Dicke Eiskristalle überzogen das Strauchwerk an der Ruhr bei der sibirischen Kälte im Januar 2009.

© Michael Habinghorst

Eisschollen auf der Ruhr bei minus 20 Grad: Als Schwerte im Januar im Frost erstarrte

rnSchwerte im Eiswinter

Türschloss-Enteiser gehört nicht ins Handschuhfach, sondern in die Jacke. Das lernten die Schwerter, als sibirischer Frost die Stadt im Januar 2009 erstarren ließ – aktuell kaum vorstellbar. Wir blättern im Archiv.

Schwerte

, 10.01.2021, 11:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Allein der Blick auf die Fotos verleitet die Gliedmaßen unwillkürlich zum Bibbern. Zugefroren ist die Ruhr, dicke Eiskristalle überziehen die Sträucher an ihren Ufern, Schneebälle zerbersten auf Eisschollen. Unter sibirischer Kälte ächzte das Ruhrtal, als der Schwerter Michael Habinghorst vor zwölf Jahren mit seiner ersten Panasonic-Digitalkamera in die Natur zog.

„Das waren schöne Spaziergänge“, sagt er. Obwohl das Quecksilber im Thermometer-Röhrchen auch bei Tage weit in den Minusbereich absackte. Nachts wurden sogar minus 20 Grad gemessen – ein Kältewinter, wie ihn die Ruhrstadt seit zwei Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte.

Einsatzleiter des Räumdienstes übernachtete in seinem Büro

Mühsam wie selten war es schon gewesen, die Reste von China-Böllern und Feuerwerks-Raketen aus der Silvesternacht von den Straßen zu räumen. Kehrmaschinen konnten nicht eingesetzt werden, da deren feine Wasser-Sprühdüsen in Nullkommanichts hoffnungslos vereist gewesen wären. Also mussten der städtische Bauhof mit Mann und Maus ausrücken, um die angefrorenen Papierschnippsel per Schaufel und Besen loszuhacken.

Fast wie ein Gemälde wirkt das Foto der schneebedeckten Ruhrwiesen vor der Kulisse der Viktorkirche im Eiswinter 2009.

Fast wie ein Gemälde wirkt das Foto der schneebedeckten Ruhrwiesen vor der Kulisse der Viktorkirche im Eiswinter 2009. © Hannelore Hagedorn

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Am ersten Sonntag des Jahres setzte plötzlich auch noch heftiger Schneefall ein, wie ihn die Ruhrstadt seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Drei Räumfahrzeuge und ein umgerüsteter Unimog waren – mit einer Pause nur von 22.30 bis 4 Uhr – pausenlos unterwegs. Der Einsatzleiter, der ihre Runden koordinierte, übernachtete sogar in seinem Büro.

Handschuhe waren Anfang Januar ausverkauft

Noch nicht geräumt war der Marktplatz, wo ohnehin nur die härtesten Händler ihre Stände aufbauten. Lediglich sechs Verkaufswagen warteten auf Besucher, die sich bei minus fünf Grad durch eisigen Wind kämpften und den dicken Schneeflocken trotzten. Obst, Gemüse und Blumen konnten bei dieser Kälte sowieso nicht verkauft werden, ohne Schaden zu nehmen. Selbst Eier wären geplatzt, der Waffelteig wäre eingefroren.

Ein seltenes Schauspiel der Natur: Die zugefrorene Ruhr fotografierte Michael Habinghorst im Januar 2009 am Wellenbad in Geisecke.

Ein seltenes Schauspiel der Natur: Die zugefrorene Ruhr fotografierte Michael Habinghorst im Januar 2009 am Wellenbad in Geisecke. © Michael Habinghorst

Gute Geschäfte machten dagegen die Textilhändler der Stadt. Herren- und Kinderhandschuhe waren damals schon am 7. Januar ausverkauft, wie die Filialleitung von C&A berichtete. Viele Kunden hatten ihre Winterkleidung gar nicht erst in Plastiktüten stecken lassen, sondern direkt angezogen.

Satte Gewinne konnten auch die Stadtwerke verbuchen. Der Verbrauch von Heizgas explodierte in den ersten zwei Wochen 2009 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 48 Prozent – im Vergleich mit 2007 sogar um fast 90 Prozent. Umgekehrt war die Winteridylle für die Kunden also ein teurer Spaß.

Skiclub veranstaltete Riesentorlauf am Danzturm in Iserlohn

Ein seltenes Vergnügen gönnten sich die Mitglieder vom Skiclub Schwerte. Sie nutzten die Gunst der Stunde mit Dauerfrost und Schnee, um erstmals in ihrer Geschichte ein Skirennen ganz in der Nähe zu veranstalten. Zusammen mit anderen Vereinen aus der Region luden sie am Hang unter dem Danzturm in Iserlohn zum 1. Märkischen Skirennen ein. Mit roten und blauen Stangen wurde die Piste für einen 500 Meter langen Riesentorlauf abgesteckt. Rund 50 Teilnehmer im Alter von 5 bis 68 Jahren gingen an den Start.

Schneemassen wie selten mussten die Schwerter Anfang Januar 2009 von den Bürgersteigen und Straßen schaufeln.

Schneemassen wie selten mussten die Schwerter Anfang Januar 2009 von den Bürgersteigen und Straßen schaufeln. © Bernd Paulitschke

Als Mitte Januar 2009 Tauwetter einsetzte, konnte Bilanz gezogen werden. Riesige Mengen an Streusalz hatte der Bauhof verteilen müssen. Binnen einer Woche waren neun Lastzüge mit jeweils 26 Tonnen Nachschub angerollt. An manchen Stellen im Stadtgebiet hatte der Frost ganze Gehwegflächen angehoben, sodass kleine Stufen zu den Bordsteinen entstanden.

Und den schlimmsten frostbedingten Rohrbruch erlebte die Feuerwehr in einem Haus am Beckenkamp. Aus einer geborstenen Steigleitung in der Außenwand schoss ein Wasserfall in die darunterliegende Wohnung und aus der Fassade heraus.

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