Stadtmarketing und TWS im Interview „Innenstadt ist wie Wirtschaft – ein atmender Prozess“

Stadtmarketing und TWS: „Innenstadt ist wie Wirtschaft – ein atmender Prozess“
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Nach langem Vorlauf wurde 2019 das Schwerter Stadtmarketing professionalisiert und als eigenständige Sparte unter das Dach der kommunalen Technopark- und Wirtschaftsförderung Schwerte (TWS) gestellt, die durch Geschäftsführer Christoph Gutzeit und Prokurist Jens Ewald vertreten wird.

Im April dieses Jahres hat Michaela Zorn-Koritzius die Leitung des Schwerter Stadtmarketings von ihrem Vorgänger Michael Kersting übernommen. Im Fokus ihrer Arbeit stehen die Stärkung des Schwerter Einzelhandels, die Unterstützung und Durchführung von bestehenden und neuen Veranstaltungen sowie die Verbesserung der Standortkommunikation. Wichtigstes Aufgabenfeld des Stadtmarketings ist aber das Geschäftsflächenmanagement.

Christoph Gutzeit, Michaela Zorn-Koritzius, Jens Ewald, TWS und Stadtmarketing Schwerte
Christoph Gutzeit (v.l.), Michaela Zorn-Koritzius und Jens Ewald vor der ehemaligen Verwaltungszentrale von Hoesch Schwerter Profile, die zur „Factory 4“ wird (wir berichteten). © Heiko Mühlbauer

Frau Zorn-Koritzius, Herr Gutzeit, Herr Ewald, wie viele Leerstände haben wir aktuell in Schwerte?

Zorn-Koritzius: In Schwerte verfügen wir über eine Verkaufsfläche von insgesamt 78.000 Quadratmetern, dazu gehören die Innenstadt und die Ortsteile. Die Leerstände als solche zählen wir nicht einzeln, da spricht man immer – auch im Vergleich mit anderen Städten – über eine Quote. Die liegt bei uns bei rund 9 Prozent.

Wie ordnen Sie diese Quote ein?

Zorn-Koritzius: Die Quote ist natürlich da, aber wir sehen das Ganze auch im Vergleich zum regionalen Umfeld. Da sind die Leerstände hier in Schwerte noch als moderat anzusehen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für die Leerstände?

Zorn-Koritzius: Die liegen natürlich einmal in der Entwicklung des Kaufverhaltens als solches, und auch die Corona-Krise hat dazu beigetragen. Das ist in vielen anderen Städten ebenfalls zu beobachten.

Spürt man Corona immer noch?

Ewald: Im Handel ist es natürlich so, dass Corona noch mal ein Beschleuniger für das Thema Online-Handel war, und das lässt sich an vielen Stellen auch nicht mehr zurückdrehen.

Gutzeit: Corona ist ein Beschleuniger, aber das Kaufverhalten grundsätzlich hat sich geändert. Ich kann mich noch an meine Zeit erinnern: Früher war Einkaufen samstags mit den Eltern ein Erlebnis, man fuhr in die Innenstadt und wurde als Familie ausgestattet. Das ist heute nicht mehr so. Der Trend zum Online-Handel ist einfach da. Dann gibt es Faktoren wie Corona, wie Inflation, das sind alles Beschleuniger dieser Entwicklung.

Das hat einen mächtigen Druck auf die Innenstädte ausgeübt, auf den stationären Einzelhandel. Das sind überregionale Trends, das ist kein spezifisches Schwerte-Phänomen. Das betrifft auch große Städte wie Dortmund und Hagen, die ebenfalls mit Leerständen zu kämpfen haben.

Leerstand in Schwerte
Die aktuelle Leerstandsquote von rund 9 Prozent stuft das Stadtmarketing als „moderat“ ein. © Hella Horstendahl

Was wird gegen die Leerstände unternommen? Wie sehen Ihre Konzepte aus?

Zorn-Koritzius: Wir erfassen und analysieren die einzelnen Objekte. Wir haben eine Datenbank, in der rund 400 Ladenlokale hinterlegt sind. Wir sprechen sehr intensiv – sowohl mit den Immobilieneigentümern, aber auch mit interessierten Mietern –, um zu schauen: Wo sind die Bedarfe? Wo kann es „matchen“ zwischen Eigentümer und Mieter?

