
© Martina Niehaus
Schwerter Pastor hilft Flüchtlingen: „Selbst im größten Leid gibt es Hoffnung“
Krieg in der Ukraine
Mitte März fuhr Pastor Dinesh Sinnathurai an die polnisch-ukrainische Grenze, um dort zu helfen. Er hat viele Menschen getroffen und ihre teils unfassbaren Erlebnisse angehört.
Eine Mutter verliert ihre 14-jährige Tochter im Chaos auf der Flucht vor den russischen Truppen aus den Augen. Eine andere Frau beschreibt einen Raketenangriff auf ihr Wohnhaus, bei dem die Großmutter ums Leben kommt. Die Dinge, die Menschen aus der Ukraine erzählen, sind teils unfassbar.
Pastor Dinesh Sinnathurai (35) hat viele dieser Geschichten gehört. Als Mitglieder der Schwerter Freikirche IMC (International Maranatha Church) Mitte März an die ukrainisch-polnische Grenze fahren, hört er bereits von Helfern vor Ort: „Komm nur mit, wenn du mental stark bist.“
Eltern flohen vor Krieg auf Sri Lanka
Doch das kann den 35-jährigen Familienvater nicht von seiner Reise ins Grenzgebiet abhalten. „Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern sind damals vor dem Krieg auf Sri Lanka geflohen“, erzählt er beim Treffen im Gemeindehaus der Maranatha-Gemeinde an der Ostberger Straße. Bei späteren Besuchen auf Sri Lanka habe er dort „schlimme Sachen“ gesehen.
Deshalb fährt er mit – zusammen mit dem Missions- und Hilfswerk AVC, das sich weltweit für verfolgte Christen und Notleidende einsetzt. Die Gemeinden sind eng vernetzt; und auch in Polen und der Ukraine gibt es Partnergemeinden. Rund 30 Helfer sind dabei.
„Wegen meines Aussehens kannten mich die Polizisten“
Im Auffanglager im polnischen Przemyśl, das nahe am Grenzübergang Medyka liegt, kommt Dinesh Sinnathurai am 14. März an. Rund 1.000 Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, sind zu diesem Zeitpunkt dort in einem umgebauten Tesco-Einkaufszentrum untergebracht.
Die Helfer haben rund sieben Mini-Vans mit jeweils neun Sitzen dabei. „Wir haben zunächst die Mitglieder unserer Partnergemeinden abgeholt und in die polnischen Gemeinden gebracht, da klappten die Absprachen sehr gut“, erzählt der Pastor.

Mit Mini-Vans brachten die Helfer eine Woche lang viele Flüchtlinge in Sicherheit. Insgesamt fuhren sie 35.000 Kilometer und halfen 189 Personen. © Sinnathurai
Dann sei man auch direkt ins Grenzgebiet gefahren, um zu helfen. „Dort war alles chaotisch.“ Täglich habe sich die Situation geändert. Oft seien die Helfer mit den Mini-Vans von der Polizei kontrolliert worden. „Bei mir war das komisch, wegen meines Aussehens kannten mich bald alle Polizisten und haben mich durchgewunken“, erzählt der Mann mit dem dichten dunklen Vollbart und lacht.

Pastor Dinesh Sinnathurai (35) war gemeinsam mit anderen Helfern im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet. © Sinnathurai
Raketenangriff – und die kleine Tochter versteckt sich
Doch als er von den Schicksalen seiner Fahrgäste erzählt, wird er wieder ernst. So habe eine junge Frau von der Panik während eines Raketenangriffs auf ihr Wohnhaus erzählt.
„Die Sirenen gingen, und sie lief mit der Oma bereits auf den Hof in Richtung Luftschutzkeller. Sie musste aber noch einmal zurück, weil sich die knapp dreijährige Tochter in der Wohnung versteckt hatte“, erinnert sich der Schwerter Pastor an die Geschichte.

