
Dreimal traf Rainer Schmidt (68) bei seinem Dienst im Privathaus von Bundes-Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow. © Reinhard Schmitz
Rainer Schmidt: „Gorbatschow hatte einen Händedruck wie ein Schraubstock“
Treffen in Bonn
Er gab ihm die Hand, er servierte ihm das Menü: Kein anderer Schwerter hat Michail Gorbatschow so nah erlebt wie Rainer Schmidt. Der frühere Hausbutler von Hans-Dietrich Genscher erzählt.
Die Silber-Deckteller akkurat drapiert, die Stoffservietten kunstvoll gestaltet. Jedes Detail wollte perfekt sein auf der Tafel, die Rainer Schmidt (68) im Hause von Hans-Dietrich Genscher eigenhändig eindeckte.
Hoher Besuch wurde im privaten Salon des Bundesaußenministers und seiner Frau Barbara erwartet: der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und seine Frau Raissa Gorbatschowa. Die handgeschriebenen Platzkärtchen sorgten dafür, dass sich die Damen und die Herren jeweils gegenüber sitzen sollten. Die Kopfenden des Tisches waren für die Dolmetscher bestimmt.
Dreimal traf der Rainer Schmidt auf Michail Gorbatschow
Es sollte nicht die einzige Begegnung des Schwerters mit dem sowjetischen Staatsführer sein, der am Dienstag (30.8.) im Alter von 91 Jahren gestorben ist. „Ich habe Gorbatschow drei Mal getroffen“, berichtet er. Und ist immer noch beeindruckt: „Er hatte die Nase nie oben. Der kam auf einen zu und gab die Hand.“ Wie ein Schraubstock sei sein Griff gewesen. Unvergessen blieb auch: „Der guckte einem dabei in die Augen.“

Ein Buch mit persönlicher Widmung überreichte Michail Gorbatschow (r.) im Hause Genscher an den Schwerter Rainer Schmidt (l.). © Rainer Schmidt
Lang wurde einem die Nacht, in der der Gast wie immer nur sehr wenig Alkohol trank. Höchstens mal ein Gläschen Wein. Als er gegen 3 Uhr morgens schließlich das Haus verließ, zeigte sich eindrucksvoll, wie beliebt der russische Reformpolitiker und „Vater der Deutschen Einheit“ war.
Draußen hatte eine Menschenmenge ausgeharrt, die ihn beim Öffnen der Tür mit „Gorbi-Gorbi“-Rufen feierte. „Er ging auf die Leute zu und nahm die kleinen Kinder auf den Arm“, erzählt Rainer Schmidt. Für die Bodyguards war es ein Moment des Schreckens, für die anderen ein Gänsehautmoment: „Das war ein Mensch des Friedens. Das jetzt wäre mit ihm nicht passiert.“
Genscher wohnte direkt neben dem Haribo-Fabrikanten
Bei den privaten Besuchen im Haus Genscher im Bad Godesberger Stadtteil Pech, wo nebenan der Haribo-Fabrikant wohnte, konnten die seltenen Fotos von Rainer Schmidt und Michail Gorbatschow entstehen. Bei seinem eigentlichen Dienst als Serviceleiter im Auswärtigen Amt war die Kamera ein absolutes Tabu.
Dorthin war der Schwerter, der im ehemaligen Haus Becker in Ergste den Service leitete und auch jahrelange Erfahrung in einem italienischen Restaurant gesammelt hatte, von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Otto Wulff gelotst worden. Erst bediente er in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn, dann im Auswärtigen Amt.

Eigenhändig mit Silber-Decktellern eingedeckt hatte Rainer Schmidt die Tafel für die Staatsgäste aus der Sowjetunion im Privathaus Genscher. Nach den Platzkarten saßen sich Hans-Dietrich Genscher und Michail Gorbatschow sowie deren Ehefrauen jeweils gegenüber. Die Dolmetscher nahmen an den Kopfenden des Tisches Platz. © Rainer Schmidt
„Fast jede auswärtige Delegation war dort zu Besuch“, schwärmt Rainer Schmidt von immer neuen Erlebnissen. Alle genossen das legendäre „Genscher-Frühstück“, für das er verantwortlich war. Der Minister war so zufrieden, dass er den Schwerter irgendwann zur Seite nahm und die Frage stellte: „Würden Sie für mich arbeiten?“
Das war der Moment, in dem der Schwerter den Ritterschlag zu seinem Hausbutler erhielt. Bei privaten Einladungen kümmerte er sich um den Wein, während ein Koch vom Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg in der Küche stand: „Anschließend fanden die politischen Gespräche am Kamin statt.“
Vertrauensverhältnis zu den Genschers
Das Vertrauensverhältnis wurde groß. „Wenn die Genschers schlafen gingen, sagten sie: Herr Schmidt, Sie kümmern sich um alles.“ Allein räumte der Schwerter im Haus des Spitzenpolitikers auf und spülte. „Der ist mir seinerzeit sehr ans Herz gewachsen“, sagt er: „Nicht nur politisch war er toll, auch als Mensch.“

Bei seinem Dienst im Hause Genscher traf Rainer Schmidt auch auf die russische First Lady, Raissa Gorbatschowa. © Rainer Schmidt
Als Hans-Dietrich Genscher zu seinem 65. Geburtstag am 25. März 1992 wie angekündigt von seinem Ministeramt zurücktrat, endete auch der Dienst von Rainer Schmidt. Der damals 38-Jährige hatte aber schon die Fäden gezogen, um eine Banklehre zu beginnen.
Von dort ging er 1995 in die Industrie, übernahm den Vertrieb von Aluprofilen: „Das war eine ganz andere Tätigkeit, weg von der Prominenz.“ Mit der vereint ist er nur noch auf seinen Erinnerungsfotos aus dem Hause Genscher. Von Richard von Weizsäcker bis zu König Hussein von Jordanien, von Peter Scholl-Latour bis „Didi“ Hallervorden, von Willy Millowitsch über Catarina Valente bis zu Thomas Gottschalk sind unzählige bekannte Gesichter auf den Bildern, die man heute Selfies nennen würde. Aber keine sind so wertvoll wie die mit Michail Gorbatschow.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
