Ein sieben Punkte Programm von zwei einzelnen Ratsmitgliedern, die nicht unumstritten sind, und sich jetzt zu einer Fraktion namens „Freie Stimmen für Schwerte“ zusammengeschlossen haben: Da gab es einige Fragen an die Interviewpartner. Auch über deren politische Vergangenheit.
Frau Schelter, Herr Rühling, wie kamen Sie zu der Idee, gemeinsam eine neue Fraktion zu gründen?
Schelter: Das lässt sich gar nicht so genau sagen. Ich hatte das Problem, dass ich einen Beitrag zum Besuch des Hoeschwerks gesehen habe und keine Einladung dazu bekommen hatte. Weil das so in der Übergangsphase war, habe ich gedacht, möglicherweise ist die Einladung über die CDU gekommen und ich war nicht im Verteiler. Da habe ich bei der Stadt nachgefragt und gleichzeitig bei Sebastian, ob er eine Einladung bekommen hat. Die Antwort sah dann so aus, dass das im Ältestenrat besprochen wurde und man es nicht für nötig gehalten hat, die fraktionslosen Ratsmitglieder mit einzuladen.
Fraktionslose Ratsmitglieder sind im Ältestenrat nicht vertreten?
Schelter: Genau, es gibt ein paar Sonderregelungen, wie den Beirat für die Digitalisierung und der Gesellschafterversammlung der TWS, da bin ich nach wie vor. Aus den Ausschüssen fliegt man automatisch raus.
Herr Rühling, sind Sie in einem dieser Gremien vertreten?
Rühling: Meine Information war, dass ich da raus bin, dann habe ich nach Rücksprache mit Nicole die Sitzungsprotokolle eingesehen und festgestellt, dass ich noch im Beirat für Digitales als Mitglied geführt werde und als abwesend eingetragen bin. Da werde ich jetzt natürlich wieder hingehen.

Sie haben sieben Grundsätze, quasi ein Miniprogramm, aufgestellt. Waren Sie sich von Anfang an einig, oder gab es Punkte, bei denen Sie sich nicht einigen konnten?
Schelter: Also mir war ganz wichtig, dass wir die Themen Gleichstellung und Digitalisierung drin haben. Da war ich ein bisschen überrascht, dass ich da keinen Widerspruch bekommen habe. Da die AfD ein ganz anderes Frauenbild hat, wie auch Frau Reihs jetzt angemerkt hat. Wenn das jetzt bei Sebastian sichtbar gewesen wäre, wäre das nichts geworden.
Rühling: Beim Thema Digitales hat sie bei mir offene Türen eingerannt. Ich habe am Anfang der Wahlperiode beantragt, dass zum Beispiel die Ratssitzungen gestreamt werden. Das ist ein Punkt, aber es gibt auch noch viele andere, über die wir gesprochen haben, da haben wir einige Ideen. Und beim Thema Gleichstellung liegen wir nur Nuancen auseinander.

Zweimal in Ihrer Presseerklärung taucht „Integration“ oder „integrativ“ auf. Einmal bei der generellen Ausrichtung, einmal beim Thema Schule, was verstehen Sie darunter?
Rühling: Ich bin im Bereich der Integration tätig. Ich betreue Kinder, die Schulbegleitung benötigen. Und mir ist in der Zeit, in der ich das tue, aufgefallen, dass es nicht nur, aber auch in Schwerte viel Handlungsbedarf gibt. Mein Feld liegt da eher im Bereich Schule und Integration von Kindern; was den Bereich Integration von Migranten und Asylbewerbern angeht, da habe ich nicht die Erfahrung. Natürlich müssen auch Migranten integriert werden.
Gab es denn etwas, bei dem Sie sagen würden, da sind wir bei den Grundsätzen nicht zusammengekommen?
Rühling: Was die kommunalpolitischen Themen angeht, nein.
