
© Reinhard Schmitz
Bei Wirtin Gisela Becker im Bootshaus gibt es an der Theke auch Tipps bei Liebeskummer
Gastronomie in Schwerte
Man trifft Olympioniken. Isst Omas Bienenstich. Und kann nebenbei auch Herzensleid los werden. Eine Kneipe der besonderen Art ist das Bootshaus an der Ruhr. Bald steht Veränderung bevor.
Bei Liebeskummer zuhören. Das steht zwar nicht auf der Karte. Aber die Jugendlichen, die ins Bootshaus gehen, wissen: Bei Gisela Becker können sie an der Theke ihr Herz ausschütten, wenn es mal zu schwer wird. Die 67-jährige ist viel mehr als nur die Wirtin der Gastronomie. Seit 1997 ist sie die gute Seele des Hauses, das sie vom Kanu- und Surf-Verein Schwerte (KVS) gepachtet hat. Obwohl sie mit Paddelei, wie sie verrät, eigentlich wenig am Hut hatte: „Man hat mich früher nur mal im Zehner mitgeschleift.“
Das glaubt kaum einer, der Gisela Becker zuhört, wenn sie vom Kanusport erzählt. „Ich fiebere bei jedem Wettkampf mit“, sagt sie. Kennt Namen, Ergebnisse. Denn: „Ohne Verbundenheit geht es nicht.“ Deshalb war es sofort klar, Vereinsmitglied zu werden, als sie vor 22 Jahren in die Hausmeister-Wohnung im Bootshaus einzog und ihre Aufgaben übernahm. Dazu gehört auch, auf Ordnung und Sauberkeit zu achten. Und morgens um 7 Uhr die Tore aufzumachen für die ersten Paddler, die zum Training auf die Ruhr wollen.
Bienenstich nach Omas Rezept ist der Renner
Über den grünen Auen des Flusses schwebt das Restaurant mit seinen großen Panoramafenstern wie ein Glaskasten. „Wir haben in den letzten drei Jahren 125.000 Euro in die Modernisierung investiert“, sagt KVS-Vorsitzender Klaus Volke. Keine Spur mehr von der düsteren Atmosphäre, die Gisela Becker bei ihrem Dienstantritt noch vorgefunden hatte. „Mit schmiedeeisernen Lampen“ - so erzählt sie - atmete das Haus noch die Atmosphäre der Bauzeit in den 1950er-Jahren. Damals, als der Verein noch unter sich bleiben wollte und am Zugang vom Ruhrwanderweg Schilder „Betreten verboten“ aufstellte.

Wie eine Glaskanzel über den Ruhrauen thront die Gastronomie im Obergeschoss des Bootshauses am Detlef-Lewe-Weg. © Reinhard Schmitz
Doch längst hat sich das Haus geöffnet, heißt alle Gäste willkommen. Die nutzen es gern. Auch, weil sich herumgesprochen hat, dass die Wirtin alle Gerichte auf der Karte selbst zubereitet, alle Kuchen selber backt. „Der Bienenstich ist der Renner“, verrät sie: „Damit habe ich angefangen. Das waren noch Rezepte von meiner Oma.“ Oft wird der 100-Quadratmeter-Saal auch für Familienfeiern, Kommunionen oder Konfirmationen gebucht. Allzu viele Möglichkeiten dazu gibt es in der Ruhrstadt nicht mehr. „Wir machen nur keine 18. Geburtstage mehr“, erklärt Volke. Man habe zu schlechte Erfahrungen mit Zerstörungen gemacht.
Begegnung mit Sportler-Ikone Detlef Lewe
Natürlich gehen auch die Kanusportler in dieser Kneipe der besonderen Art ein und aus. Man trifft dort Olympioniken genauso wie Anfänger. „Ich durfte hier so viele Highlights erleben“, berichtet Gisela Becker: „Unsere Vereins-Kleinsten von damals zeigen mir heute ihre Babys, und ich bin mit den Senioren alt geworden.“ Noch schöner ist es, wenn Ex-Schwerter zur Tür hereinkommen, die es beruflich längst in die Ferne verschlagen hat. Mal schnell bei Gisela Becker vorbeizuschauen, das lassen sie sich beim Heimatbesuch nicht nehmen.
Das tat auch Schwertes Sportler-Ikone Detlef Lewe (1939-2008) jedes Mal, wenn er aus seiner Wahlheimat München zurückkam: „Er saß immer auf dem Barhocker.“ An der Wand zeigt ihn ein Schwarz-Weiß-Foto in seinem Kanadier, daneben hängt sein Paddel von der Olympiade 1968 in Mexiko. „Das war ein ganz, ganz toller Mann, wo wir alle dran hängen“, sagt Gisela Becker: „Ich bin froh, dass ich den erleben durfte.“
Von jeder Regatta kommen Postkarten
Auch in SMS-Zeiten pflegen Regatta-Teilnehmer immer noch die Tradition, ihrer Wirtin vom Wettkampfort eine Postkarte mit allen Unterschriften zu schicken. Zwei Alben füllen diese Grüße mittlerweile: „Das sind schöne Erinnerungen.“ Das, was bleibt, wenn Gisela Becker zum Jahresende in den Ruhestand geht. Ganz leicht fällt ihr dieser Schritt sichtbar nicht: „Aber irgendwann muss man den Absprung schaffen.“ Zu Hause warten die Enkelchen. Und auch die werden sicherlich mal in das Alter kommen, wo Liebeskummer getröstet werden will.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
