Wie in den wilden Siebzigern Mett-Igel, Quarkfein und Ragout Fin

Wie in den wilden Siebzigern: Mett-Igel, Quarkfein und Ragout Fin
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Viele Geschichten in unserer Redaktion drehen sich ums Essen. Wir testen Restaurants, berichten über Neu-Eröffnungen, veröffentlichen Back-Rezepte oder drehen sogar kleine Do-It-Yourself-Videos. Und in jeder Mittagspause hadern wir mit uns: Die ungesunde, aber leckere Pommes Mayo? Oder doch besser den leichten Salat?

Dabei haben wir uns kürzlich über unsere Lieblingsrezepte ausgetauscht – und die unserer Eltern und Großeltern. Eines ist uns klargeworden: Was in den Sechzigern die „gute Butter“ war, das waren in den Siebzigern und Achtzigern Zucker, Mayonnaise und Fondor.

„Miracoli ist fertig!“

Essen ist fertig? Die Kinder zogen lange Gesichter. Hallte aber „Miracoli ist fertig“ durch den Garten, rannten im Werbespot alle direkt los. Spaghetti mit Tomatensauce waren auch mein Lieblingsessen, schön mit der praktischen Gewürzmischung aus Oregano. Mein kleiner Bruder bekam als „Nachtisch“ immer noch eine Portion Nudeln mit Zucker, das vermischte sich dann mit der Butter zu einem leckeren klebrigen Saft. Olivenöl kannten wir ja noch nicht.

Italienisch war sowieso „in“. Tortellini alla Panna mit Sahne und Kochschinken schmeckten dabei besser als Dosen-Ravioli. Allerunterste Schublade waren die Gabel-Spaghetti aus der Dose. Extra kleingeschnitten, damit sie leichter zu essen waren. Dio mio! Und als wir dann noch anfingen, Ananas-Stückchen aus der Dose auf Toast, Schnitzel und Pizza zu verteilen, war kulinarisch gesehen alles aus. Hier stimmen mir allerdings nicht alle Kollegen zu: Reinhard liebt Toast Hawaii.

Staubtrockene Nascherei

Um noch einmal auf den Zucker zurückzukommen: Hier teilen Reinhard und ich die Vorliebe für ein Spezialrezept. Als Kinder aßen wir Kölln-Haferflocken mit viel Kakaopulver. Ohne überflüssige Milch natürlich. Fünf Pötte schaufelte ich täglich in mich hinein. Ob mein Kinderarzt davon wusste? Reinhard hat das Ganze jedenfalls verfeinert: Bei ihm kamen auf einen Löffel Kakao immer noch vier Löffel Zucker obendrauf. Und ich frage mich ernsthaft, warum ich heutzutage zehn Euro für eine olle Packung Seitenbacher-Müsli ausgebe.

Zucker kam zusammen mit O-Saft und Honig auch in das rohe Ei, das meine Mama sich gern im Glas verquirlte. Steigerte den Vitamin-D-Haushalt. Ob es schmeckt, weiß ich nicht. Ich konnte mich nie dazu überwinden. Getoppt wurde dieses Rezept von meinem Papa, der Anno 1972 beim Bund die ultimative Mutprobe kennenlernte: Man nehme ein ganzes rohes Ei mit Schale in den Mund und beiße darauf, ohne es anschließend auszuspucken. Er hat mir erzählt, dass es niemand jemals geschafft habe.

Ragout Fin
Ragout Fin, von der Oma liebevoll „Ragufeng“ genannt, gehörte zum guten Essen als Vorspeisen-Häppchen dazu. Schließlich ist die Masse mit Weißwein verfeinert! © Martina Niehaus

„Ragufeng“: Auf in den Kampf

Auch herzhafte Snacks hatten es in sich: Wenn meine Oma Ilse etwas liebte, dann „Ragufeng“. Nein, das ist keine japanische Kampfsportart. Es handelt sich um ein klassisches DDR-Rezept mit Würzfleisch, Spargel und Erbsen, das anschließend in fertige Blätterteig-Förmchen gefüllt wird. Eine cremige Masse. „Ragout Fin“, feines Ragout eben. Bon appétit!

