
Daniel Schlep hat schon viele Schulen in Schwerte und Dortmund in Sachen Digitalisierung beraten. Er sagt: „YouTube und iPads haben an Schulen nichts verloren.“ © Niehaus/dpa/Montage Dittgen
Medienpädagoge zur Digitalisierung an Schulen: Wie Fußball ohne Regeln?
Digitalisierung
Digitalisierung bedeutet meist, dass Kinder und Jugendliche mit iPads arbeiten. Medienpädagoge Daniel Schlep warnt davor, dass Lehrkräfte nicht genug geschult seien: „Wir brauchen Wissen.“
Wenn es um das Thema Digitalisierung geht – vor allem an Schulen – steht meist die Frage im Vordergrund, wie viele Endgeräte vorhanden sind. Medienpädagoge Daniel Schlep hat im Rahmen seiner Beratungen viele Erfahrungen mit Schulen gesammelt – auch in Schwerte und Dortmund. Er sagt: „Grundsätzlich fehlt das Verständnis für Digitalisierung.“ Wir haben mit ihm gesprochen.
Seit der Pandemie sind Begriffe wie Digitalisierung, Home-Schooling und Videokonferenzen an Schulen in den Vordergrund gerückt. Viele Schulen haben damit inzwischen Erfahrungen gesammelt. Doch Sie sagen, es läuft etwas schief. Was denn?
Daniel Schlep: „Dass viele das Thema Digitalisierung inzwischen handhaben wie Fußballfans. Auf ihren Homepages definieren sie sich durch ihr Digitalkonzept häufig als Apple-, Google- oder Microsoft-Schule. Fan-Erziehung hat in Schulen absolut keinen Platz.“
Aber ein Digitalkonzept zu haben, ist doch nicht schlecht, oder?
„Es gibt aber oft kein echtes Konzept. Die Schulen selbst können nur zum Teil etwas dafür, die sind ja das Ende der Fahnenstange. Meist beginnt es mit unreflektierten Vorschlägen oder Vorgaben von Medienberatungen oder Stadtverwaltungen, hinzu kommt das fehlende Wissen vieler Schulleitungen. Und bei Lehrkräften mündet es dann in fragwürdigen bis strafbaren Verhaltensweisen.
Beim Fußball gibt es wenigstens klare Regeln. Beim Thema Digitalisierung machen hingegen aktuell fast alle, was sie wollen. Die Verwaltung aus Schwerte ist ein schönes Sinnbild. Dort gibt es keinen echten Ausschuss für Digitales, aber in der Geschäftsordnung des Rates stehen iOS-Geräte von Apple niedergeschrieben.“
Um welche fragwürdigen Verhaltensweisen soll es denn gehen?
„Ein Beispiel: In vielen Schulen bekommen Kinder Arbeitsplattformen wie Microsoft 365 oder Google Workspace mit im Hintergrund aktiven Werkzeugen zur Analyse der Verhaltensweisen vorgesetzt. In Baden-Württemberg ist Microsoft 365 in Schulen daher bereits generell verboten. Und es gibt immer mehr Meldungen und Gerichtsurteile in dieser Form. Auch sollen US-basierte Cloud-Lösungen wahrscheinlich von der Vergabe ausgeschlossen werden. Denn deren Ziel ist es, möglichst viele Daten abzugreifen.“
Was genau kann man da analysieren, und warum ist das rechtswidrig?
„Die Schriftarten Google Fonts, die viele Schulen auf ihren Internetseiten mit einer direkten Verbindung zu Google einsetzen, sind seit diesem Jahr rechtswidrig. Das Trackingtool Google Analytics ist in Schulen vollkommen unnötig und unpassend. Oft sind diese Tools im Hintergrund aktiv, ohne dass man es merkt. Institutionen und Firmen, aber auch Google selbst können sehen, wer du bist und was dich bewegt. Das sind alles höchst fragwürdige Zustände.“
Es geht Ihnen also um Datenschutz?
„Mir geht es um Medienkompetenz. Und Datenschutz gehört dazu. Es fängt ja schon im Kleinen an: Bereits junge Kinder werden von Lehrkräften nach dem Einsatz von Smartphones im Unterricht gefragt. Andere Lehrkräfte leiten die Kinder an, Accounts einzurichten. Oder sie sollen das Schulprofil auf YouTube abonnieren. Kinder werden durch Schulen viel zu oft aktiv in das Konsumspiel gedrängt. Und wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, YouTube-Videos in den Unterricht einzubauen?“

Daniel Schlep sagt: Auch beim Fußball gibt es Regeln. Beim Thema Digitalisierung würden Regeln noch zu häufig außer Acht gelassen. © Martina Niehaus
Möglicherweise diejenigen, die denken, dass YouTube-Videos durchaus ein guter Weg sein können, um zum Beispiel Mathe- oder Chemie-Lernvideos zu schauen. Das ist oft anschaulicher, als wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer etwas einmal vor der Klasse erklärt, und dann hat die Hälfte nichts verstanden. Mit einem Klick kann man sich alles noch einmal anschauen. Bis man es verstanden hat.
