
Im Urlaub sind die Brüder unzertrennlich. Im Alltag auch – allerdings nur dann, wenn sie sich beim Diskutieren gegen mich verbünden können. Und diskutieren können sie richtig gut. © Martina Niehaus
Schluss mit der Diskussion – Kinder, macht doch einfach, was ihr wollt!
Kolumne
Jeden Tag diskutiere ich mit meinen Jungs. Über die kleinen und die ganz wichtigen Dinge, über Schule und Freizeit, Essen und Klamotten. Ich will nicht mehr. Doch Aufgeben ist keine Option.
Wenn morgens um viertel nach sechs der Wecker klingelt, fühle ich mich immer wie Bill Murray. Mit dem Unterschied, dass hier nicht täglich das Murmeltier grüßt. Sondern gleich zwei. Und sobald besagte Murmeltiere wach (oder vielmehr ansprechbar) sind, gehen die Diskussionen los.
Zum Einstieg gehört der morgendliche Kampf ums Bad. Den gewinnt meist der Große, weil er sein Frühstück schneller inhaliert. Spätestens wenn der eine von draußen an die Tür böllert und der andere von drinnen brüllt, sage ich: „Leute, wir haben zwei Badezimmer!“ Was niemanden zu interessieren scheint.
Weiter geht es mit der Klamottenfrage. „Ich hab keinen Bock auf Jeans, ich will eine Jogginghose tragen. Machen die anderen auch alle.“ Wir sind nicht alle anderen, entgegne ich dann. Und mache drei Kreuze, dass ich keine Tochter habe, die im bauchfreien Top in die Schule möchte.
Im Sommer war alles einfacher. Kurze Hosen, T-Shirt. Jetzt stehen die verregneten Herbsttage an. Wer glaubt, dass Jugendliche irgendeinen Selbsterhaltungstrieb haben, was Kälte betrifft, hat sich geschnitten. Täglich rede ich mir den Mund fusselig, damit sie zumindest einen Hoodie drüberziehen. Eine dünne Regenjacke kann ich mir abschminken. Ist uncool, wird nicht getragen. In diesem Punkt freu ich mich auf den Winter – offenbar sind dicke Jacken „in“.
Ja, Mama. Nee, Mama. Sorry, Mama.
Bevor die Herren das Haus verlassen, habe ich gefühlt nur Sätze von mir gegeben, die ich jeden Tag vergeblich aufs Neue sage. Und auf die ich immer dieselben Antworten erhalte.
Pack deine Tonne am Abend vorher. – Ja sorry, mach ich dann heute.
Wirf dein Shirt in den Wäschekorb, wenn du willst, dass ich es wasche. Hinter deinem Bett kann ich es nicht finden. – Oh, sorry.
Nimm bitte etwas Obst und ein Brot mit in die Schule. – Sorry, ich hab keinen Hunger.
Lade dein iPad am Abend. – Hab kein Ladekabel gefunden, sorry.
Zieh eine Jacke drüber. – Nee, das ist uncool.
Pack dein Sportzeug nicht in die Tonne. – Hab keinen Bock, den Beutel zu schleppen.
Frag heute mal nach dem neuen Stundenplan. – Okay.
Vergiss nicht die Maske für den Bus. – Alles klar, ich denk dran. Ich soll meine Lehrerin nicht anrülpsen, ich soll mein iPad laden, ich soll mir eine Jacke überziehen, ich soll nicht mit meiner Mutter diskutieren. Wenn es nur so einfach wäre...
© Martina Niehaus
Zur Schule gehen sie dann manchmal zu Fuß. Weil der Busfahrer sie ohne Maske nicht mitgenommen hat. Die Tonne, in der sich inzwischen die verschwitzten Turnschuhe mit Heften und Büchern vereint haben, landet nach der Schule in der Ecke. Später bekomme ich eine Mail von der Lehrerin, weil der Jüngere mal wieder mit ungeladenem iPad in der Klasse saß.
Der Große, der morgens ohne Pulli losmarschiert ist, hat „irgendwie so ein Kratzen im Hals“. Und wenn abends tatsächlich ausnahmsweise das Packen der Schulsachen ansteht, ist das ohne Stundenplan gar nicht so einfach. „Hab ich vergessen zu fragen. Sorry.“
Konsequenz ist gefragt: „Regenjacke? Zieh ich nicht an.“
Was mache ich falsch? Kinderpsychotherapeut Dr. Christian Lüdke, den ich zu dem Thema befragt habe, pocht auf Konsequenz. „Manchmal gibt es einfach keine Diskussion. Fertig.“ Sorry, Herr Lüdke – das funktioniert bei uns nicht. Die einzigen, die konsequent sind, sind meine Kinder. „Regenjacke? Zieh ich nicht an.“
Doch Aufgeben ist keine Option. Jeden Tag diskutiere, erlaube oder verbiete ich Dinge. Immer wieder. Oft verliere ich die Nerven. Dann höre ich: „Beruhig dich mal, Mama. Raste nicht immer gleich aus.“
Und dann gibt es diese anderen Momente. Wenn der große Bruder dem Kleinen ganz von allein hilft, das Chaos auf dem Dachboden aufzuräumen. Wenn der Kurze im Gegenzug die Kunsthausaufgabe des Großen fertigmacht (das Kind hat halt Talent).

Die Kunsthausaufgabe für den Großen machen? Gar kein Problem. Wenn der dafür das Zimmer aufräumt... © Martina Niehaus
Wenn der Große die Waschmaschine anwirft – bunt und weiß gemischt, aber das ist mir egal. Wenn ich unerwartet eine ausgeräumte Spülmaschine finde – oder wenn beide Kinder zusammen Steaks braten und mir meines servieren, weil ich ja im Home-Office sitze.
In solchen Momenten würde ich den Jungs einfach alles erlauben. Wer weiß – vielleicht dürfen sie ja morgen mal im bauchfreien Top zur Schule.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
