Jürgen Paul (65) ärgert sich über die Sparkasse. Er wollte für eine geflüchtete Ukrainerin ein Konto eröffnen. Doch es war komplizierter als gedacht. © Martina Niehaus
Ukraine-Flüchtlinge
Stress bei der Kontoeröffnung: „Brauchen Flüchtlinge etwa ein Jodeldiplom?“
Jürgen Paul ist sauer. Er möchte für eine geflüchtete Ukrainerin ein Konto eröffnen – doch mit den Ausweisdokumenten der Frau stößt er bei der Sparkasse Schwerte auf Widerstand.
Mitte März sind sie bei Jürgen Paul aus Westhofen eingezogen: Svitlana V. (46) und ihre elfjährige Tochter Oksana sind aus Kiew geflohen. Ihr Mann und ihr Bruder mussten in der Ukraine bleiben. In Schwerte haben die Frau und ihre Tochter eine Zuflucht gefunden.
„Meine Frau und ich haben in Minsk geheiratet. Sie spricht russisch, denn ihr Vater ist Weißrusse und ihre Mutter Ukrainerin“, erzählt der 65-jährige Jürgen Paul. Die Kinder der beiden leben nicht mehr zu Hause, Platz ist da. Über Verwandte und Bekannte sei der Kontakt zu der geflüchteten Mutter und ihrer Tochter hergestellt worden.
Drei Ausweisdokumente sind in der Ukraine gängig
Anfangs, erklärt Jürgen Paul, sei alles ganz normal gelaufen. Er habe Mutter und Tochter aufgenommen und dann bei der Stadt Schwerte angemeldet. Svitlana und die Kleine hätten ihren Bürgerpass dabei gehabt, ein in der Ukraine neben dem Reisepass und dem Personalausweis gängiges Ausweisdokument.
„Beim Sozialamt hat mir der Sachbearbeiter dann am 11. April gesagt, ich solle am besten ein Konto eröffnen. Für Sozialleistungen oder Lohn.“ Er solle mit Svitlana zusammen zur Sparkasse rübergehen, das sei der „einfache Weg“.
„Alles, was sie bei sich hatte, war eine Plastiktüte“
Doch ganz so einfach wie gedacht ist dieser Weg offenbar nicht. Bei der Sparkasse habe man sich den Wunsch von Jürgen Paul und Svitlana V. zur Eröffnung eines Kontos angehört und die Unterlagen kopiert.
„Dann hat einige Tage später eine Mitarbeiterin der Sparkasse angerufen und gesagt, die Dokumente reichten nicht aus. Wir bräuchten mindestens einen Reisepass, die rechtliche Grundlage zu einer Kontoeröffnung fehle.“ Jürgen Paul ist wütend. „Woher soll die Frau einen Reisepass nehmen? Sie hat die Ukraine früher nie verlassen, sie besitzt gar keinen Reisepass. Alles was sie bei sich hatte, war eine Plastiktüte mit ihrem Pröttel drin.“
Die Sparkassenmitarbeiterin habe außerdem von Geldwäsche und Terrorismus gesprochen, sagt Paul. Angesichts der Situation der Geflüchteten bringt das den Schwerter noch mehr in Rage. „Das ist unfassbar. Ich habe angeboten, für die Frau zu bürgen. Sie ist hier bei mir gemeldet.“ Doch das habe niemanden interessiert.
„Erweiterte Aufenthaltserlaubnis“ wird gefordert
Einige Tage später habe es ein erneutes Telefonat gegeben. „Ich solle jetzt eine erweiterte Aufenthaltserlaubnis mitbringen.“ Jürgen Paul explodiert. „Ich muss erleben, dass ich als Antragssteller vor eine Wand renne. Wie soll das jemand aus der Ukraine ohne Hilfe schaffen?“
Am Donnerstag (21.4.) erhalten Svitlana und ihre Tochter bei der Ausländerbehörde des Kreises Unna eine Bescheinigung über ihr Aufenthaltsrecht, die ein Jahr gültig ist. Damit darf Svitlana arbeiten. In dem Dokument, das der Redaktion vorliegt, steht: „Diese Bescheinigung dient insbesondere zur Vorlage bei Behörden, Banken und Wohnungsgebern.“
Die Aufenthaltserlaubnis des Kreises gilt für ein Jahr. Doch sie reicht nicht als Dokument zur Vorlage für eine Kontoeröffnung aus. © Repro Niehaus
Das ist eine gute Nachricht, denn Svitlana hat inzwischen einen Job als Reinigungskraft bei der Bundesknappschaft gefunden, den sie demnächst antreten soll. Doch wohin soll man ihr das Geld überweisen? „Lohntüten gibt es leider nicht mehr“, schimpft Jürgen Paul.