Und wer größere Portionen brauchte, der bereitete einen Fleischauflauf zu, der auf Basis von Sahne und Salatdressing zubereitet wurde. Das Wort Lactose-Intoleranz kannte schließlich noch niemand. Rohes Putenfleisch in den Bräter, darauf vier Becher Sahne, zwei Flaschen Joghurt-Dressing von Kühne, und zum Abschmecken einen Klacks Preiselbeeren obendrauf. Variationen mit Knorrfix-Zwiebelsuppe waren dabei durchaus gestattet. Njam! Und zum Nachtisch ein Tütchen Quarkfein mit Erdbeer-Aroma von Dr. Oetker. Meine Großtante arbeitete beim Bielefelder Back- und Dessert-Mogul, die Backmischungen gingen uns also nie aus.

Dr. Oetker Quarkfein
Quark mit Quarkfein - das gab es früher oft bei uns. Schließlich hatten wir Verwandte, die für den Oetker-Clan arbeiteten. © Martina Niehaus

Grüße aus der Fleisch-Hölle

Stand dann eine Party in der Kellerbar an, bereitete meine Mutter stundenlang Fingerfood zu: Bockwurst-Schaschlik oder Würstchen im Schlafrock, Spargelröllchen mit dem berüchtigten taiwanischen Formosa-Dosenspargel und Remoulade (oder Mayo), „Russen-Eier“ belegt mit Kaviar-Ersatz (und Mayo), dazu Geflügelsalat (auf Mayo-Basis) mit Dosenmandarinen.

Den größten Auftritt auf jeder Keller-Party hatte jedoch der fleischgewordene Alptraum aller Vegetarier: der Mett-Igel. Gespickt mit Zwiebeln, schaute er uns unverwandt gleichgültig aus seinen Nelken-Augen an, während die Partygäste ihm nach und nach das Hinterteil weglöffelten. Besonders beliebt war es, die traurigen Überreste des angetrockneten Igels am nächsten Tag zum Frühschoppen zu verzehren.

Asti für alle

Sekt
Mit einem Gläschen Asti oder Söhnlein ließen sich die Mayo-Häppchen gut neutralisieren. Den Mett-Igel gab es dann gern am Morgen danach noch. © picture alliance/dpa/APA

Wenn man genauer darüber nachdenkt, müssen wir als Kinder und Jugendliche Magenwände aus Stahl besessen haben. Bei den Erwachsenen hatten Salmonellen gar keine Chance, weil alle Bakterien durch den Genuss von Kalter Ente und Schlammbowle, Asti Cinzano oder Söhnlein-Sekt, Afri-Cola mit Kümmerling und weiteren Getränke-Highlights neutralisiert wurden. Bei der „heißen Witwe“, dem warmen Pflaumenschnaps mit Sahnehäubchen, durften sich Promille und Salmonelle direkt im Glas vereinigen. Da konnte ja gar nichts mehr schiefgehen!

Nach diesem nostalgisch-gruseligen Rückblick in unsere kulinarische Vergangenheit habe ich verrückterweise Appetit bekommen. Ich überlege schon, was ich auf der nächsten Party anbieten werde. Ein schönes Retro-Buffet soll es werden. Und für meine vegetarischen Gäste gibt es vierzig Jahre nach dem Mett-Igel-Trauma eine gute Nachricht, die ich auf jeden Fall ausprobieren werde. Das Tierchen lässt sich nämlich auch vegan zubereiten – auf Reiswaffel-Tomatenmark-Basis. Nur die Nelken-Augen bleiben: Es darf sich schließlich nicht alles verändern!

Ei
Ein rohes Ei komplett zerkauen? Nein, danke, lieber Papa. Mit solchen Bundeswehr-Tricks befasse ich mich nicht. © Martina Niehaus

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