Schelter: Wir haben die Strategie eingeschlagen, uns auf das, was in Schwerte wichtig ist, zu konzentrieren, und da gab es keine Dissonanzen. Bei einigen Formulierungen, besonders was mit Extremismus zu tun hat, habe ich kritischer drauf geguckt. Weil Gleichsetzung mit dem Linksextremismus immer gerne als Relativierung des Rechtsextremismus betrachtet wird. Aber wie man sieht, richtet sich leider auch beim Linksextremismus die Gewalt immer mehr gegen Menschen, was in der Vergangenheit nicht so der Fall war. Ich betone, dass ich gegen Rechtsextremismus in jeder Form bin.
Wie haben Sie das formuliert? In der Presseerklärung stand ja nur „besonderen Wert legen wir auf den Kampf gegen Extremismus in all seinen Formen“.
Schelter: Ungefähr so haben wir das auch formuliert.
Rühling: Das war in meinem ganzen Lebenslauf so. Das war auch ein Grund, warum ich aus der SPD ausgetreten bin, weil ich mit jeder Auslegung von extremer Politik nicht zurechtkomme. Mein Ansinnen, warum ich damals in die AfD gegangen bin, hatte nichts mit extremen Ausschlägen zu tun. Ich hatte damals politisch andere Ziele. Die lagen vor allem im Widerstand gegen die Corona-Politik. Dann hat sich das Thema aber relativiert und ich habe erkannt, dass ich bei der AfD nichts mehr ändern kann. Dass der Kurs, den die Partei da einschlägt, nicht mehr revidierbar ist. Das war für mich das Ende meiner Mitgliedschaft.
Aber als Sie eingetreten sind in die AfD, gab es die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Partei bereits, und Hans-Otto Dinse auch.
Rühling: Ich habe mich vorher mit Protagonisten der Partei unterhalten und ich konnte ja auch sehen, wer hier wofür steht. Wo ein Matthias Helferich steht, ein Dinse oder ein Höcke ist klar, aber es gibt ja auch Leute in der AfD, die in die CDU oder FDP passen würden. Es war bis kurz vor meinem Austritt auf der Kippe, dass sich die Mehrheiten da wieder verschieben werden, hin zu einer bürgerlichen Parteiausrichtung und Leute wie Helferich und Dinse wieder verschwinden. Doch die Chance ist vorbei. Es wird auch nie wieder eine Chance geben, dass die AfD bürgerlich wird. Und daraufhin war auch bei mir die Geduld vorbei, irgendwas zu verändern.

Wenn Sie nun als Fraktion anerkannt sind, wie viele Ausschüsse dürfen Sie dann besetzen?
Schelter: Eigentlich müssen wir jetzt jeden Ausschuss besetzen. Das bedeutet viel Arbeit, die wir alleine natürlich nicht leisten können.
Dann können Sie theoretisch jetzt auch auf sachkundige Bürger zurückgreifen?
Rühling: Ja, wir haben jetzt dieselben Rechte wie WfS und FDP. Wir haben auch schon einige sachkundige Bürger ins Auge gefasst, aber das müssen wir zunächst mit denen besprechen.
Schelter: Das ist eine Masse an Arbeit, die die großen Fraktionen natürlich leichter bewältigen können.
Sie haben auch Bürgerbeteiligung als festes Konzept für Ihre Ratsarbeit festgelegt. Gibt es schon eine Überlegung, wie die funktionieren soll?
Schelter: Zum Einen habe ich auch schon als fraktionsloses Ratsmitglied einen Zoom-Call eingerichtet, so dass jeder zu der üblichen Fraktionssitzungszeit teilnehmen kann. Über den sind wir nach wie vor erreichbar. Außerdem habe ich auch schon Formate umgesetzt, wie den Ideenmarathon für den Digitalbeirat. Bürgerbeteiligung ist wirklich wichtig, auch damit wir wissen, was überhaupt gewünscht ist.
Rühling: Dazu zählt natürlich auch, dass wir Bürgerinitiativen und Bürgerbegehren als wichtigen Beitrag zur Demokratie sehen und dass es uns sehr wichtig ist, dass diese auch zur Abstimmung kommen. Die Verwaltung und der Rat sollten diese eher unterstützen, als zu versuchen, sie zu verhindern.
