Heike (61) lässt den Tod freiwillig in ihr Leben Schwerterin begleitet Menschen beim Sterben

Heike (61) ist „Freundin auf Zeit“: Sie begleitet Menschen beim Sterben
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Der Tod gehört zwangsläufig zum Leben dazu, das weiß jeder. Trotzdem ist es ein Thema, über das viele Menschen gar nicht nachdenken möchten, noch weniger wollen sie darüber reden.

Heike Kotter (61) aus Schwerte wird auf dem schwarzen Brett im Supermarkt auf den Aushang des ambulanten Hospizdienstes der Malteser aufmerksam und beschließt, den Tod aktiv in ihr Leben zu lassen: Im Januar hat die Schwerterin ihre Qualifizierung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin begonnen. „Ich hatte den Tod schon in meinem Leben – ich weiß gar nicht, ob er mehr da ist als vorher“, sagt sie, lächelt, und zuckt mit den Schultern.

„Freundschaft auf Zeit“

Drei Menschen (und ihre Familien) hat sie seither begleitet. Sie reden, trinken Kaffee – oder Heike Kotter ist einfach nur da und ermöglicht es Angehörigen, mal eine Auszeit zu nehmen.

Auf die Frage, ob es nicht schwer ist, jemanden mit dem Wissen kennenzulernen, dass man nicht mehr viel Zeit zusammen haben wird, zögert sie kurz und antwortet dann: „Ich akzeptiere einfach, dass das eine Freundschaft auf Zeit ist. Es gibt Freunde, die hat man ein Leben lang und welche, die begleiten einen nur für ein Stück. Darüber muss man nicht böse sein.“

Die Eltern der Schwerterin sind beide schon gestorben. Ihre Mutter im Jahr 2012, ihr Vater im Jahr 2021. Ihre Mutter litt an einer Vorstufe der Leukämie, weigerte sich bis zum Schluss über den Tod und ihre Gefühle zu sprechen, wollte es nicht wahrhaben, dass sie an der Krankheit sterben wird: „Das war schlimm für uns. Die Sorge ist da, dass sie Angst hatte oder dass wir ihr hätten helfen können.“

Diagnose Brustkrebs im Jahr 2012

Wie schwer es dann aber doch ist, Sorge und Verzweiflung mit Angehörigen zu teilen, das weiß Heike Kotter von sich selbst. 2012 stirbt nicht nur ihre Mutter, sie bekommt auch die Diagnose Brustkrebs, wird operiert und macht die Chemo-Therapie durch.

„Sowohl körperlich als auch seelisch bin ich fast daran zerbrochen. Ich war verzweifelt. Meinen Verwandten gegenüber hab ich weiter aufrechterhalten, dass sie sich keine Sorgen machen sollen.“ Ihre Miene ist ernst. Gleichzeitig hat sie gemerkt, dass sich ihre Freunde mehr und mehr zurückziehen, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. „Ich wollte doch nur einen blöden Film gucken, Kaffee trinken“, sagt sie. Sie lächelt wieder.

Jemand schaltet mit einer Fernbedienung den Fernseher ein.
Das Gefühl von Normalität trotz der Diagnose Brustkrebs: Heike Kotter hätte gern einfach mal einen Film mit Freunden geguckt. © Erik Mclean/Unsplash.com

„Ich sehe auch die Stärke hinter dem Leid“

Ein starker familiärer Zusammenhalt sei wichtig, so Heike Kotter, aber es sei eben auch wichtig, dass jemand da sei, mit dem man seine Sorgen teilen könne, wenn man sich fürchtet vor Schmerzen und dem Tod. Das möchten viele den eigenen Verwandten allerdings nicht aufbürden.

