
© Jörg Bauerfeld
Angst vor dem Labello: Helikoptereltern sind mitten unter uns
Kolumne
Helikoptereltern – Menschen, die sich übertrieben um ihre Kinder sorgen – gibt es nicht. Sagt mein Kollege. Ich behaupte: Sie sind mitten unter uns! Was ein Labello damit zu tun hat? Abwarten...
Eltern müssen tun, was ihnen angeboren ist. Und dazu gehört es, für seine Kinder zu sorgen und sie zu beschützen. Das hat mein Kollege Daniel Claeßen kürzlich in seiner Fretful-Father-Kolumne geschrieben, in der er regelmäßig über seinen Alltag als Familienvater berichtet.
Da hat er sicher Recht. Auch ich sorge mich um meine Kinder und beschütze sie. Aber er schreibt auch, dass Fürsorge für ein Kind niemals übertrieben sein kann. Und dass er den Begriff der „Helikoptereltern“, die ständig wie Hubschrauber über ihrem Nachwuchs schweben, für kompletten Blödsinn hält. Denn der Begriff impliziere, dass Fürsorge per se etwas Schlechtes sei.
Das sehe ich anders. Fürsorge ist gut. Übertriebene Fürsorge ist aber schlecht. Glaub mir, lieber Daniel: Es gibt sie wirklich! Helikoptereltern. Sie sind mitten unter uns. Vor allem die Mütter. Selbst wenn ich die Augen schließen würde - ich würde sie hören. Denn sie rotieren laut und penetrant. In allen Lebensbereichen.
1. Helikoptereltern mit Geschmack
Beim Essen macht ihnen niemand etwas vor: Sie wissen genau, wie viele Kalorien in einer gedünsteten Pastinake stecken. Ziehen die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch, wenn man seinem Kleinkind ein Gummibärchen gibt - und kramen dann demonstrativ ihre Rosinchen und Reiswäffelchen hervor. Die in unserer Familie nicht mal der Hund anrühren würde.

Oh-oh... Himbeeren aus dem eigenen Garten. Die sind eine ganz gefährliche Sache. © Martina Niehaus
Eine mir bekannte Kindergartenmutti lief jedes mal armfuchtelnd ums Lagerfeuer, um das Stockbrot ihres Kindes vorzukosten. „Das ist ja außen ganz verbrannt und innen noch ganz roh!“ Ach was. Das ist Stockbrot doch immer.
Die gleiche Mutter hatte am Nachmittag sämtliche Kinder zu Tode erschreckt, weil sie sie beim Himbeerpflücken erwischt hatte. „Lass die Himbeere SOFORT fallen“, schrie sie ihren Sohn an. „Da könnten MADEN drin sein!“
Na gut - Fleischbeilagen aus der Natur sind nicht jedermanns Sache. Doch was sie gegen das Leibgericht meines Sohnes einzuwenden hatte, verstehe ich nicht. Kräutergehacktes von Maggifix ist schließlich nicht am Strauch gewachsen. „Also Geschmacksverstärker kommen mir NICHT ins Haus“, bekam ich zu hören.
Bei den Reiswaffeln hätten die aber sicher geholfen...

Ein Pfund Hackfleisch anbraten, darauf einen halben Liter Wasser gießen und Maggifix für Kräutersauce einrühren. Fertig. An Kartoffeln servieren. Schmeckt stark! © Martina Niehaus
2. Helikoptereltern sehen fern
Sie kennen sämtliche FSK-Label auswendig und wissen sogar, dass FSK „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ heißt. Jahaa! Ich musste das erstmal googeln. Eine Freundin von mir kassierte riesigen Ärger mit einer Helikopter-Mutti, weil sie den Kindern erlaubt hatte, den Zeichentrickfilm „Asterix erobert Rom“ zu gucken. Der Junge der Bekannten war fünf Jahre und zehn Monate alt, und der Film war ab sechs.
Ähnliche Erfahrungen habe ich selbst gemacht. Eine Mutter, die ihr Kind bei uns abholte und dabei bemerkte, dass die Kinder Tom und Jerry schauten, bekam einen hysterischen Anfall. Sie schnappte sich die Fernbedienung und machte die Kiste aus. Die Sendung sei VIEL zu gewaltverherrlichend, kanzelte sie mich vor den Kindern ab.

