
Der Kandidat, dem diese Möhre anvertraut wurde, möchte aus gutem Grund unerkannt bleiben. Die ganzen Sommerferien hat das arme Ding in seiner Brotdose ausgeharrt. © Martina Niehaus
Das Grauen aus der Tupperdose: Wenn das Schulbrot zum Horrorfilm wird
Kolumne
Der Schulstart nach den Sommerferien ist nichts für schwache Nerven. Mumifizierte Möhren, kriechende Käsehappen und schimmelnde Schinkenbrotreste begrüßen mich. Alle Jahre wieder.
Als bekennende Leserin von Stephen-King-Romanen sollte ich Horrorgeschichten eigentlich gewohnt sein. Und doch ist das Ende der Sommerferien immer wieder eine Prüfung. Für meine Nerven. Und meine Nase.
„Jungs, packt eure Tonne“, rufe ich am Abend vor dem Schulstart. Brav packen die Jungs ihre Tonne und stellen sie unten ins Wohnzimmer. Spätestens eine halbe Stunde später weiß ich, woher der üble Geruch kommt, den ich schon wochenlang unbewusst in der Nase hatte.
Au weia.
Forscher sagen: Steigt ein Geruch in die Nase, gelangt er unmittelbar in den Riechkolben des Gehirns. Dort werden verschiedene Geruchsinformationen zu einem Gesamteindruck abgemischt.
Und die Forschung hat recht. Die einzelnen Geruchsinformationen (beißend-bitter, faulig-fischig, käsig-modrig, ranzig-säuerlich) werden von meinem Riechkolben in Sekundenschnelle zu dem dazu passenden Gesamteindruck verarbeitet (sechs Wochen altes Käse-Schinken-Brot mit Salat, Tomaten und Snack-Möhren).
Kinder, die Brotdosen selbst entsorgen? Willkommen in meiner Welt!
In diesem Moment fällt mir dann wieder diese eine wichtige Sache ein, die ich den Jungs vor dem Urlaub noch sagen wollte. „Bringt eure Brotdosen runter.“
Jetzt mögen andere Eltern argumentieren, dass ich meine Kinder schlecht erzogen habe. Schließlich könnten die ja selbst dran denken, ihre Tonne zum Ferienstart zu säubern.
Willkommen in meiner Welt, entgegne ich. Meine Jungs gehören zu der Sorte, die es nach Schulschluss noch so gerade eben schafft, mit letzten Kräften die Tonne über die Haustürschwelle zu wuchten. Wenn überhaupt. Meist bleibt sie draußen auf der Terrasse liegen. Neben dem Sportbeutel und den Schuhen, der Maske und dem leeren Kratzeis-Becher.

Manche Kinder können Pausenbrote selbst entsorgen. Meine schaffen es kaum, ihre Tonne bis zur Terrasse zu schleppen. © Martina Niehaus
Und es würde auch keins meiner Kinder interessieren, wenn diese Sachen in den Sommerferien exakt an dieser Stelle liegenblieben. Möglicherweise würden sie mal moppern, wenn sie selbst darüber stolpern. Aber mehr geht nicht, das weiß ich. Zu oft habe ich mir den Mund deshalb fusselig geredet.
Das Schmatzen aus der Kiste
Ich nähere mich also dem Objekt des Grauens. Ganz vorsichtig. Dabei habe ich eine ganz bestimmte Stephen-King-Kurzgeschichte von 1979 im Hinterkopf. „Die Kiste“. Aus dieser besagten Kiste erklingen seltsame Schmatzgeräusche. Sie sind das letzte, was die unschuldigen Opfer hören, bevor sie von der Kiste geschnappt und verzehrt werden.
Aber ich habe Glück. Die einzigen Lebewesen, auf die ich treffe, sind Schimmelpilze und Sporen. Meine Tupperdosen sind außerdem wasserdicht (darauf lege ich größten Wert), damit ihr Inhalt nicht in die Tonne laufen kann. Also habe ich immerhin etwas richtig gemacht.
Ich atme also durch den Mund, schalte den Blick auf „verschwommen“ und kippe den Inhalt der Dose mit Schwung in den Müll. Was die Erziehung betrifft: Manchmal bin ich gemein und zwinge die Jungs dazu, die Dose zu leeren. Das kann allerdings ins Auge gehen, weil sie vor lauter Ekel überhaupt nicht hingucken und dann die Hälfte neben der Mülltonne landet. Immerhin: Erziehungsauftrag wahrgenommen.
Weingummi und Zuckerperlen – eine Alternative?
Für die nächsten Ferien nehme ich mir dann vor, ganz bestimmt auf die Pausensnack-Entsorgung zu achten. Auch meine Jungs haben sich schon mit Vorschlägen eingebracht, um den ganzen Schimmelalarm zu vermeiden. Sie glauben, ich sollte ihnen einfach Weingummi und Zuckerperlen mitgeben anstelle der schnell gammelnden Brote.

Diese Brotdosen-Befüllung würden sich die Herren noch gefallen lassen. Vielleicht würde die auch länger halten. © Martina Niehaus
Denn momentan kommt noch ein Problem dazu: Bei den aktuellen Temperaturen sind nicht einmal mehr Sommerferien nötig, um den leckeren Pausensnack in eine Zombiegestalt namens „The Walking Bread“ zu verwandeln. Da reicht schon ein Wochenende.
Doch der Bonbon-Plan meiner Jungs geht nicht auf. Stattdessen gehe ich auf Nummer sicher. Und benutze weiterhin tropfsichere Behältnisse.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
