Gerade habe ich den Begriff noch einmal im Internet gesucht – und bin fündig geworden: das Oxymoron. Die rhetorische Figur wird ausgedrückt, um „kaum Auszudrückendes oder gar Unsagbares in ein Gegensatzpaar zu zwingen und dadurch zum Ausdruck zu bringen“. Wie in dem bekannten Gedicht „Dunkel war’s, der Mond schien helle“. Ich bin der Meinung, der Begriff „Aufgeräumtes Zimmer eines Vierzehnjährigen“ wäre ein gutes Beispiel für so ein Oxymoron.
Wenn ich nämlich mitunter das Zimmer meines Sohnes betrete, liegt mir der „stumme Schrei“ auf den Lippen. Ich betrachte zunächst den verstaubten Schreibtisch, vollgestellt mit Essensresten und Geschirr. Beim Anblick der zerschnippelten Radiergummis in Kakaogläsern, der verbogenen Geodreiecke und ausgelaufenen Tintenpatronen denke ich: „Alter Knabe!“

Unsichtbar sichtbar
Mein Blick wandert weiter. Auf der Fensterbank steht eine Blume (tot, da verdurstet) neben einem Kaktus (noch lebendig, der braucht kaum Wasser). Im Regal stapeln sich in halb zusammengebrochenen Behältern Schulhefte, lose Blätter hängen in unregelmäßigen Abständen heraus.
Im Fach darunter: Ein Baseball, ein Tischtennisball, ein Zollstock (um das Chaos besser zu vermessen?), und dieser Zufallshaufen befindet sich neben der zuletzt vermissten Italienisch-Grammatik. Der Anblick macht mich, um Hölderlin zu zitieren, „traurigfroh“.
Schaffe ich es durch das ganze Chaos bis zum Bett, bin ich versucht, Goethes Faust zu zitieren. Denn die Socken, die halb unter dem Bett hervorlugen, sind ebenso wie die zerbrochenen Zahnstocher und die klebrigen Lolliflecken auf dem Beistelltisch „unsichtbar sichtbar“. Wenn man (wie ich) mehrmals solche Flecken angefasst hat oder in Zahnstocherspitzen getreten ist, ist das genau die richtige Beschreibung.

Aufgeben ist für mich keine Option: Natürlich ziehe ich den Bewohner dieser Vorhölle regelmäßig an den Ohren nach oben, um über das jeweilige Chaos im Speziellen und die Einstellung zum Aufräumen im Allgemeinen zu sprechen. Meist folgt „beredtes Schweigen“ auf meine Vorhaltungen. Und je mehr ich ausraste und nach Ordnung rufe, umso gelassener wird der Bengel. „Eile mit Weile“, das scheint sein Motto zu sein. „Ich versteh die Aufregung nicht. Ich hab doch letztens erst aufgeräumt.“
Wenn mein Sohn aufräumt, bedeutet das übrigens, dass er all die Dinge, die ihm unwichtig sind (wie leere, saubere Schulhefte oder die Mathe-Formelsammlung), in einen Karton packt und vor seine Zimmertür stellt. „Das kann in den Keller“, sagt er dann. Und fügt hinzu: „Ich weiß ja schließlich gar nicht, wo das alles hinmuss.“
Wie George Orwell im Roman 1984 schon schrieb: „Unwissenheit ist Stärke.“

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