
© Reinhard Schmitz
Telefonbetrüger geben sich als weinende Enkelin aus: Schwerterin (78) will warnen
Kriminalität in Schwerte
Widerlich. Etwas anderes kann die Polizei nicht sagen zu den Telefonbetrügern, die mit Corona Geschäfte machen. Bei einer Schwerterin nutzten sie die Liebe zu ihrer Familie aus.
Die Herzschmerzen sind kaum abgeklungen. Der Putzeimer ist auch am nächsten Tag noch an dem Ort, wo Hildegard Richter ihn stehen ließ, als sie die tränenerstickte Mädchenstimme aus dem Telefonhörer am Donnerstagmorgen bis ins Mark traf. „Oma, die Mama hat einen Verkehrsunfall gemacht“, heulte die in ihr Ohr: „Sie hat einen Mann angefahren und Fahrerflucht begangen.“ Dass alles so schwer zu verstehen war, wischte sie mit der Erklärung weg: „Oma, ich habe ein neues Handy.“
Drohung mit der Untersuchungshaft
Die 78-Jährige war entsetzt. Sie hat eine Tochter und auch eine Enkelin. „Es passte alles wie die Faust aufs Auge“, berichtet sie. Trotzdem wuchs in ihr das Misstrauen, als das Handy zu einer angeblichen Polizistin weitergegeben wurde.
Mit ostdeutschem Akzent schilderte die erneut den Sachverhalt. 36 Jahre alt sei der Mann, der aber ansprechbar sei.
Dann die Drohung: „Ihre Tochter wird heute um 15 Uhr dem Haftrichter vorgestellt.“ Schwiegersohn und Rechtsanwalt seien schon informiert. Denn es könne sein, dass die Fahrerflüchtige noch am gleichen Tag in Untersuchungshaft komme. „Aber Moment“, hieß es dann: „Sie können auch eine Kaution von 25.000 Euro hinterlegen.“
Schwerterin sagte: „Ich hab´ kein Geld“
Als die Summe fiel, schrillten bei der Schwerterin alle Alarmglocken. „Ich hab‘ kein Geld“, sagte sie rasch. Um von der anderen Seite zu hören: „Moment, da ist gerade ein Zettel reingekommen: Ihre Tochter kann nach Hause gehen.“ Dann wurde aufgelegt.
Die Betrügerinnen hatten aufgegeben. Ein Anruf bei der Tochter bewies, dass die - genauso wie die Enkelin - unbehelligt zu Hause saß.
Polizei erfährt an manchen Tagen von bis zu 40 Fällen im Kreis
„Es ist gut, dass die Frau das Gespräch so rasch beendet hat“, sagt Christian Stein, Pressesprecher der Kreispolizei Unna. Das sei eine Variante des sogenannten Enkeltricks: „Die Kollegen aus dem Kommissariat kennen alle.“ Manchmal erhielten sie 20 bis 40 Anrufe an einem Tag, für die Strafanzeigen aufgenommen würden.
An anderen Tagen sei es ruhiger, weil die Täter „wellenförmig“ vorgehen. Mal nehmen sie sich den Kreis Unna vor, an anderen Tagen dann andere Kreise oder Städte.
Immer stellen sie sich nur als „bin dein Enkel“ vor, niemals mit Namen. Den erfahren sie dann meistens unbewusst von dem Angerufenen.
Täter nutzen jetzt sogar die Corona-Angst aus
„Die Tätergruppen überlegen sich immer wieder etwas Neues“, weiß Christian Stein. Sie machen es saisonabhängig. Mittlerweile spielen sie sogar mit der Angst vor Corona. „Ich liege im Krankenhaus und bin Corona-infiziert“, werde dann vorgejammert - und der Schreck ausgenutzt, um von einem angeblich besonderen Gegenmittel oder gar einer Operation zu berichten.
Dafür brauche man aber dringend einen fünfstelligen Bargeldbetrag. „Die Täter gehen skrupellos vor“, warnt der Polizeisprecher: „Es ist einfach widerlich, dass sie selbst vor einer Pandemie wie Corona nicht zurückscheuen.“
Meist suchen sie sich ältere Menschen als Opfer aus, die zum Teil ihre kompletten Ersparnisse verlieren.
Bei Hildegard Richter scheiterten die Betrüger zum dritten Mal
Bei Hildegard Richter kamen die Telefonbetrüger aber an die Falsche. Sie hat ihr Vorhaben schon zum dritten Mal durchschaut. Zweimal hatten sie es als falsche Polizisten versucht, die angeblich vor einem Einbruch bei ihr warnen wollten.
Zuletzt sollte eine rumänische Bande unterwegs sein, die ein Betäubungsmittel unter der Tür hereinspritze. Die Antwort hatte sich die Schwerterin schon lange zurecht gelegt: „Mein Geld liegt bei der deutschen Bank in New York, mein Schmuck in Nizza - und meine Pferde stehen in Paris.“
Da wurde am anderen Ende sofort der Hörer hingeknallt.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