Ihren Vater hatte Heike Kotter bis zu seinem Tod gepflegt. Auch jetzt, zwei Jahre später, sei der Verlust immer noch schlimm. „Wenn ich damals gewusst hätte, dass die Malteser kommen, dann hätte ich ihm einen Mann gegönnt.“ Sie lacht. „Mit dem er Männergespräche hätte führen können, ganz frei von der Leber weg.“ Sie hatte im Kopf, dass sie diese schwere Zeit alleine durchstehen müsse. Heute weiß sie, dass das nicht so ist.

Für andere Familien ist sie jetzt so jemand, der da ist und Unterstützung gibt. Jetzt im Ruhestand hat sie Zeit dafür. „Ich sehe auch das Leiden, aber ich sehe auch die Stärke hinter dem Leid. Mut. Konsequenz.“ Sie denkt dabei an eine ganz bestimmte Frau, die sie vor ihrem Tod besucht hat.

Trotz schwerer Krankheit regelte die Schwerterin alles selbst. Gab ihre wohl gepflegte Kleidung in gute Hände, entschied sich in ein Hospiz zu gehen, als es so weit war. Heike Kotter schmunzelt, während sie von ihr erzählt, von ihrer Freundin auf Zeit. Liebevoll erzählt sie von den Menschen, die sie in deren letzten Lebensabschnitt begleitet hat. „Ich ziehe Lebensfreude daraus, Menschen beim Sterben zu begleiten. Ich lerne, das Leben als Geschenk zu nehmen.“

Eine Kaffeetasse steht auf einem Tisch.
Reden oder auch nicht reden - manchmal ist es auch einfach schön bei einem Kaffee zusammenzusitzen. © picture alliance/dpa

Ausgleich: Garten und Krimis

„Ich hatte gehofft, du lässt die Finger davon“, hatte ihre Schwester gesagt. In Sorge, dass sie sich zu viel zumute. „Ich bin froh, dass sie das sagt. Sie ist mein kritischer Aufpasser. Sie kennt mich gut“, sagt Heike Kotter.

Unvorbereitet geht die Schwerterin nicht zu diesen Treffen: „Ich sehe zu, dass ich bei mir bin. Wird es ein guter Tag? Wird es ein schwieriger Tag? Wenn jemand verzweifelt ist, muss man es mit aushalten. Auch mal still dort sitzen. Es aushalten, wenn jemand weint. Es aushalten, nicht wegzugehen.“

Zu Hause lässt sie das Geschehene Revue passieren, geht in den Garten oder liest einen ihrer Krimis, die sie liebt. Ein Mal im Monat gibt es ein Treffen der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter des ambulanten Hospizdiensts zum Austausch. Die Schweigepflicht werde nie verletzt, aber es biete Raum, um über Herausforderungen zu sprechen, sagt Heike Kotter. Denn ganz klar, die gebe es.

„Der Begriff ‚Hospiz‘ ist Angst-behaftet“

Insgesamt gibt es 20 Ehrenamtliche im Team um Leiterin Veronika May in Schwerte. „Der Begriff ‚Hospiz‘ ist Angst-behaftet“, sagt sie. Dabei könne der ambulante Hospizdienst Menschen auch monate- oder jahrelang begleiten. Außerdem haben auch alle Religionen ihren Platz.

Heike Kotter bereut ihre Entscheidung nicht, im Gegenteil: „Der Tod ist nicht mehr das große, schwarze Schreckgespenst, sondern ein guter Bekannter“, sagt sie. Wieder lächelt die Schwerterin. „Ich bin total zufrieden und glücklich mit dem, was ich tue.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist bereits am 17. Februar 2024 erschienen. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle erneut.

Alle Angebote der Malteser in Schwerte sind kostenfrei. Koordinatorin Veronika May steht unter der Rufnummer (02304) 910 60 86 für eine erste unverbindliche Kontaktaufnahme zur Verfügung.

Nicht nur die Malteser bieten einen ambulanten Hospizdienst an: Die „Brücke - Sterbe- und Trauerbegleitung Schwerte e.V.“ kann ebenfalls Ansprechpartner sein unter Tel. 0151 40 34 57 08.

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