„Ja, und die Nutzung von YouTube-Videos ist mit Werbung verbunden. Schule ist kein Ort für Werbung.“
Welche Lösung schlagen Sie dann vor?
„Eine Lehrkraft könnte ein Lehrvideo selbst erstellen. Das ist natürlich mit eigener Mühe verbunden.“
Lehrkräfte müssen seit Beginn der Pandemie viel mehr managen als nur ihren Unterricht. Zumal ein großer Lehrkräftemangel herrscht. Kann man da verlangen, ein Video mit viel Aufwand selbst zu erstellen?
„Lehren ist immer auch mit Aufwand verbunden. Aber klar, die Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer sind gerade enorm. Es gibt deshalb auch Lösungen wie FreeTube oder Invidious. Diese greifen auf YouTube zu und verhindern Werbung, Fremdabgriffe und Co. Doch wenn ich das erkläre, hören viele Schulen und Verwaltungen gar nicht richtig zu.“
Warum nicht?
„Ich höre oft: Das geht nicht. Aber vielleicht sollten wir langsam mal erforschen, was geht. Auf den Homepages der Schulen ist es ähnlich: Man braucht YouTube nicht. Man könnte ein Video drehen und auf der eigenen Seite veröffentlichen. Aber viele Schulen sind eben wild auf die Likes, Klicks und Zahlen, die mit dem Inhalt nichts zu tun haben und medienpädagogisch definitiv unpassend sind.“
Sie kritisieren auch die Nutzung von iPads. Warum? Die Geräte sind handlich und passen in jeden Tornister, und wenn man sie angeschafft hat, kann man sie doch auch gut nutzen. Die Finanzierung wird außerdem unterstützt.
„Es geht ja nicht nur um die einmalige Anschaffung. Dahinter steht ein Konzern mit Accounts, Datenabgriff, Konsumdressur und vielem mehr. Und die Geräte sind so schnell veraltet, dass man für eine Schullaufbahn mindestens zwei braucht. Wer bezahlt das?

Medienkompetenz oder „Konsumdressur“, wie der Pädagoge sagt? Kinder arbeiten an einem iPad. © picture alliance / dpa
Ich habe mit einer Dortmunder Schulleitung gesprochen. Die Person sagte mir: ,Klar sind iPads ökonomisch und ökologisch unsinnig, wir benutzen sie aber trotzdem.‘ Leere Tintenpatronen seien ja auch nicht nachhaltig. Ein unpassender Vergleich. Man rechne auch damit, dass die Stadt langfristige Finanzierungen wie eine Zweitanschaffung nicht zahlen werde. Was sagte die Person? ,Unsere Klientel kann das stemmen.‘ Wer das also nicht stemmen kann, hat Pech gehabt.“
Was schlagen Sie denn vor, um solche Probleme künftig zu lösen?
„Wir brauchen einen offenen Austausch, um eine gesunde Digitalisierung zu erreichen. Nach wie vor hören viele Leute weg, wenn ich Probleme anspreche und Lösungen anbiete oder sogar auf strafbares Verhalten hinweise. Ich persönlich bin offen und lerne fast jeden Tag neues Wissen. Doch um lernen zu können, muss man zuerst einmal aufpassen und zuhören. Und das lernt man eigentlich schon in der Schule.“
Medienpädagoge Daniel Schlep
- Daniel Schlep (39) ist Musik- und Medienpädagoge. Er stammt aus Schwerte und lebt in Dortmund. In der Vergangenheit hat er bereits mit einer Vielzahl von Firmen an Produkten und Kampagnen speziell im Marketing und im Medienbereich gewirkt.
- Schlep ist deutschlandweit in Magazinen, Zeitungen, Verwaltungen, Schulen etc. aktiv, um Kompetenz, Kreativität und Kritikfähigkeit im Umgang mit Medien zu schaffen.
- Auf seiner Homepage und unter der E-Mail-Adresse info@danielschlep.de kann man ihn erreichen und mehr erfahren.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
