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Nach dem Film über Michael Scholly sagt sein Anwalt: „Er ist ein Monster“
Kritik
Zwei Stunden taucht der Film über Michael Scholly in das Leben eines Menschen ein, der zwei Frauen getötet hat. Was der Film zeigt und welche Fragen er beantwortet oder aufwirft.
Ein unscharfes hochformartiges Handyvideo: Ein Mann sitzt in seiner Wohnung, der Fernseher läuft, zwischendurch bückt sich der Protagonist und saugt etwas durch ein Papierröhrchen in seine Nase. Dann schellt es dreimal an der Tür, der Mann steht auf, es blitzt, vermummte Polizisten kommen in die Wohnung und drücken den Mann an den Boden. Dann reißt das Handyvideo ab.
Mit der Festnahme beginnt und endet der Film „Auf Anfang“ von Georg Nonnenmacher und Mike Schlömer.
Über die Taten weiß man am Ende fast nichts
Fast zwei Stunden geht es um Michael Scholly, jenen Mann, der kurz nach seiner Haftentlassung aus lebenslanger Haft in Ergste wieder eine Frau tötete. Am Donnerstagabend (31.3.) war der Film im Filmpalast in Iserlohn zu sehen.
Über die Taten von Michael Scholly weiß man auch nach den fast zwei Stunden nichts. Kein Wunder, eigentlich wollten die beiden Filmemacher den verurteilten Mörder nach 28 Jahren hinter Gittern bei seinen ersten Schritten in die Freiheit begleiten. Und Scholly selbst sagte nicht einmal vor Gericht zur Tat aus.
Der Film beginnt 2016, Scholly ist hinter Gittern eine Art Star: Er spielt im Theaterprojekt der Anstalt die Hauptrollen, er malt Bilder, hat Ehrenamtliche, die ihn bei seinen Ausflügen in die Freiheit begleiten. Und er gibt sich angepasst. Im Verlauf des Films bekommt das Bild erste Risse. Ist der Mann wirklich ein neuer Mensch, hat er seine Taten verarbeitet?
Geschichten, die an Kinoklassiker erinnern
Bei einem Ausflug mit dem Anstaltspfarrer und Theaterpädagogen in seine Heimat bei Aachen erzählt Scholly von seinem Vater. Der habe dort im Hof Puppen mit Schellen aufgebaut, um seine Kinder als Taschendiebe zu trainieren. Seine Schilderung erinnert an bekannte Kinoklassiker, und zum ersten Mal kommt bei kritischen Zuschauern Misstrauen auf.
Auch im Gespräch mit einem ehemaligen Mitgefangenen gibt es immer wieder Momente, die einen stutzen lassen. Seine Krishna-Attitüde passt kaum zu manchem Wortbeitrag. Die Bekundungen sind oft zu dick aufgetragen.
„Kaltherzig, antisozial und auf eigenen Vorteil aus“
Ein erster Riss in der Fassade des Musterhäftlings zeigt sich, als er von einem Ausgang nicht pünktlich zurück kommt. Als er befürchtet, seine nahe Entlassung damit gefährdet zu haben, zeigt er sich im Streit mit dem Theaterpädagogen nicht nur uneinsichtig, sondern schleudert dem auch entgegen: „Weißt du, wie anstrengend es ist, euch 14 Jahre zu gefallen.“ Der Gerichtsgutachter wird ihn später als „kaltherzig, antisozial und auf den eigenen Vorteil aus“ beschreiben.
An dieser Stelle offenbart sich etwas, das später auch im Prozess immer wieder zur Sprache kommen wird: Der Mann, dem die Kamera hier folgt, ist nicht nur ein Narzisst. Er ist auch über Jahre knasterfahren, versucht, sich mit Geschichten Vergünstigungen zu erwirken. „Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt eine Geschichte aus seiner Jugend stimmt“, sagt der Theaterpädagoge später.
Trotz Eskapade bei Ausgang in die Freiheit entlassen
Im Oktober 2018 darf Scholly trotz seiner Eskapade den Knast endgültig verlassen. Die nicht öffentliche Gerichtsverhandlung hierzu lassen die Filmemacher als Protokoll verlesen. Danach begleiten sie den Mann, beim Umzug und Einzug in die Wohnung, bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt mit dem ehemaligen Freund aus der Haft und bei der Arbeit.
Scholly lernt das Internet kennen, muss sich an Regeln halten, doch schnell wird klar: Draußen fällt die Maske. Der Mann auf der Leinwand schwadroniert zwar noch über seine Disziplin und Kontrolle, geht aber nicht mehr zur Arbeit, trinkt Alkohol und setzt sich über alle Ratschläge hinweg. Das wird auch in Gesprächen mit der Bewährungshelferin klar.

