
© Britta Linnhoff
Seit 1949 wählt Waltraud Buron (95) den Deutschen Bundestag: „Wer nicht wählt, der gibt sich auf“
Bundestagswahl 2021
Wenn am 26. September ein neuer Bundestag gewählt wird, dann gibt auch Waltraud Buron ihre Stimme ab. So wie sie es immer getan hat – seit der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag.
Es ist wieder Bundestagswahl. Waltraud Buron ist genau im Bilde. So wie sie es immer war. Von Kindesbeinen an. Seit 1949 wählt die heute 95-Jährige den Deutschen Bundestag – quasi, seit es ihn gibt. Als der erste Deutsche Bundestag im August 1949 gewählt wurde, da war Waltraud 23 Jahre alt, hatte eine kleine Tochter und ging – selbstverständlich – wählen. Sie kann sich nicht erinnern, jemals „gefehlt“ zu haben.
Was anderes wäre für Waltraud Emilie Buron auch gar nicht in Frage gekommen. Sie kannte es nicht anders. „Vater und Mutter gingen immer wählen“, erinnert sie sich. „Und es wurde sich immer schick gemacht“: Der Papa zog einen Anzug an, Mama ein Kleid. „Was Gutes eben“, sagt Waltraud Buron. Das war damals in Hemer und Iserlohn, später zog sie nach Schwerte-Villigst. Heute lebt die 95-Jährige im Seniorenzentrum Friedrich-Krahn in Holzen.
„Wer nicht wählt, der kann nichts verlangen“
Auch am 26. September 2021 wird Waltraud Emilie Buron wieder im Wahllokal sein. Bei der letzten Wahl ist sie mit der Enkelin hin. „Wer nicht wählt, der kann nichts verlangen, der gibt sich auf“, sagt sie. Und aufgeben, das war in all den Jahrzehnten noch nie ihr Ding.
Auch wenn es manchmal schwer war. Zum Beispiel im Krieg als jüngstes von fünf Geschwistern. Als der Vater ihr sagte: „Da gehst du nicht mehr hin“. Gemeint war die Jugendorganisation der Nazis, der „Bund Deutscher Mädel“. Die Freundinnen waren alle da, und die machten schöne Sachen wie Ausflüge und sangen viel gemeinsam. „Ich war ein Außenseiter“, sagt Waltraud Buron heute. „Das war hart für mich.“

Franz Xaver Lang, der Vater von Waltraud Buron: Er klebte vor dem Zweiten Weltkrieg Plakate für die SPD und begab sich damit in Gefahr. © privat
Aber für ihren Vater Franz Xaver Lang war die Mitgliedschaft beim BDM wohl nicht mehr erträglich. „Mein Vater war ein Parteimensch“, sagt Waltraud Buron. Die Partei des Papas war die SPD. Für die habe ihr Vater, erinnert sich Buron, schon vor dem Krieg Plakate geklebt. In einer Zeit, in der das nicht nur irgendein Job war, sondern gefährlich. „Wir waren immer in Sorge, wenn mein Vater nachts loszog“, erinnert sich Buron.
Was hat die Mutter gesagt? „Früher haben Frauen doch zu allem Ja und Amen gesagt“, sagt Buron. Man könne das mit heute nicht vergleichen. Einmal habe ihr Vater „einen Kleistereimer über den Kopf bekommen“, sagt sie. Politische Gegner waren nicht zimperlich. Auch Morddrohungen habe es gegeben.
„Bitte kein Hitler mehr – sowas brauche ich nicht noch mal“
Abends habe die Familie oft dem Volksempfänger Hitler zugehört. Zu diesem Mann fallen Waltraud Buron heute nur zwei Sätze ein: „Das war ein Mann, der Macht über alles haben wollte, obwohl er dazu nicht in der Lage war. Bitte kein Hitler mehr.“
Und was hält sie von der „Alternative für Deutschland“ (AfD), um deren rechte oder rechtsextreme Ausrichtung gestritten wird? „Noch mal: Sowas brauche ich nicht. Die haben mich vor Jahren sogar mal angerufen, vor einer Wahl“, erinnert sie sich. Das Gespräch war schnell beendet.
In ihrem Zimmer am Westhellweg hat Waltraud Buron gerade auch die Bilder der Feier mit viel Prominenz am 75. Geburtstag von Nordrhein-Westfalen gesehen. Als NRW geboren wurde, war Waltraud Buron 20 Jahre alt. Gibt es persönliche Erinnerungen? „Nein“, sagt Buron, „ich war ein dummes Blag damals.“

Waltraud Buron in jungen Jahren: Das Foto ist nicht datiert, stammt aber wohl aus einem der ersten Ausweise der heute 95-Jährigen. © privat
Und eine junge Frau, die gerade eine Tochter bekommen hat. Im Nachkriegsdeutschland gibt es für eine 20-Jährige wohl anderes, das wichtiger ist, als die Landes-Gründung.
Mit der aktuellen Bundestagswahl wird auch Angela Merkel als Bundeskanzlerin Geschichte sein. Auch wenn Merkel nicht das Parteibuch hat, mit dem sie in der Familie groß wurde, zollt Buron ihr Respekt: „Sie hat viel geschafft.“
Leben erleben, mit allem was dazugehört, das ist die Arbeit in einer Lokalredaktion, und das wird auch nach mehr als 30 Jahren niemals langweilig, in der Heimatstadt Dortmund sowieso nicht. Seriöse Recherche für verlässliche Informationen ist dabei immer das oberste Gebot.
