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Florian Quecke (26): „Er starrte einfach auf die Straße. Sein Gesicht werde ich nie vergessen“
Krieg in der Ukraine
Vor genau einer Woche hatte der Schwerter Reiseunternehmer Florian Quecke in einem Buskonvoi Menschen von der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt. Die Erlebnisse dort haben ihn mitgenommen.
Florian Quecke ist eigentlich ein Mensch, der gern lacht. Das hat er bei mehreren Treffen und Gesprächen vor der Abfahrt des großen Buskonvois am vergangenen Wochenende gezeigt. Entschlossen, zupackend, dabei aber auch gut gelaunt hatte der 26-Jährige noch am Donnerstag (3.3.) beim Beladen der Busse von den Schwerter Hilfsplänen erzählt.
Jetzt sind die fünf Busse aus dem Ruhrgebiet wieder da, haben viele Menschen in Sicherheit gebracht. Allein im Quecke-Bus waren es knapp 50 Personen. Manche von ihnen sind in Schwerte untergekommen, andere sind weitergereist. Das ist eigentlich ein Grund zur Freude. Die Aktion war erfolgreich.
„Das war schon alles sehr heftig“
Doch während Florian Quecke in seinem Büro von der Fahrt erzählt, merkt man: Die Erlebnisse haben ihn sehr mitgenommen. Er lacht noch. Ab und zu. Aber er macht auch lange Pausen zwischen den Sätzen. Reibt sich immer wieder die Augen. Oft ist er den Tränen nah.
„Jetzt, mit etwas Abstand, geht es wieder“, sagt er mit einem schiefen, fast entschuldigenden Lächeln. „Aber das war schon alles sehr heftig.“ Gemeinsam mit seiner Freundin Tabea Willecke, deren Schwester Jasmin sowie den Mitarbeitern Alain Delandmeter und Roman Morys war er in einem Doppeldeckerbus in Richtung Medyka aufgebrochen, dem ukrainisch-polnischen Grenzübergang.

Auf der Hinfahrt in Richtung Krakau (v.l.): Florian Quecke, Romas Morys, Tabea und Jasmin Willecke und Alain Delandmeter. © Quecke
Auf der Hinfahrt im Bus sei die Stimmung noch gelöst gewesen, erzählt Quecke. „Wir haben in Krakau übernachtet. Dort haben wir die Hilfsgüter bei der Caritas Polen abgegeben.“ Die meisten Spenden seien dann direkt nach Kiew weitertransportiert worden.

Die Hilfsgüter werden in Polen abgeladen. Dafür haben Helfer eine Menschenkette gebildet. © Quecke
Am nächsten Tag habe es viele Planänderungen gegeben. „Wir hatten unsere Kontaktpersonen, das war ein privates Netzwerk“, erzählt Quecke. „Plötzlich kam der Anruf: Die Gruppe, auf die ihr wartet, wird nicht rechtzeitig über die Grenze kommen.“ Wegen Corona-Kontrollen, habe es geheißen. „Doch es ging vor allem darum, dass die ukrainischen Männer nicht ausreisen durften“, sagt Florian Quecke.

Im Grenzgebiet kommen viele Spenden und Hilfsgüter an. Doch die Verteilung muss koordiniert werden, sonst liegen sie offen auf der Straße herum. Die Spenden aus Schwerte wurden an Hilfsorganisationen übergeben. © privat
Am 30 Kilometer nördlich von Medyka gelegenen Grenzübergang Korczowa nahmen die Helfer ukrainische Passagiere auf. „Dort in der Nähe gab es eine riesige Lagerhalle mit Tausenden Feldbetten, da kamen die Leute an. Die Feuerwehr und das polnische Rote Kreuz halfen. Die Logistik war wirklich beeindruckend“, erzählt der Schwerter.

An offenen Feuern wärmen sich Helfer und Geflüchtete. © privat
Alte polnische Busse hätten die Menschen im Zwei-Minuten-Takt vom Grenzübergang zum Auffanglager gebracht. „Man hat gesehen, wie eng es in diesen Bussen war. Die Gesichter der Menschen waren richtig an die Scheiben gedrückt. Das waren alles...“, Florian Quecke macht eine kurze Pause. „Alles Frauen und Kinder“, sagt er dann. Und fügt hinzu: „Oh Mann, gestern konnte ich das gar nicht sagen, da hatte ich sofort eine Gänsehaut und Tränen in den Augen.“
„Sie haben uns anfangs gar nicht geglaubt“
Besonders den jüngeren Kindern habe man das Entsetzen angesehen. „Die haben mehr gesehen als wir uns je vorstellen können. Sie waren total gezeichnet. Die älteren Kinder haben meist versucht, ihre Gefühle zu unterdrücken. Aber die Kleinen...“ – wieder macht er eine Pause.

