Die Marienapotheke in Schwerte ist eine von zehn Apotheken im Stadtgebiet, die am 14. Juni am bundesweiten Apotheken-Protesttag teilnehmen. Das bedeutet, dass sie an diesem Mittwoch nicht öffnen werden und keine Medikamente an Kunden herausgeben können. Für Filialleiterin Marta Marek und ihre Kolleginnen bietet der Protest die Möglichkeit, endlich auf die seit Monaten herrschenden Missstände aufmerksam zu machen.
Insbesondere die Lieferschwierigkeiten von Medikamenten seien nach wie vor ein Riesenproblem, so Marek. Tagtäglich werde es schwieriger, die Patienten mit Medikamenten zu versorgen. „Wir brauchen dringend mehr Freiheiten, um die Patienten regelkonform zu versorgen, die Lieferfähigkeit nimmt dramatisch ab. Ich kann die Dramatik der Lage mittlerweile nicht mehr in Worte fassen, wie schwierig das geworden ist, die Medikamente zu besorgen.”
„50 Cent sind ein Witz”
Aufgrund der enormen Lieferschwierigkeiten stellt fast jedes Rezept die Apothekerinnen und Apotheker vor ziemliche Herausforderungen.
Doch bevor der Apotheker überhaupt irgendein Medikament herausgeben kann, muss er zunächst immer den jeweiligen Rabattvertrag prüfen. Seit 2007 haben Krankenkassen nämlich Rabattverträge mit den jeweiligen Arzneimittelherstellern. Das bedeutet, dass die Hersteller den Krankenkassen einen Rabatt auf den Herstellerabgabepreis gewähren. Die Krankenkasse versichert den Herstellern im Gegenzug, dass alle ihre Versicherten künftig nur genau dieses Präparat erhalten.
Bei jedem Rezept muss der Apotheker also erst das richtige „Rabattmedikament“ heraussuchen. Ist dieses Medikament nicht verfügbar, wird nach alternativen Medikamenten geschaut und nach Medikamenten, die nicht im Rabattvertrag stehen. Gibt der Apotheker dieses Medikament dann jedoch raus, droht ihm eine sogenannte Retaxation. Das bedeutet, dass die Krankenkasse wegen dieser Vertragsverletzung die Kosten für das Arzneimittel nicht übernimmt und der Apotheke kein Honorar ausstellt.
Stundenlange Mehrarbeit
Und das ist noch nicht alles: Während der Suche nach Alternativen ist es oft so, dass die Rezepte vom Arzt geändert werden müssen oder man Rücksprache halten muss, weil die Zusammensetzung oder Dosierung des Alternativmedikaments anders als beim ursprünglich verordneten ist.
Und auch wenn das gelingt und der Arzt sein Okay gibt, ist die Arbeit für die Apotheken in vielen Fällen noch lange nicht zu Ende, erzählt Marek. Denn in der Zeit, in der man mit dem Arzt telefoniert oder das neue Rezept ausgestellt wurde, sei oft auch das Alternativmedikament schon nicht mehr lieferbar. „Das passiert uns regelmäßig und dann beginnt die Suche und Absprache wieder von vorne.“
Für diese teils stundenlange Mehrarbeit pro Rezept sollen die Apotheken nach einem Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen vom Bundeskabinett 50 Cent bekommen. Für Marek und ihre Kollegen ist das ein Witz. „Das ist Klofrauenniveau. Das wird nicht ansatzweise dem gerecht, was wir tagtäglich für Hunderte Patienten leisten. Für 50 Cent würden viele noch nicht mal aufstehen.“ Zumal die Ausgestaltung dieses 50-Cent-Zuschlages bislang auch noch in den Sternen stünde, so die Apothekerin.

Personalmangel und Bürokratie
Wie man unter diesen Bedingungen und in dieser Situation die Arbeit noch für den Nachwuchs schmackhaft machen will, ist für Marek ebenso fraglich und belastend wie der tägliche Bürokratie-Kampf. „Ohne Fachpersonal und ohne Honoraranpassung funktioniert die Apotheke vor Ort nicht”, lauten zwei der vier Punkte, die auf einem Info-Flyer zum Protesttag gedruckt sind. Seit 20 Jahren arbeiten sie und ihre Kollegen für das gleiche Geld. 2013 hätte es eine kleine Anpassung gegeben – um sage und schreibe 25 Cent. „Wer macht das denn schon mit?”, fragt die Apothekerin und erwähnt die seit Jahren gestiegene Inflation.
Die Verantwortung, die man als Apothekerin gegenüber den Patienten hat, sei auch nicht zu unterschätzen. Teilweise werde über Leben und Tod entschieden. Es gebe Hunderte andere Möglichkeiten, wo man mehr Geld verdienen könnte, als in der Apotheke selber, ergänzt sie.

Über den Bürokratie-Wahnsinn, mit denen die Apotheken täglich kämpfen, könnte Marta Marek stundenlang erzählen, wie es scheint. Rezepte werden aufgrund von Lappalien, wie beispielsweise fehlenden Kontaktdaten des ausstellenden Arztes, nicht bezahlt und somit „auf Null gesetzt“ (retaxiert). Das gelte für Medikamente aller Preisklassen. Vom Nasenspray-Rezept für Kinder bis zu Medikamenten, die mehrere tausend Euro kosten, sei alles dabei. Um die Fehler in den Rezepten zu erkennen, gebe es sogar einzig darauf spezialisierte Firmen.
Versorgung gefährdet
Schon auf kurze Sicht könnten all diese Umstände dafür sorgen, dass die Medikamentenversorgung nicht mehr ohne Weiteres gesichert sei. „Das Wichtigste für die Patienten und für uns ist, dass wir ihn bestmöglich versorgen können, und das können wir langsam unter diesen Bedingungen nicht mehr garantieren”, betont Marek. Ohne Arzneimittel funktioniere das einfach nicht.
Auf die Frage, was sich konkret ändern müsse, antwortet die Apothekerin, dass die Medikamente, die da sind, ohne Rücksicht auf Regresse, Retaxe und Rabattverträge abgegeben werden müssen. Alles andere wie der Bürokratieabbau und die Honoraranpassungen kämen danach. Natürlich seien diese auch wichtig, aber an erster Stelle stehe die Medikamentenversorgung des Patienten.
Ob der Protest am 14. Juni, wie etwa ein Bahnstreik, aufgrund der dramatischen Situation zur Regel werden könnte, schließt die Filialleiterin nicht aus. Die ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) habe weitere Schritte geplant – was genau, wisse sie noch nicht. Fakt ist aber, dass sie bei einem zweiten, dritten, vierten Protest mitmachen werden.
Angst vor dem Winter
Auch auf lange Sicht werde sich die Situation laut Marek nämlich nicht verbessern. „Das wird Jahre dauern“ – wenn überhaupt. „Wenn die Erkältungs- und Krankheitswelle bei Kindern genauso sein wird wie letzten Winter und wenn wir mit so wenig die Kinder versorgen müssen, dann kann ich nicht garantieren, dass jedes Kind mit einem Medikament rausgeht.”
Natürlich helfe man sich in Schwerte auch unter den verschiedenen Apotheken und fragt nach, ob Medikamente verfügbar sind. Aber natürlich können die Kollegen auch nicht zaubern. Vor dem Winter habe sie deswegen jetzt schon Angst, wenn die Wellen wieder schlagen. Die Situation dann möchte sie sich nicht ausmalen.
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