Ansonsten schauen wir, wo es Fördergelder gibt. Wir warten derzeit auf eine Zuteilung von Fördergeldern, um verschiedene kleinere Kampagnen auf die Beine zu stellen, wie Pop-up-Stores und Pop-up-Events. Eines davon ist jetzt im Kotte-Haus gelaufen. Gerade so eine Veranstaltung bietet einem interessierten Nachmieter die Möglichkeit, sich das Ladenlokal einmal anzuschauen, ganz unabhängig von einem normalen Besichtigungstermin.

Darüber hinaus haben wir einen Ladenlokalfinder auf unserer Webseite eingebunden, dort kann der Eigentümer seine Immobilie kostenfrei bewerben.

Grundsätzlich sehen wir, dass auch der Schwerter Handel interessiert daran ist, vor Ort etwas zu tun. Der zieht sich nicht zurück, sondern sagt: Wir stehen für Schwerte, wir stehen für unsere Kunden, wir verzeichnen auch viele auswärtige Kunden aus Iserlohn und Hagen, die sagen, Schwerte schätzen wir sehr, die Innenstadt, die vielen Händler-geführten Läden.

Ich glaube, dass die Leute die Leerstände gar nicht als so schlimm ansehen. Wir sind sehr mit der Kulturinitiative vernetzt. Vielleicht kann man Leerstände auch für eine temporäre Kunstgalerie nutzen.

Wie sieht man das aus Sicht der Wirtschaftsförderung?

Gutzeit: Die Professionalisierung des Stadtmarketings 2019 als Sparte bei der TWS ist unsere Antwort auf Leerstände in der Innenstadt. Die Idee dahinter ist, das Stadtmarketing ganz bewusst als Büro in der Innenstadt anzusiedeln. Wenn man auf die Geschäftsfelder des Stadtmarketings guckt, dann steht das Geschäftsflächenmanagement an erster Stelle. Man hat eine Kümmerin für die Innenstadt und für den Handel in den Ortsteilen.

Auf die Immobilieneigentümer einzuwirken, zu fragen: Wie sieht es mit eurer Immobilie aus? Und dann einen Matching-Prozess zwischen den Eigentümern und Mietinteressenten zu initiieren, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument. Für Schwerte ist es ganz wichtig, dass sich jemand wirklich professionell um diese Leerstände und um das Thema Immobilieneigentümer und Mietinteressenten kümmert.

Pop-up-Event Kotte
Am 19. August wurde das Pop-up-Event „Schwerter originals“ im ehemaligen Kotte-Haus gefeiert. Der Eigentümer verriet, dass der Leerstand schon bald verschwinden könnte. © Felix Mühlbauer

Es ist wichtig, dass jemand zuständig ist. Am Ende sind es aber mehrere Bausteine, die ineinandergreifen.

Gutzeit: Genau, es gibt natürlich noch eigene Maßnahmen der Stadt wie das integrierte Handlungskonzept. Bahnhofsvorplatz und Bahnhofstraße sind umgesetzt, im Moment steht der Umbau des Marktplatzes an und ist als weitere Attraktivitätssteigerung zu sehen, das muss man klar sagen. Darüber hinaus setzt die Stadt auch noch andere Projekte um, wie zum Beispiel die Wanderbäume. Zu nennen ist auch die enge Zusammenarbeit mit der Interessensgemeinschaft Schwerter Innenstadt.

Zorn-Koritzius: Es ist ein Gesamtkonzept von allen und von ganz vielen Akteuren und Playern. Je besser wir im Stadtmarketing vernetzt sind, desto besser funktioniert Stadtmarketing, und zwar mit allen Beteiligten und zusammen mit verschiedenen Bereichen der Stadtverwaltung. Bezüglich des Marktplatzes sind wir in der Arbeitsgruppe Marktplatzumbau mit vertreten.

