Nach seinem Holländer Kirsch wird Karl-Friedrich Westervoß (71) immer noch gefragt

© Martin Klose

Nach seinem Holländer Kirsch wird Karl-Friedrich Westervoß (71) immer noch gefragt

rnBäcker in Schwerte

Der ehemalige Bäcker wurde jetzt mit dem Goldenen Meisterbrief ausgezeichnet. Er war einst der jüngste Bäckermeister weit und breit. Bis 2003 stand er an der Ostberger Straße am Ofen.

Schwerte

, 06.01.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wenn die Kuchengabel durch die leuchtend-rote Füllung auf den selbst gemachten Blätterteig zufuhr, wartete Genuss pur. Die Holländer Kirschtorte von Karl-Friedrich Westervoß war einfach ein Gedicht, seine absolute Spezialität, in die der Bäckermeister all sein Können und seine Liebe steckte. „Da fragen die Leute heute noch nach“, sagt der 71-Jährige.

Genauso wie nach dem doppelt gebackenen Kasseler und dem Schwarzbrot, das zwölf Stunden im Ofen bleiben wollte. Die Erinnerung an Geschmackserlebnisse bleibt lange. Auch wenn Westervoß seinen Betrieb an der Ostberger Straße 1 schon zum 1. Januar 2003 aufgelöst hat.

Das extreme Frühaufstehen Tag für Tag, das war einmal in weiter Vergangenheit. Und die Brötchen zum Frühstück holt er sich längst bei den Pächtern seines Ladens, im Backcafé Brinker.

Den Beruf muss man loslassen können

Westervoß gehört zu den Glücklichen, die loslassen können von dem Beruf, der das Leben prägte. Auf den er aber gleichzeitig auch immer wieder voller Stolz zurückblicken kann – wie jetzt bei diesem Moment in der Handwerkskammer zu Arnsberg, als ihm der Goldene Meisterbrief überreicht wurde.

Wer die 50 Jubiläums-Jahre auf der Urkunde zurückrechnet, der bemerkt auf den ersten Blick: Der Schwerter hat seine Meisterprüfung 1968 im Alter von nur 21 Jahren bestanden.

„Man muss seinen Beruf lieben.“

„Ich war damals mit Abstand der jüngste Bäckermeister im Kammerbezirk Arnsberg, vermutlich sogar in Nordrhein-Westfalen“, berichtet Westervoß. Dank einer Sondergenehmigung, die es ihm erlaubt hatte, bereits nach vier statt fünf Gesellenjahren mit der Meisterschule zu beginnen. Die stand – damals wie heute – für die Bewerber aus ganz Norddeutschland im sauerländischen Olpe. „Die A45 war erst bis Lüdenscheid fertig“, erzählt der Schwerter.

Auf die Autobahn aufzufahren, lohnte deshalb erst gar nicht. Stattdessen quälte er sich eine Stunde lang über die Dörfer: „Das Schlimmste war, wenn man auf der Landstraße einen Lkw vor sich hatte.“ Dann wurde die Zeit immer knapper, um pünktlich um 8 Uhr beim Unterrichtsbeginn zu sein.

Vor der Schule noch die Frühschicht

Bevor er sich hinter das Steuer setzen konnte, lag aber schon eine anstrengende Frühschicht hinter dem Schwerter. Denn morgens von 4 bis 7 Uhr hatte er zuvor bereits seinen Vater Karl Westervoß in der Backstube des elterlichen Betriebs unterstützt.

Genauso war es, wenn er am schulfreien Mittwochnachmittag nach Hause kam. An den übrigen Tagen übernachteten die angehenden Meister im Internat der Schule. „Man muss seinen Beruf lieben“, sagt Westervoß.

Für ihn sei aber auch schon deswegen kein anderer in Frage gekommen, weil sein Vater bereits eine Bäckerei führte. Der hatte sich 1955 an der Ostenstraße selbstständig gemacht und war dann 1962 in seinen Neubau an der Ostberger Straße 1 umgezogen. Natürlich wurde er auch zum besten Lehrmeister für seinen Sohn, der am alten Standort noch jeden Abend den alten Brikett-Ofen vorheizen musste, bevor der Öl-Ofen angeschafft wurde.

Aus dem Familienalbum: Im elterlichen Betrieb von Karl Westervoß (r.), der hier ein Schwarzbrot knetet, lernte Karl-Friedrich Westervoß (l.) das Bäckerhandwerk.

Aus dem Familienalbum: Im elterlichen Betrieb von Karl Westervoß (r.), der hier ein Schwarzbrot knetet, lernte Karl-Friedrich Westervoß (l.) das Bäckerhandwerk. © Westervoß

Gemeinsam lieferte man im VW-Käfer – die hinteren Sitze waren ausgebaut – bis in den Abend hinein stapelweise Brote aus. Sogar am Heiligen Abend: „Da saßen die Kunden schon unter dem Weihnachtsbaum und sangen Lieder.“ Die 300 Brötchen für das Evangelische Krankenhaus dagegen konnten auf das Lastenfahrrad gepackt werden. Die Konkurrenz war groß: „Zu meiner Zeit hatten wir in Schwerte über 40 Bäcker.“

Zehn Jahre nach seiner Meisterprüfung übernahm Westervoß den elterlichen Betrieb, wo alle Teige von Hand hergestellt wurden – selbst der aufwendige Blätterteig. Fertige Backmischungen kamen ihm nicht in die Backstube. Im Ladengeschäft half Ehefrau Gabriele mit.

Verkauft wurde auch sonntags. Dann lagen aber von 14 bis 16 Uhr nur Kuchen und Torte in den Glasvitrinen: „Gebacken werden durfte sonntags nicht.“ Aber an den anderen Tagen ging in der Backstube um 4 Uhr das Licht an, samstags sogar schon um 2 Uhr.

Verlorene Freizeit nachholen

„Ich habe mit meinen Eltern nicht ein einziges Mal Urlaub gemacht“, erzählt Westervoß. „Betriebsferien gab es nicht.“ Es sollte noch Jahre dauern, bis er sich eine solche Auszeit im Sommer gönnen konnte. Und da war dann auch wenig mit Erholung.

1985 stand die Familie Westervoß auf der Passagierliste des von arabischen Terroristen im Mittelmeer gekaperten Kreuzfahrtdampfers Achille Lauro. Die Entführung selbst haben die Schwerter glücklicherweise verpasst. Sie waren gerade auf einem Landausflug zu den Pyramiden von Gizeh in Ägypten von Bord gegangen und wurden später ohne ihr Gepäck nach Deutschland gebracht.

Als die Backshops sich in den Supermärkten zu verbreiten begannen, erkannte Westervoß die Zeichen der Zeit. Er verpachtete sein Geschäft, in dem nach dem Intermezzo eines Blumenladens heute wieder eine Bäckerei zu finden ist. Für Westervoß war mit diesem Schritt auch endlich mehr Zeit für die Hobbys Tennis und Skat spielen. Der Wecker am Morgen konnte ausgeschaltet bleiben.