Ihnen steht jetzt wieder ein Büro im Rathaus und ein Fraktionsgeschäftsführer zu, haben Sie da schon jemanden ins Auge gefasst?
Schelter: Wir haben darüber gesprochen, dass ich Geschäftsführerin werde und wir noch jemanden zur Unterstützung dazunehmen werden.
Haben Sie sich Gedanken gemacht, wie es nach dieser Wahlperiode weitergehen soll, wollen Sie eine Wählergemeinschaft gründen?
Schelter: Ist bislang nicht angedacht, wir schauen erst mal, wie das so funktioniert.
Rühling: Also Frau Schelter ist ja in der CDU und ich bin in der Partei Bündnis Deutschland, und wie sich das entwickelt, können wir noch nicht absehen.
Bündnis Deutschland ist was für eine Partei?
Rühling: Wir siedeln uns an, wo die CDU mal stand: Mitte, bürgerlich, konservativ. In Bremen sind wir schon in der Bürgerschaft vertreten und wir werden zu den Landtagswahlen antreten.
Herr Rühling, wie sind Sie eigentlich zur SPD gekommen, denn Sie verorten sich selbst ja im sehr konservativen Spektrum?
Rühling: Konservativ heißt nicht unbedingt links oder rechts. Frau Wagenknecht ist ja auch eine konservative Linke. Zur SPD bin ich 2009 gekommen, weil ich die Hinwendung des Schulsystems zur Gesamtschule mit unterstützen wollte. Mit der SPD habe ich endgültig gebrochen, als es nach der Wahl zum Mitgliederentscheid über die nächste große Koalition kam. Daher fiel es mir auch nicht schwer, nach Diskrepanzen in der damaligen SPD Fraktion diese und die Partei zu verlassen.
Frau Schelter, wie lange sind Sie schon CDU-Mitglied und wie kamen Sie zur CDU?
Schelter: Ich habe Bianca Dausend im Landtagswahlkampf unterstützt und hatte auch das Gefühl, dass ich da eine Mitstreiterin für Gleichstellung gefunden hatte. Da bin ich dann zur CDU gegangen, weil die mir auch angeboten hatten, für den Rat zu kandidieren.
Sie sagen „hatte“, ist das Verhältnis zu Frau Dausend jetzt getrübt?
Schelter: Da ist keines mehr.

Frau Schelter, die Schwerter CDU hat am Mittwochabend angekündigt, ein Parteiausschluss-Verfahren einzuleiten, werden Sie dagegen vorgehen?
Schelter: Natürlich. Ich habe mich bereits am 15. April, als mir klar wurde, dass der Fraktionsausschluss in meiner Abwesenheit durchgezogen werden sollte, an die Geschäftsstelle in Unna gewandt. Dort sah man leider keine Unterstützungsmöglichkeit. Im weiteren Verlauf habe ich auf das aus meiner Sicht lange andauernde Mobbing verwiesen und vergeblich um Unterstützung gebeten, bis ich am 1. Juni die Diskriminierungsstelle angeschrieben habe. Die sind bereit, mich zu unterstützen und eigentlich hoffe ich immer noch, dass konstruktivere Wege der Zusammenarbeit in der CDU, aber natürlich auch im Rat, gefunden werden können.
Gibt die Gründung der neuen Fraktion nicht auch Ihren Gegnern in der Partei Auftrieb?
Schelter: Man kann ja nicht erwarten, dass man mich aus der Fraktion kegelt und ich mich jetzt wie ein bedröppeltes Mäuschen einsam in die Ecke hocke und nichts mehr mache. Die Werte, die ich vertrete, gehen nach wie vor mit der CDU d’accord. Ich sehe keinen Anlass, mich aus der CDU auszuschließen. In den Treffen der Frauenunion ist das Thema noch gar nicht angesprochen worden. Wobei ich schon mitbekomme, dass da was läuft, was ich sehr bedauerlich finde. Ich bin Neuling in der Politik und hätte mir nicht vorgestellt, dass man da mehr übereinander als miteinander redet.
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