Wir sind – wenn Sie so wollen – mit unseren Ohren überall und stellen uns auch immer die Frage: An welcher Stelle können und müssen wir unterstützen? Unser Motto ist „stärken, vernetzen und gestalten“ – und am Ende geht es genau darum. Wir bedienen viele Kanäle mit einem sehr kleinen Frauenpower-Team, aber wir sind ständig am Ball, bei ganz vielen Sachen.

Haben Sie derzeit konkrete Pläne, beispielsweise für einen Pop-up-Store oder eine Galerie?

Zorn-Koritzius: Ja, es laufen im Moment zwei Anfragen von Schwerter Firmen, die gerne temporäre Pop-up-Stores zur Weihnachtszeit eröffnen möchten.

Wie wichtig sind Veranstaltungen?

Gutzeit: Das Veranstaltungsmanagement ist natürlich wichtig, das Begleiten von bestehenden Formaten durch das Stadtmarketing und auch das Initiieren von neuen Veranstaltungsformaten. Zum Beispiel das Weinfest. Es ist immer wichtig für die Belebung von Innenstädten, neue Zielgruppen und Bürgerinnen und Bürger hier vor Ort anzusprechen, und ein gewisses Flair zu erzeugen. Verkaufsoffene Sonntage werden vom Stadtmarketing unterstützt, wie zum Beispiel das Pannekaukenfest oder der Weihnachtsmarkt „Bürger für Bürger“.

Ein anderes Thema in dem Zusammenhang sind die Eigentümer.

Zorn-Koritzius: Genau, was das angeht, ist es auch immer eine privatwirtschaftliche Entscheidung, was der Immobilieneigentümer unternimmt. Wenn der sagt, es reicht, wenn ich oben meine Mieteinnahmen habe und unten steht die Immobilie leer, dann müssen wir sehr kreativ werden. Man hat nicht immer alle Stricke in der Hand, aber wir tun alles, um etwas zu bewirken. Und wenn ein Eigentümer vielleicht feststellt, rechts ist schön, links ist schön, dann bewegt es ihn möglicherweise dazu, auch sein leerstehendes Ladenlokal wiederzubeleben.

City Center Schwerte
Problem-Zone City-Center: Bei dem Gebilde im Herzen von Schwerte ist bislang nicht so viel passiert, wie man sich das wünschen würde. Grund sind die komplexen Besitzverhältnisse. © Reinhard Schmitz (A)

Welche Geschäfte haben den „Verfügungsfonds Anmietung“ in Anspruch genommen?

Zorn-Koritzius: Sieben. Über unsere Webseite www.schwerte-stadtmarketing.de haben wir die neu angesiedelten Geschäfte kommuniziert.

Sind noch alle geförderten Geschäfte vorhanden?

Zorn-Koritzius: Ein Geschäft ist nicht mehr vorhanden, das ist jetzt rausgegangen.

Somit ist auch das Risiko gegeben, dass die Händler nach der Förderung das Ladenlokal verlassen?

Zorn-Koritzius: Das kann natürlich immer sein. Diese Fördergelder bieten erst einmal die Möglichkeit, die Eröffnung umzusetzen. Da sind wir sehr froh drüber, und wenn es nicht so effektiv wäre, würde natürlich auch kein neuer Fördertopf in diese Richtung aufgelegt werden.

Im City-Center ist eine große Anzahl an Leerständen vorhanden. Haben Sie speziell für diesen Bereich ein Konzept?

Gutzeit: Das City-Center ist ein sehr komplexes Gebilde: sehr viele Eigentümer, oben auf dem Dach gibt es private Hauseigentümer, die Stadt ist Eigentümerin und es gibt ein Düsseldorfer Immobilienunternehmen, das auch große Flächenanteile besitzt. Mit dem haben die TWS und die Stadt mehrfach Gespräche über Attraktivitätssteigerungen an der Immobilie geführt. Leider ist da bisher nicht so viel passiert, wie wir uns das wünschen würden.

Da haben die Stadt oder wir als Wirtschaftsförderung oder Stadtmarketing kaum eine Handhabung oder Instrumente, um dort tätig zu werden. Wir können versuchen, darauf einzuwirken, wie eben bei allen Immobilieneigentümern. Wir können Denkanstöße geben und Ideen vermitteln, aber letztendlich ist es vielfach eine privatwirtschaftliche Entscheidung. Da muss der Wille auch da sein. Wichtig ist, dass wir Gespräche führen. Du kannst nicht einfach alles dem Markt überlassen, sondern musst immer wieder darauf einwirken.