DIESER Film ist nicht so toll für Kinder. Aber bei Tom und Jerry, liebe Eltern, bei denen kann man schon mal ein Auge zudrücken. © Martina Niehaus
Anschließend erzählte sie mir eine Woche lang, wie aggressiv ihr Junior doch nach seinem Besuch bei uns geworden sei. Vermutlich hatte er versucht, seine Mutter in einer Mausefalle zu fangen, mit Senf (Achtung: Geschmacksverstärker!) zu bestreichen, zwischen zwei Toastscheiben zu klemmen und in der Pfanne zu braten.
3. Helikoptereltern an der frischen Luft
Wenn Kinder von Helikopter-Müttern zum Spielen vorbeikommen, sollte man damit rechnen, dass die Mutter gleich mit dableibt. Spielen die Kinder im Garten, wird die Mutti unter Garantie ihren Nachwuchs lautstark vor Gefahren warnen.
Zu ihrer Tochter: „Nicht den dicken Stein hochheben, davon bekommst du eine Gebärmuttersenkung!“
Zu meinem Sohn: „Bitte richte nicht deine Spielzeugpistole auf meine Tochter!“
Und zu mir: „Das Erlebnis wird sie erstmal verarbeiten müssen...“
Anschließend schlägt sie den Kindern vor, etwas „Natürlicheres“ zu spielen als diese Gewaltspiele mit Pistolen. „Bastelt euch doch Pfeil und Bogen, wie bei Yakari und den Indianern!“ Na super. Da fragt man sich doch, was schneller ins Auge geht. Ein selbstgeschnitzter Pfeil oder eine Plastikpistole?

Mit Pistolen zeigt man nicht aufeinander. Wie wäre es aber mit Pfeil und Bogen, oder einem schicken Speer? Den hat Yakari auch. © Martina Niehaus
4. Helikoptereltern in der Schule
Auf jedem Elternabend gibt es ein oder zwei Exemplare. Sie bestehen darauf, bei der anstehenden Klassenfahrt als Aufsicht mitzufahren - weil sie sichergehen möchten, dass ihr Kind auch gut durchschläft.
Sie beschweren sich mitten im Winter darüber, dass ihr Kind im Unterricht nicht trinken darf. „Der Flüssigkeitshaushalt ist unglaublich wichtig“, erklären sie der Lehrerin, die am Rand des Wahnsinns ist. Weil sie nur verhindern möchte, dass 30 Kinder die Stunde sprengen, weil sie erst trinken und dann auf die Toilette müssen.
Sie beschweren sich über die Strafarbeit ihres Kindes. Der Sohn der Wasser-Befürworterin soll zehnmal schreiben: „Ich darf meine Lehrerin nicht anrülpsen.“ Die Mutter weigert sich, ihren Filius die Strafarbeit schreiben zu lassen: „Er hatte kurz zuvor getrunken. Es ist wichtig, dass die Luft aus dem Magen entweichen kann.“

Was soll der Kleine tun, wenn er so viel Wasser im Bauch hat? Soll sich die Lehrerin doch nicht einfach in den Weg stellen, wenn die Luft raus muss... © Martina Niehaus
Und sie stellen vor der gesamten Klasse andere Eltern zur Rede. „Ich möchte hier mal was zur Sprache bringen: Ihr Sohn hat kürzlich meine Tochter mit einem Gegenstand bedroht.“
Was der Gegenstand denn war, fragt die andere Mutter.
Die Antwort? „Ein ausgefahrener Labello.“
Es sind diese Momente, in denen ich laut schreien möchte. Um die Rotoren-Geräusche zu übertönen.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
