Eisenbahnausbesserungswerk Schwerte

Nur wegen Wettschuld: Im Handstand auf 30 Meter hohem Kamin balanciert

Wer glaubte, er wüsste schon alles über das vor 100 Jahren eröffnete EAW Schwerte, wurde bei einer Führung eines Besseren belehrt. Es gab sogar noch frühere Mitarbeiter, die Dönekes wussten.

Schwerte-Ost

, 10.10.2022 / Lesedauer: 4 min

Beim ersten Blick fällt nicht auf, dass auf dem über zwölf Hektar großen Gelände im Schwerter Osten das ehemals modernste Eisenbahnausbesserungswerk (EAW) Deutschlands beheimatet war. Begann man bereits im Jahr 1914 mit den ersten Erdarbeiten zum Aufbau, konnte das Werk wegen der Geschehnisse des Ersten Weltkrieges erst am 1. Oktober 1922 seine eigentliche Funktion aufnehmen: Reparaturen, Wartung und Service für Dampflokomotiven waren angesagt.

Ehemaliger Mitarbeiter konnte Dönekes beisteuern

Eindrucksvoll, informativ und humorvoll gespickt hat Sabine Totzauer von den Schwerter Eisenbahnfreunden bei einem fast zweistündigen Rundgang am vergangenen Freitag (7.10.) die Geschichte des EAW den zehn Teilnehmern vermittelt. Auch viele Fragen der Rundgang-Besucher beantwortete sie sachkundig. Spannende Insider-Infos, alte Fotos, Pläne sowie einige Dönekes konnte Herbert Isenberg von den Schwerter Eisenbahnfreunden bei der Führung beitragen – er hat selbst noch viele Jahre in dem Werk gearbeitet.

Die Hallen und sogar ein Teil der früheren Krananlagen des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes Schwerte-Ost werden heute von verschiedenen Industriebetrieben genutzt. © Hilmar Schmitt

Im Bereich der Ernst-Gremler-Straße und der Emil-Rohrmann-Straße haben sich nach Schließung des EAW im Jahr 1987 rund 40 Unternehmen und Institutionen angesiedelt. „Davon einige, die weltweit ihre Lieferungen und Dienstleistungen anbieten und verkaufen“, erklärte Sabine Totzauer.

Unter dem Gelände existiert noch eine große Bunkeranlage

Ausgangspunkt der Werksgeländebegehung war das ehemalige Tor 1 des EAW, gegenüber des längst geschlossenen und extra für das Werk gebauten Bahnhofs Schwerte-Ost. Auch das einstige Verwaltungsgebäude befindet sich dort. Teilnehmer Wilhelm Sander, der auf dem ehemaligen Werksgelände wohnt und sich selbst als „letzten EAW-Mitarbeiter vor der Werksschließung“ bezeichnet, wusste: „Noch immer befindet sich unterhalb des damaligen Verwaltungsgebäudes eine große Bunkeranlage.“

Die Dampflokomotiven fuhren im Werk nicht auf Schienen

Sabine Totzauer erklärte gemeinsam mit Herbert Isenberg den logistischen Ablauf bei den Reparaturen an den Dampflokomotiven: „Auf dem Gelände sind dafür keine Schienen vorhanden – der Transport der tonnenschweren Lokomotiven und Geräte erfolgte mittels groß-dimensionaler und überaus tragfähiger Schiebebühnen, die Funktion ist ähnlich einer Wasserschleuse – die Loks werden hineingeschoben und herausgezogen.“ Die Gerüste der aufwendigen Konstruktionen sind zum Teil noch immer vorhanden. Auch innerhalb der Gebäude befinden sich Kran- und Aufzuganlagen, die – angepasst mit moderner Bedienungstechnik – nach 100 Jahren noch immer gute Dienste leisten.

Neun der Gebäude des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes sowie die gesamte Kreinberg-Siedlung, die gemeinsam mit dem EAW gebaut wurde und den Mitarbeitern als werksnahes Zuhause diente, stehen unter Denkmalschutz. Mit dabei ist auch das eigene Kohlekraftwerk mit einer Leistung von zwei Megawatt. Damit konnten das gesamte Eisenbahnausbesserungswerk, die Kreinberg-Siedlung sowie Häuser der nahen Umgebung zumindest tageszeitweise mit Strom versorgt werden.

Direktor erwischte Mitarbeiter auf dem Schornstein

Das Kraftwerk ist nicht mehr in Betrieb, sein Schornstein aber noch aus weiter Entfernung zu sehen. „Der war ursprünglich mal 85 Meter hoch, bevor durch einen Blitzeinschlag die Höhe verkürzt werden musste“, sagte Wilhelm Sander: „Und auf der Kaminkrone des 30 Meter hohen Schornsteins der Schmiede balancierte einst Sportskanone Heini Heidbrede auf Händen ohne Sicherung einmal rundherum – Einlösung einer verlorene Wette. Sein Pech war allerdings, dass er vom Direktor bei der spektakulären Aktion erwischt wurde.“

Der Rundgang sparte die Gedenkstätte für die im Zweiten Weltkrieg eingesetzten KZ-Häftlinge aus Buchenwald nicht aus. © Hilmar Schmitt

Natürlich führte der Rundgang auch zur Gedenkstätte für das Außenkommando des KZ Buchenwald. Während des Zweiten Weltkriegs waren Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und auch KZ-Häftlinge im EAW Schwerte eingesetzt. Sabine Totzauer brachte einfühlsam ein wenig Licht in die dunkle Seite der Geschichte des Eisenbahnausbesserungswerks. Dabei berichtete sie auch von der Schwierigkeit, ein Hinweis- und Informationsschild an dem aufzustellen: „Die Gedenkstätte ist als Bodendenkmal eingestuft, selbst der Einbau des relativ kleinen Betonsockels vor dem Zugang musste genehmigt werden.“

Teilnehmerin: Wichtige heimatgeschichtliche Lücke geschlossen

Beindruckt und zufrieden waren die Teilnehmer nach der Führung. „Das war echt super“, so das Lob einer Besucherin: „Ich komme zwar aus Schwerte, aber mir waren die aufgezeigten Hintergründe nicht bekannt – eine mir wichtige heimatgeschichtliche Lücke hat Frau Totzauer geschlossen. Und die Insider-Infos mit den vielen Anekdoten waren top.“

Auf dem Rückweg zum Ausgangspunkt berichtete Sabine Totzauer über die legendäre „Werklok Nr. 3 – ein „Herzensprojekt“ der Schwerter Eisenbahnfreunde: „Die Dampflok wurde bereits im Jahr 1898 erbaut und diente über 40 Jahre zu Rangierarbeiten im EAW – gerne würden wir sie von ihrem derzeitigen Standort wieder zu uns nach Schwerte holen, aber der Kostenaufwand für die Überführung und die Erfüllungsauflagen zur Aufstellung der Lok auf dem EAW-Gelände sind zu teuer für uns.“ Mit einem Augenzwinkern ergänzte sie: „Vielleicht macht ja einer von uns Eisenbahnfreunden einen Lottogewinn, oder wir erhalten eine Spende hierzu.“

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