Zorn-Koritzius: Kleine Maßnahmen helfen dann. Im City-Center haben schon kleinere Malerarbeiten einen kleinen Aha-Effekt bewirkt.

Marktplatz Schwerte
TWS und Stadtmarketing setzen beim Markt-Umbau auf eine zukünftige Steigerung der Aufenthaltsqualität. © Heiko Mühlbauer (A)

Welchen Einfluss hat die Marktplatz-Umgestaltung auf den Handel ringsum und vielleicht auch auf das Geschäftsflächenmanagement?

Zorn-Koritzius: Auf den Handel bezogen, kann ich Ihnen mit Blick auf die Gespräche, die wir geführt haben, sagen: Wenn sich die Laufrichtung durch die Baustelle ändert, gibt es den einen oder anderen, der mal an einem Schuhgeschäft vorbeigeht und sich denkt: Das habe ich so vorher gar nicht wahrgenommen.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Gastronomen auch gerade mit dem Rückbau dieser Beton-Balustrade auf dem kleinen Marktplatz sehr zufrieden sind, mit der Lokalität. Wer schon mal da war, hat festgestellt, dass es da ganz heimelig ist. Man muss flexibel sein und Stillstand ist nicht so schön. Gerade da ist auch die Stadt sehr intensiv in Gesprächen mit den ortsansässigen Ladenlokalen oder auch Eigentümern, um die wirklich mitzunehmen. Sprechen hilft immer.

Gutzeit: Wir befürworten den Markt-Umbau ganz klar, und das nicht nur mit Blick auf den Einzelhandel. Ein großer schöner neuer Platz steigert auch die Aufenthaltsqualität. Da setzen wir die Hoffnung rein, dass das auch Menschen zusätzlich in die Stadt lockt. Welche, die einkaufen wollen, aber auch durchaus welche, die auf dem Ruhrtalradweg unterwegs sind, die Kaffee trinken oder sich mal auf die Treppen setzen.

Andere Innenstädte haben den Prozess schon hinter sich und ich finde, viele große Plätze sind von der Gestaltung her sehr gelungen, zum Beispiel in Menden und Unna. Das erwarten wir uns auch, dass Leute sagen, dass der Marktplatz schön geworden ist und sich dann gerne in der Innenstadt aufhalten.

Haben Sie konkrete Ziele oder Hoffnungen für die Zukunft, die Leerstände an einem bestimmten Ort zu minimieren oder die Quote auf einen bestimmten Prozentsatz zu senken?

Zorn-Koritzius: Das ist eine Glaskugel, in die man reinschaut. Man darf sich einfach nicht mit dem zufriedengeben, was man gerade sieht, sondern muss immer am Ball bleiben.

Null Prozent Leerstands-Quote, kann man das erreichen oder ist das ein absolut utopisches Ziel?

Gutzeit: Es ist immer wünschenswert, wenn die Quote bei null Prozent liegt. Aber Innenstadt ist wie Wirtschaft, das ist ein atmender Prozess. Du kannst immer neue Geschäfte ansiedeln, aber hinten fallen leider auch immer welche runter. Es geht ums Wirtschaften. Es gibt Insolvenzen, manche finden keine Nachfolger oder Nachfolgerinnen. Das ist ein fortlaufender Prozess.

Zorn-Koritzius: Aber gleichwohl können wir natürlich alle mitwirken. Also alle, die online shoppen, sollten sich wirklich überlegen: Gibt es das nicht vor Ort? Wenn man immer über leere Innenstädte schimpft, muss man sich vielleicht an die Nase fassen und fragen: Wann war ich denn das letzte Mal in meiner Stadt, in meinem Vorort einkaufen? Parkplätze gibt es hier in Schwerte. Man kann wunderschön mit dem Fahrrad fahren, es gibt kurze Wege, aber wir selbst müssen das auch wollen.

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