„Stellen Sie sich vor, Sie würden mit einem Rucksack mit 50 Kilogramm herumlaufen. Wie wollen Sie die Treppe zum Bus hochkommen?“, fragt Chefarzt Dr. Bertram Wagner hypothetisch.
Er ist Facharzt für Chirurgie sowie spezielle Viszeralchirurgie (Eingeweidechirurgie) und leitet das Adipositaszentrum des Marienkrankenhauses in Schwerte. Er hilft schwer übergewichtigen, adipösen Menschen, zurück in ein „normales Leben“ und weiß genau, wie sehr die Patientinnen und Patienten im Alltag unter ihrem massiven Übergewicht leiden.
BMI ab 30
In Deutschland ist Adipositas, auch bekannt als Fettleibigkeit, mittlerweile ein bedeutendes Gesundheitsproblem. Nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelten Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 25 bis unter 30 als übergewichtig. Menschen mit einem BMI ab 30 gelten als adipös.
Laut den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2021 sind rund 43,7 Prozent der Männer in Deutschland übergewichtig und 18,7 Prozent sogar adipös. Bei Frauen liegen die Zahlen deutlich darunter: 27,7 Prozent haben demnach mit Übergewicht zu kämpfen, 14,8 Prozent mit Adipositas.
Tendenz bei Männern und Frauen, die unter Adipositas leiden, gleichermaßen steigend. Hatte das Adipositaszentrum in Schwerte 2016 noch mit rund 50 Eingriffen im Jahr begonnen, sind es mittlerweile um die 300 pro Jahr.
„Patienten sitzen mir weinend gegenüber“
„Wir haben es mittlerweile mit einem Massenphänomen in Deutschland zu tun. Alle Patienten, die zu uns kommen, haben zudem enormen Leidensdruck“, erklärt der Schwerter Chefarzt und ergänzt: „Die Menschen sind sozial isoliert, sie gehen nicht mehr vor die Tür und sind vermutlich auch ewig nicht mehr im Schwimmbad gewesen. Sie sind verzweifelt und sitzen einem dann oft auch weinend gegenüber.“
Die Betroffenen hätten oft Partner- oder auch Berufsprobleme. Dazu kommen in vielen Fällen Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Asthma.

Im Adipositaszentrum in Schwerte bekommen diese Patienten Hilfe, um wieder ein geregeltes Leben führen zu können. Denn: Mit einem operativen Eingriff sei längst nicht alles getan, wie der Chefarzt betont. „Wir greifen massiv in den Stoffwechsel ein. Nach der Operation müssen die Patienten enorm auf die Zusammensetzung ihrer Nahrung achten, weil sie nicht mehr so viel aufnehmen können.“ 80 Gramm Eiweiß seien nötig, dazu viele Vitamine. „Das, was für uns lapidar ist, ist dann eine Hausaufgabe.“
Schnelleres Sättigungsgefühl
Das Problem: Adipositas sei eine chronische Erkrankung und im herkömmlichen Sinne „nicht heilbar“, wie Dr. Wagner erklärt. „Wir können es aber durch operative Maßnahmen so hinbekommen, dass die Menschen wieder aus diesem schweren Gewichtsverlauf in einen normalen Bereich kommen.“
Zu den häufigsten Adipositas-Operationen, die auch von Dr. Bertram Wagner und dessen Team am Adipositaszentrum in Schwerte durchgeführt werden, zählen zum einen der Magenbypass sowie die Schlauchmagen-Operation.
Beim Magenbypass wird der Magen in zwei Teile getrennt: eine kleine Magentasche und den größeren Restmagen. Bei der Schlauchmagen-OP wird der größte Teil des Magens entfernt, sodass ein schlauchförmiger Restmagen übrig bleibt. Beide Eingriffe sorgen für ein schneller eintretendes Sättigungsgefühl. Grundvoraussetzung für eine Behandlung, wie Dr. Wagner es formuliert, sei jedoch eins: „Die Patienten, die zu uns kommen, haben immer den Wunsch, an ihrem Leben etwas zu ändern.“
Vorbereitungsprogramm für Adipositas-Patienten
Neben dem operativen Eingriff erhalten Patienten am Adipositaszentrum in Schwerte ein Vorbereitungsprogramm, das eine sogenannte Eiweißphase beinhaltet. Die Patienten sollen dafür Kohlenhydrate weglassen. Zudem werden sie darauf vorbereitet, wie sie sich nach dem Eingriff ernähren können. Dafür sei eine zusätzliche, lebenslange Vitaminnachsorge nötig, wie Dr. Wagner erklärt.
Neben dem Chefarzt kümmern sich Jessica Fitz-Kahle (Adipositas-Koordinatorin), Petra Roggenkamp (Diät-Assistentin) und Kathy Pendrick (Pflegerische Abteilungsleiterin) um die Patienten. In einem speziell eingerichteten Schulungsraum finden die Vorbereitungsprogramme statt.
„Die Patienten müssen realisieren, was auch nach der OP auf sie zukommt“, unterstreicht Dr. Wagner. Dafür können kleine Tipps für den Alltag, für eine geregelte und gesunde Ernährung enorm hilfreich sein. „Wichtig ist, dass sie weg von Fertigprodukten und Zucker hin zu frischen Produkten kommen“, erklärt Petra Roggenkamp. Rund 90 Prozent mache nämlich die Ernährung aus. Zu glauben, nur durch Sport abzunehmen, sei falsch.

Nach der OP: „Leben 2.0“
Im bereits rezertifizierten Adipositaszentrum in Schwerte wird Aufklärung jedenfalls besonders großgeschrieben, Patienten werden teils auch an Selbsthilfegruppen vermittelt, um mit „Gleichgesinnten“ zu sprechen. Denn im Alltag fehlt ihnen oft der soziale Kontakt. Die Belohnung und positive Bestätigung gebe es für Betroffene im Alltag oft nur am Kühlschrank. „Dort ist immer ein Licht an“, sagt Dr. Bertram Wagner.
Diejenigen, die alles überstanden haben und mithilfe von Dr. Bertram Wagner und dessen Team den Weg zurück ins „normale“ Leben gemeistert haben, können ihr Glück oft kaum fassen. „Es gibt keine Patientengruppe, von der ich mehr positive Rückmeldungen bekomme“, sagt der Chefarzt und lächelt.
Oft fielen Sätze, wie „warum habe ich das nicht schon viel früher machen lassen“ oder „jetzt beginnt mein Leben 2.0“. Es ist eben oft nicht nur der Rucksack voller Gewicht, den die Patienten absetzen, sondern auch eine ganze Last voller sozialer Ängste und Unsicherheiten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 21. März 2025.