Michael Scholly (l.) in einem Filmausschnitt im Gespräch mit dem Anstaltspfarrer. © Global Cinema
Keine einordnenden Texte oder Kommentare
Der Film endet mit einem weiteren Ausschnitt aus dem Livestream, mit dem er Ausversehen seine eigen Festnahme ins Internet übertragen hatte.
Der Film verzichtet auf Musik oder eine Einordnung durch einen Sprecher oder Experten. Lediglich Texttafeln weisen am Anfang und am Ende auf die Straftat und die anschließende erneute Verurteilung hin.
„Ich habe seine Waffen geschärft“
Für einordnende Worte sorgte am Donnerstagabend in Iserlohn ein einstündiges Gespräch mit den Filmemachern und Menschen, die Scholly hinter Gittern und in der kurzen Phase seiner Freiheit begleitet hatten. Vieles wurde da eigeordnet und gerade gerückt: Am Ende aber blieb die Frage unbeantwortet, ob es das System oder einzelne Akteure waren, die die schreckliche Tat hätten verhindern müssen.
Theaterpädagoge Dirk Harms sah des selbstkritisch: „Ich habe seine Waffen geschärft, als er kam, konnte er kaum einen Satz hintereinander bringen, danach konnte er Monologe halten. Ich habe ihm also geholfen, sich darzustellen.“
Und die kritische Frage blieb im Raum, ob nicht auch der Film Scholly ihn zum wenig beliebten Star hinter Gittern gemacht habe. Ihn in der Illusion bestärkt hatte, Künstler zu sein.

Anwalt Martin Düerkop verteidigte Michael Scholly vor Gericht. Dennoch ist er überzeugt: Der Mann ist ein Monster. © Heiko Mühlbauer
Am Ende mussten sich alle eingestehen, dass sie nur auf und selten durch die Fassade geblickt hatten. Ob man tatsächlich auf ihn hätte einwirken können, als er draußen war? Sein Anwalt Martin Düerkop bezweifelt das. Angesichts der neuerlichen Tat sagt er über seinen Mandanten: „Er ist ein Monster.“
Der Film lässt die Zuschauer am Ende ratlos zurück. Zwei Stunden haben sie in der Welt des Täters verbracht, ohne ihn zu verstehen und zu durchschauen. Fast nie geht es um die Taten und die Opfer, fast ausschließlich um die Befindlichkeiten des Täters. Man ahnt die Qualen der Beteiligten, am Ende ein „Monster“ auf dem Weg in die Freiheit begleitet zu haben.

Die Filmemacher Mike Schlömer (l.) und Georg Nonnenmacher (2.v.l.) stellten sich mit Mitwirkenden des Films am Ende dem Publikum. © Heiko Mühlbauer
Scholly bekommt seinen Film nicht zu sehen
Darf man aus dem Film ein Urteil über Resozialisation ziehen? Nein, denn die Person Michael Scholly ist zu speziell, der Fall zu einzigartig. Scholly, wird wohl den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Den Film würde man ihm nicht zur Verfügung stellen, sagt Georg Nonnenmacher.
Und Dirk Harms hatte als einziger mit ihm nach seiner erneuten Verurteilung noch ein kurzes Telefongespräch: Da beschuldigte er die Kollegen seiner Firma, an seinem Abstieg schuld zu sein. „Ich habe aufgelegt“, sagt Harms.
Ist mit Überzeugung Lokaljournalist. Denn wirklich wichtige Geschichten beginnen mit den Menschen vor Ort und enden auch dort. Seit 2007 leitet er die Redaktion in Schwerte.