Florian Quecke erinnert sich: „Besonders den kleinen Kindern hat man angesehen, was sie durchgemacht haben müssen.“ © privat
Anfangs sei es schwer gewesen, die Frauen überhaupt zu bewegen, in den Bus einzusteigen. „Wir haben ihnen gesagt, dass sie nicht bezahlen müssen. Dass sie in Deutschland auch weiterreisen können in alle Städte. Dass sie eine Unterkunft bekommen. Sie haben uns anfangs gar nicht geglaubt. Eine Frau war ganz verstört, ihre Hände haben die ganze Zeit gezittert.“
Misstrauen gegenüber den männlichen Fahrern
Vor allem den männlichen Fahrern gegenüber seien die Frauen misstrauisch gewesen. „Zum Glück konnte Roman übersetzen, und wir hatten ja Tabea und Jasmin dabei. Denen haben sie schneller vertraut.“

Pure Erleichterung: Eine junge Frau sitzt mit ihrem Kind in einem der Busse, die mit dem Konvoi am vergangenen Wochenende nach Korczowa gefahren sind. © privat
Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm und einem kleinen Mädchen an der Hand habe immer „Breslau, Breslau“ gerufen. Florian Quecke: „Die haben wir auch mitgenommen, den Umweg von hundert Kilometern sind wir dann halt gefahren. Das Baby hat viel geweint.“
Ältere Frau verschenkt Äpfel aus ihrem Garten in Kiew
Im Bus hätten die ukrainischen Flüchtlinge die kleinen „Starter-Kits“ gefunden, Pakete mit dem Nötigsten. Mit Butterkeksen, Zahnbürsten und Zahnpasta, Müsliriegeln, Getränken, Obst und anderen Dingen. „Sie haben richtig gelächelt, als sie die Zahnbürsten sahen“, erinnert sich der Schwerter. „Man muss sich vorstellen, die waren teilweise wochenlang unterwegs.“

Die kleinen Kinder, die die Schwerter Helfer an der polnisch-ukrainischen Grenze getroffen haben, müssen schreckliche Dinge erlebt haben. © privat
Eine ältere Frau habe sich besonders über die Äpfel gefreut. „Sie kam zu uns nach vorne und hat erzählt, sie habe bei der Flucht aus Kiew drei Äpfel mitgenommen, die noch aus ihrem Garten stammten. Die wollte sie uns unbedingt schenken.“ Wieder reibt Florian Quecke sich über die Augen, und lächelt dann ein bisschen. „In dem Moment habe ich fast angefangen zu bleddern“, sagt er.
Panik, wenn der Mann nicht ans Handy geht
Während der Rückfahrt sei die Stimmung im Bus anfangs angespannt und gedrückt gewesen. Viele Frauen hätten versucht, ihre Männer anzurufen. „Wenn da einer nicht sofort dranging, gerieten sie in Panik.“ Tabea und Jasmin Willecke hätten versucht, die Frauen zu beruhigen.

Der Konvoi aus dem Ruhrgebiet hat viele ukrainische Flüchtlinge nach Deutschland gebracht. © privat
Dann habe Tabea entdeckt, dass eine Frau in ihrer Jacke einen kleinen Hund dabeihatte. „Es war ein Chihuahua“, erzählt Florian Quecke. Auch eine Katze sei in einem der Konvoi-Busse mitgefahren.
„Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen“
Später hätten die meisten erschöpft geschlafen. „Irgendwann mitten in der Nacht kam ein kleiner Junge zu uns nach vorne, vielleicht zehn Jahre alt. Daniel heißt er. Er hockte sich hin und starrte einfach auf die Straße“, erinnert sich Quecke.
Die Helfer hätten dem Kind Gummibärchen, ein Kopfkissen angeboten. „Er wollte nichts. Er hat nichts gesagt. Wahrscheinlich hatte er sich kurz zuvor von seinem Papa verabschiedet. Sein Gesicht werde ich nie vergessen. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen.“ Florian Quecke macht eine lange Pause und holt tief Luft. „Das war ganz schlimm“, sagt er dann.
„Wir brauchen jetzt die Kuscheltiere für die Kinder“
Sonntagmorgen sei der Bus dann in Schwerte angekommen. Kurz vor der Ankunft hatte Florian Quecke seine Mutter angerufen. „Mama, wir brauchen die Kuscheltiere für die Kinder.“ Beim Halt am Krankenhaus habe er darauf bestanden, dass eine ukrainische Dolmetscherin an Bord kommt, um den Frauen den weiteren Ablauf zu erklären. „Am liebsten hätten wir sie alle gar nicht mehr aus den Augen gelassen“, sagt der Schwerter.
Obwohl die Tour ihn emotional sehr aufgewühlt hat, plant Florian Quecke bereits die nächste Fahrt. Am 18. März soll es wieder losgehen. „Unser Fahrer Alain hat mir gesagt: Wir müssen unbedingt noch mehr Kinder da rausholen. Und das machen wir auch.“
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