Sparkassenchef: Bürgerpass in kyrillischer Schrift ausgestellt
Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt der Vorstandschef der Schwerter Sparkasse Ulrich Bartscher: „Wir haben uns ausführlich mit Herrn Paul auseinandergesetzt und ihm erklärt, wozu wir diese erweiterte Meldebescheinigung brauchen.“ Denn der Bürgerpass sei nur auf kyrillisch ausgestellt.
„Das ist der Unterschied“, erklärt Bartscher. Im Reisepass und im Personalausweis stehe neben der kyrillischen auch die romanische Schrift. Im Bürgerpass nicht. Und das geforderte Begleitdokument sei eben eine Art Übersetzung der kyrillischen in die romanische Schrift.
„Wir müssen wissen, wer da vor uns steht“
„Bei einer Kontoeröffnung müssen wir einfach wissen, wer da vor uns steht“, sagt Bartscher. „Und meine Mitarbeiter können kein kyrillisch. Wir brauchen dieses verbindende Element zum Pass.“ Der Aufenthaltstitel des Kreises reiche da nicht aus. „Das ist etwas ganz anderes. Aber das wollte Herr Paul nicht einsehen.“
Jürgen Paul hingegen besteht darauf: Anfangs habe ihm niemand etwas von einer erweiterten Meldebescheinigung gesagt. „Bei der Stadt wusste das niemand, und bei der Sparkasse sprach man nur von rechtlichen Grundlagen und internen Anweisungen.“
So sieht eine „Erweiterte Meldebescheinigung“ aus, die zum ukrainischen Bürgerpass passt. © Repro Niehaus
Ulrich Bartscher sagt dazu, er habe der Stadt Schwerte eine Mail zukommen lassen mit den Infos, welche Ausweisdokumente man brauche. Diese Mail, die der Redaktion vorliegt, wurde am 20. April verschickt – neun Tage nach dem ersten Versuch Jürgen Pauls, ein Konto zu eröffnen. Ob es möglich ist, dass die Stadt Schwerte zuvor einfach nicht wusste, welche Dokumente die Flüchtlinge benötigen? Dazu sagt Bartscher auf Anfrage: „Inzwischen macht die Stadt das alles richtig.“
Geldwäsche? „Wir unterstellen niemandem etwas“
Und was ist mit den Andeutungen auf Geldwäsche und Terrorismus? „Völliger Quatsch, wir unterstellen hier niemandem etwas“, so der Sparkassenchef. Doch es gebe das „Gesetz zur Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung“, und Deutschland gelte nun mal weltweit als Geldwäsche-Paradies. „Deshalb muss jeder Kontoinhaber klipp und klar identifiziert werden.“ Grundsätzlich sei es Geflüchteten jederzeit möglich, ein Konto zu eröffnen.
Dieter Böhmer vom Arbeitskreis Asyl hat auch mit Jürgen Paul über dessen Odyssee gesprochen. Er sagt: „Das ist mir neu, dass es solche Probleme gibt.“ Bisher sei die Zusammenarbeit mit der Sparkasse „absolut reibungslos“ verlaufen, die Mitarbeiter seien auch stets freundlich und hilfsbereit gewesen. Die Flüchtlinge, für die er selbst ein Konto eröffnet habe, hätten allerdings ihre Reisepässe dabei gehabt.
Ein Konto ist jetzt da – bei einem anderen Institut
Bei der Stadt Schwerte konnte Stadtsprecher Ingo Rous am Mittwoch (27.4.) auf Anfrage noch keine konkreten Informationen zu dem Prozedere geben. „Wir sind immer bemüht, in jedem konkreten Fall zu helfen“, sagte er. Wie die aktuellen Anweisungen lauteten, werde gerade geprüft.
Nach vielen Telefonaten mit den Behörden und der Sparkasse liegen bei dem Schwerter Jürgen Paul die Nerven blank. © Martina Niehaus
Jürgen Paul schnaubt vor Wut. „Wahrscheinlich brauchen Flüchtlinge demnächst ein Jodeldiplom, wenn sie ein Konto eröffnen wollen“, sagt er. Er hat am Mittwochnachmittag gemeinsam mit Svitlana V. ein anderes Schwerter Geldinstitut aufgesucht. Einige Tage zuvor hatte er die Dokumente dort vorbeigebracht. „Das Prozedere hat insgesamt eine halbe Stunde gedauert. Meine Frau hat die kyrillische Schrift am Telefon per Videochat übersetzt.“
Jetzt sei ein Girokonto für Svitlana V. eingerichtet, 10 Euro habe sie eingezahlt. Eine erweiterte Meldebescheinigung habe niemand verlangt.
Svitlana V. und ihre Tochter sind aufgrund der psychischen Belastung während und nach ihrer Flucht aus Kiew eher scheu und zurückhaltend. Sie wollten deshalb nicht fotografiert oder mit vollem Namen genannt werden. Die Ausweisdokumente und Unterlagen liegen der Redaktion jedoch vor.
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