Neue Heimat Schwerte Familie Chebanov floh vor einem Jahr aus dem Kriegsgebiet

Neue Heimat Schwerte: Familie Chebanov floh am 24. Februar vor dem Krieg
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Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine. Jetzt sitzt die vierköpfige Familie Chebanov auf dem Sofa in Schwerte und erinnert sich daran, wie sich ihr Leben an dem Tag vor genau einem Jahr schlagartig verändert hat. Hastig wurden die Sachen zusammengepackt und das Haus sowie die Haustiere, ein Kater und eine Hündin, zurückgelassen.

Aus der Seehafenstadt Cherson flieht die Familie vor den Invasionstruppen, die von der Krim aus nach Norden vorstoßen. In den ersten Tagen des russischen Überfalls war speziell das Umland der Stadt Schauplatz schwerer Gefechte.

Kater und Hündin der Familie Chebanov.
Die Familie ist geflüchtet, ihre Haustiere musste sie zurücklassen. © privat

Abschied fiel sehr schwer

Zunächst ziehen sie von Stadt zu Stadt, wo sie bei Verwandten unterkommen, dann geht es weiter über Polen nach Deutschland. Schließlich kommen Mama Natalyia (38), ihr zwölfjähriger Sohn Illya und die dreijährige Yana am 9. März in Schwerte an, während Papa Yakov (42) noch in der Ukraine bleibt. „Der Abschied ist uns sehr, sehr schwergefallen“, sagt Illya.

Der zwölfjährige Illya sitzt am Küchentisch.
Der zwölfjährige Illya ist der Familien-Dolmetscher. © Irina Höfken

Heute seien sie nicht mehr so traurig, wie in den ersten Monaten, sagt er. Von der Familie spricht Illya am besten Deutsch. Er geht in der Gesamtschule Gänsewinkel in die siebte Klasse. Bevor er in Deutschland angekommen ist, kannte er kein einziges deutsches Wort, jetzt spricht er die Sprache nahezu fließend und ist der Familien-Dolmetscher. „Das ist gar nicht schwer für mich“, sagt er.

„Du hast ja auch ein Talent für Sprachen“, sagt Papa Yakov stolz und lächelt – Illya übersetzt. Jetzt beherrscht der Zwölfjährige vier Sprachen: Ukrainisch, Deutsch, Russisch und Englisch.

Was die Familie an Schwerte liebt

Im Oktober 2022 kommt auch Yakov endlich in Schwerte an. Für ihn und Nataliya ist die Sprache noch eine große Herausforderung. Nichtsdestotrotz fühlen sie sich wohl in der Ruhrstadt. Der wohl größte Unterschied zur Heimatstadt? „Die Größe. Hier ist es viel kleiner und ruhiger. Aber das mögen wir“, sagt Illya, nachdem die Antwort in der Familie auf Ukrainisch besprochen wird. Vor Kriegsbeginn lebten etwa 284.000 Menschen in ihrer ukrainischen Heimatstadt, heute nur noch 40.000 (Stand Januar 2023).

Nataliya liebt am meisten die Natur in Schwerte, Yakov die Ordnung in der Stadt und die netten Menschen. Die dreijährige Yana liebt das Spielen und die Spielplätze in der Umgebung. Illya geht wahnsinnig gerne in die Schule, wie er sagt, und hat dort auch schon viele Freunde gefunden. Er ist hin- und hergerissen, ob er gerne in Schwerte bleiben oder lieber wieder zurück in die Ukraine möchte, wenn der Krieg vorbei ist.

Die Familie beim Waldspaziergang in der Ukraine.
Die Familie beim Waldspaziergang in der Ukraine vor Kriegsbeginn. © privat

Was bedeutet der Jahrestag?

Illya hofft, dass die russischen Truppen schon bald abziehen. Seine Eltern gehen allerdings nicht davon aus. „Noch drei Jahre dauert der Krieg mindestens“, schätzt Yakov. Was der Familie der Jahrestag am 24. Februar bedeutet? „Dass wir schon ein Jahr nicht mehr zu Hause sind“, sagt Nataliya.

Ruinen des Flughafens von Cherson
Ruinen des Flughafens von Cherson: Das Flughafengelände der kürzlich befreiten Stadt war ein wichtiger Punkt für die russischen Streitkräfte, von dem aus sie Munition abwarfen und die Stadt kontrollierten. © picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Für die Eltern komme es darauf an, wie lange der Krieg noch andauert, ob es dann wieder zurück in die Heimat geht: „Jetzt haben wir keine Wahl. Wir sind so dankbar, dass wir hier sein dürfen. Aber wie ‚zu Hause‘ fühlt es sich noch nicht an“, sagt der 42-Jährige.

Sie tun aber alles dafür, damit die Ruhrstadt immer mehr zu einem richtigen Zuhause für sie wird. Dazu gehört ein Job für Tischler Yakov; er ist noch auf der Suche. Auch Hobbys gehören dazu: Die Jungs der Familie gehen jetzt zum Tischtennis.

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