Eine Familie winkt einem Feuerwehrmann nach einem russischen Raketenangriff aus ihrem Fenster zu. © picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire
Als die Ukrainerin ihre Tochter endlich findet, ist es bereits zu spät: Die russischen Raketen schlagen ein. Sie treffen aber nicht das Haus, sondern den Hof. Und die Oma kommt bei dem Angriff ums Leben. Die Mutter und ihre Tochter überleben eng umschlungen in der Wohnung den Angriff. Später können sie fliehen.
„Wer jetzt nicht einsteigt, kommt nicht mehr weg.“
Eine andere dramatische Geschichte ist die der 14-jährigen Anna. Sie ist in der Schule, als in ihrer Stadt – Sinnathurai erinnert sich nicht mehr an den Namen – die Alarmsirenen heulen. Ihre Mutter steht inzwischen mit dem kleinen Bruder an der Hand vor einem Evakuierungsbus. „Das ist der letzte Bus“, sagt der Fahrer. „Wer jetzt nicht einsteigt, kommt nicht mehr weg.“
Annas Mutter steigt verzweifelt mit dem kleinen Sohn in den Bus – und schickt Annas Onkel, der bei der Feuerwehr arbeitet, zur Schule. Er soll das Mädchen abholen und mit dem Auto zur Grenze bringen. Doch an der Schule ist niemand mehr. Wegen des Raketenalarms sind alle weggelaufen.
Tagelanges Bangen um Anna
Tagelang versuchen die Familienmitglieder, Kontakt zu der 14-Jährigen herzustellen. Erst eine Woche später meldet sie sich völlig erschöpft. „Sie hatte ihr Handy nicht laden können, war zur Grenze unterwegs“, erzählt der Pastor.
Gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern wartet er am Grenzübergang auf Anna. „Die Polizisten haben uns häufig überprüft. Ist ja logisch, wir stehen da und sagen, wir warten auf eine 14-Jährige.“ Endlich kommt das Mädchen an. „Die Kleine war völlig fertig, sie hatte seit einer Woche die gleichen Sachen an“, erzählt Dinesh Sinnathurai. Doch endlich kann die Mutter ihr Kind wieder in die Arme nehmen.

Helfer mit der 14-jährigen Anna: Die junge Frau ist erschöpft, aber alle sind glücklich. Anna hatte ihre Familie im Chaos verloren und sich eine Woche allein zur polnischen Grenze durchgeschlagen. © privat
Hoffnung – gibt es die gerade überhaupt?
Es sind Momente wie diese, in denen Dinesh Sinnathurai auch von Hoffnung spricht. „Die Mutter, die zu ihrer Tochter in die Wohnung zurückgelaufen ist. Irgendwie ist sie beschützt worden. Und das 14-jährige Mädchen hat seine Familie wiedergefunden.“
Hoffnung macht dem Pastor auch, dass die vielen Freiwilligen im Grenzgebiet oft mit einem Lächeln gearbeitet hätten – trotz aller Erschöpfung. Oder dass Mitglieder der russischen Freikirche in Dortmund bereitwillig ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben. „Auch wenn die politischen Einstellungen unterschiedlich sind: Bei uns zählt die christliche Nächstenliebe.“

Sogar aus Spanien waren Menschen gekommen, um die Geflüchteten und Helfer mit Essen zu versorgen. Der Schwerter Pastor: „So etwas macht mir Hoffnung. Und die Paella war großartig." © Sinnathurai
Wenn der 35-jährige Schwerter von Hoffnung und Nächstenliebe spricht, klingt es fast ein wenig trotzig. Denn ihm ist durchaus bewusst, dass viele Menschen gerade alle Hoffnung verloren haben. Dass in ukrainischen Städten Massaker passieren.
Doch Dinesh Sinnathurai glaubt und hofft trotzdem weiter. „Ich habe dort keine Nachrichten gesehen. Ich habe Menschen gesehen“, erzählt er. Und er ist froh, dass er die Reise unternommen hat – auch wenn er nicht allen helfen konnte. „Wir können nicht die ganze Welt retten“, sagt er. „Aber wir können vielleicht die Welt einiger Personen retten.“
IMC möchte Flüchtlingen in Schwerte helfen
- Die freikirchliche Gemeinde der „International Maranatha Church“ in Schwerte möchte auch vor Ort Geflüchteten beistehen. Pastor Dinesh Sinnathurai plant, ein Begegnungscafé einzurichten.
- In Zukunft möchte er auch ermöglichen, Gottesdienste auf ukrainisch zu verfolgen – zum Beispiel über Kopfhörer. Dazu sucht er noch Helfer, die ukrainisch sprechen können.
- Wer Interesse hat oder helfen möchte, kann sich per E-Mail an info@imcschwerte.de an die Gemeinde wenden.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
