Heimatmuseum ist heimatlos Zum 90. Geburtstag ist das Ruhrtalmuseum immer noch geschlossen

Heimatlos: Zum 90. Geburtstag ist das Ruhrtalmuseum immer noch geschlossen
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Das Skelett des mächtigen Höhlenbären furchtlos in den Schwitzkasten nehmen. Etwas schauernd unter der Haifisch-Mumie stehen, die von der Decke herabbaumelt. Solch unbeschwerten Kindergeburtstags-Spaß haben Generationen von Schwerterinnen und Schwertern zwischen unzähligen Devotionalien aus der Stadthistorie im Ruhrtalmuseum genossen.

In späteren Jahren konnten sie die Sammlungen als unerschöpfliche Quelle für Schul-Referate nutzen – genauso wie Heimatforscherinnen und Heimatforscher für ihre Themen. Vor 90 Jahren, am 15. Oktober 1933, wurde die heimatkundliche Ausstellung von ihrem Gründer Josef Spiegel (1901-1984) im Alten Rathaus an der Brückstraße eröffnet.

Erste Grabungen im Gänsewinkel

Der Sohn eines singenden Schuhmachermeisters – eine Tafel an einer Fachwerkwand an der Kleppingstraße erinnert noch heute an sein Geburtshaus – war ein Autodidakt. Seine Leidenschaft für die Geschichtsforschung hatte als 19-Jähriger eine Entdeckung im Gänsewinkel geweckt: allerlei Steingeräte aus Feuerstein und Kieselschiefer, die Jäger und Fischer der Jungsteinzeit vor vielen Tausend Jahren hinterlassen hatten.

Sein Job als Weichensteller bei der Eisenbahn half ihm, sein Lebenswerk zu beginnen. Mit Freifahrtscheinen, die Bahn-Angehörige damals erhielten, konnte er mit dem Spaten zu weiteren Lagerplätzen der alten Germanen reisen. 1927 zeigte er seine Funde bei einer ersten großen Ausstellung in der Stadt. Drei Jahre später folgte der Ritterschlag: Der Leiter des Völkerkundlichen Museums in Kiel lud den Schwerter zu seinen Ausgrabungen der Wikingerstadt Haithabu in Schleswig ein.

Altes Rathaus Schwerte
Vor 90 Jahren zog das Ruhrtalmuseum in das Alte Rathaus an der Brückstraße ein. © Reinhard Schmitz (A)

Was aber fehlte, war ein Ort für die dauerhafte Präsentation der immer umfangreicher werdenden Schätze. Fünf Jahre lang musste Josef Spiegel bei den Stadtvätern dicke Bretter bohren, um schließlich den Zuschlag für die neue Nutzung des Alten Rathauses zu erhalten.

Im Mittelpunkt sollten Zeugnisse über die Entstehung und Besiedlung des Ruhrtals stehen, die während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs in Banktresoren versteckt und teilweise sogar wieder vergraben wurden. Die Schätze, darunter die 2000 Jahre alte bronzene römische Siegesgöttin Victoria, die beim Bau des Stahlwerks Ergste (heute: Zapp) zutage kam, überstanden alle Zerstörungen.

Stücke für eine Million Mark

Nach dem Kriegsende konnte der Museumsleiter richtig durchstarten. In der ersten Etage baute er eine Sonderausstellung über die Entwicklung des Postwesens auf, deren Prunkstück die Briefmarken der kurzlebigen Schwerter Stadtpost (1887/1888) waren.

Der Nachbarraum dokumentierte die Katastrophe nach der Bombardierung der Möhnetalsperre am 17. Mai 1943, als das Viertel rund um die Mühlenstraße fast bis unter die Dächer in den Fluten versank. Ein drittes Zimmer diente als Bibliothek mit Tausenden Bänden Fachliteratur. Auf einen Wert von mehr als einer Million Mark schätzten Fachleute – so berichtete die Schwerter Zeitung im Herbst 1968 – die Sammlung, zu der auch historische Hausgeräte wie beispielsweise Eiserkucheneisen zählten.

Bronzefigur der römischen Siegesgöttin Viktoria
Die Bronzefigur der römischen Siegesgöttin Viktoria, die beim Bau des Stahlwerks Ergste (jetzt: Zapp) gefunden wurde, ist eines der wertvollsten Exponate des Ruhrtalmuseums. © Birgit Kösling-Korth (A)

Unter Nachfolger Gerhard Hallen veränderte sich das Gesicht des Museums. Nach der Renovierung des Gebäudes sollte auch die Inneneinrichtung dem Zeitgeist entsprechen. Neue Vitrinen, Stellwände für Wechselausstellungen oder Ton-Dia-Schauen und eine bessere Beleuchtung waren Kernpunkte der Umgestaltung, die mit einem Landeszuschuss von 210.000 Mark umgesetzt wurde.

Dabei verschwanden aber die Themen Postgeschichte und Stenographie. Viele Exponate wurden ausgelagert in einen dunklen Kriechkeller des Schulzentrums Gänsewinkel – darunter auch der legendäre Haifisch, den ein Hansekaufmann in seine Heimatstadt mitgebracht hatte.

Seit sechs Jahren geschlossen

Dem bislang letzten Museumsleiter John Loftus gelang es 2001, Teile der ursprünglichen Spiegel-Sammlung ins Museum zurückzuholen. Der Haifisch erhielt wieder seinen Ehrenplatz unter der Decke des historischen Hansezimmers mit seinem Kamin. Andere Exponate konnten mithilfe des Fördervereins in einem neuen Magazin in der Nähe des Museums zu besseren Bedingungen eingelagert werden.

Haifisch im Ruhrtalmuseum Schwerte
Das kuriose Prunkstück der Sammlung kennen wohl alle Schwerter: Als Souvenir brachten Hansekaufleute einst den Haifisch mit in die Ruhrstadt, der im Hansezimmer des Museums ausgestellt war. © Reinhard Schmitz (A)

Das größte Geschenk hatte der Förderverein dem Museum aber schon vier Jahre zuvor gemacht: 1997 konnte in fünfmonatiger Bauzeit die Verglasung der früher offenen Arkaden im Erdgeschoss abgeschlossen werden. Mit einem Aufwand von 600.000 Mark war „Schwertes gute Stube“ entstanden, die fortan für den Eingangstresen sowie unzählige Sonderausstellungen und regelmäßige Vorträge genutzt wurde.

All das ist auch schon Geschichte. Seit Juli 2017 ist das Ruhrtalmuseum für einen groß angelegten Umbau geschlossen und leer geräumt. Das erst wenige Jahre zuvor verlegte Altstadtpflaster im Arkadensaal ist schon wieder herausgerissen. Doch die Arbeiten an dem Ensemble, in das die frühere Kneipe Alte Marktschänke nebenan einbezogen werden soll, kommen nicht sichtbar voran. Noch scheint völlig offen, welchen Geburtstag das Museum wieder in seinen angestammten Räumen feiern kann.

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