich zu Friseuren sei nicht zu erklären, weshalb ihnen nun erneut eine Sonderrolle eingeräumt werde, das Tätowieren aber weiterhin untersagt bleibe. „Ich gönne jedem Unternehmer und Unternehmen, auch den Friseuren, dass die Geschäfte wieder laufen dürfen. Aber nüchtern betrachtet: Die Kundensituation ist angesichts einer Dienstleistung, die nicht ohne Körpernähe durchgeführt werden kann, doch sehr ähnlich und wir haben Hygienevorschriften, die es bei keinem Friseur gibt“, versichert Siewert.
Weniger Kundenaufkommen als bei Friseuren
Außerdem sei das Kundenaufkommen in seinem Gewerbe weitaus geringer. „Ein Herrenfriseur hat zehn bis 15 Kunden pro Tag, unser Tätowierer maximal zwei. Wenn es doch immer um Kontaktreduzierung geht – wieso werden dann wesentlich stärker frequentierte Orte geöffnet und wir bleiben zu? Hier kann sich auch jeder Politiker gerne mal den ÖPNV ansehen, da fehlt einem als Unternehmer doch jedes Verständnis für die Maßnahmen.“
Zudem sei seine Zielgruppe sehr jung: „Die Leute, die zu uns kommen, sind zum Großteil zwischen 18 und 35 Jahre alt. In dieser Gruppe ist die Gefährdung durch den Virus so gering und jeder kann sich doch selber auch aussuchen, ob er das Risiko eingehen möchte, wenn er dieses für sich sieht oder nicht."
Seine Forderung an die Politik ist deshalb eindeutig: „Sofern ab März Schnelltests zur Verfügung stehen, muss geöffnet werden.“
Warum sind Schönheits-OPs weiter erlaubt?
Sasa Blume, Inhaberin des Tattoostudios „Damn Deep2 Tattoo“ an der Hagener Straße, betrachtet die Situation differenzierter. Grundsätzlich sei die wirtschaftliche Situation ihrer Branche äußerst angespannt. Mit der Überweisung der Wirtschaftshilfen habe sie bisher aber wenig negative Erfahrungen gemacht. „Die Wirtschaftshilfen im Frühjahr waren sehr schnell da und auch die November- und Dezemberhilfen sind zügig angekommen“, so Blume. Allerdings kritisiert sie, dass durch die Gelder des Bundes nicht die kompletten Verluste der Betriebe kompensiert würden: „Wenn wir zugunsten der Allgemeinheit schließen müssen, verstehe ich nicht, weshalb wir über einen so langen Zeitraum mit 75 Prozent unserer normalen Einkünfte auskommen sollen.“

Sasa Blume betreibt das Tattoostudio "Damn Deep2 Tattoo" an der Hagener Straße. © privat
Während sie Verständnis für die frühzeitige Öffnung der Friseure zeigt, ärgert sie sich, dass die plastische Chirurgie trotz Lockdown weitermachen darf. „Ich habe dazu mehrmals Mails an das Land geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen.“
Studio ohne Personal - Mitarbeiter wurde gekündigt
Probleme bereitet Sasa Blume, die zudem ein gleichnamiges Studio in Dortmund betreibt, aktuell nur die personelle Situation Schwerte, wo nur ein freier Mitarbeiter als Tätowierer tätig ist. Er hatte angekündigt, das Studio zu schließen, was die Chefin jedoch dementierte: „Das steht momentan nicht zur Debatte.“ Allerdings hätten sie und ihr Mitarbeiter ein „sehr unterschiedliches Verständnis von Professionalität gehabt“, weshalb sie ihm gekündigt habe. Sie sei aber auf der Suche nach neuem Personal für den Standort.