Genau 20 Tage vor der Bundestagswahl debattierten sechs Direktkandidaten am Montagabend (3.2.) in der Wahlarena in Unna. Moderator und Chefredakteur Matthias Langrock konfrontierte die Gäste in der Volksbank in einem Themenblock mit Fragen von Leserinnen und Lesern – zu Themen wie Asyl, Wirtschaftskriminalität, Baustellen in Deutschland und Nahostpolitik. Was die Kandidaten auf die Leserfragen antworteten, dokumentieren wir hier in einem Auszug.
Leserfragen in der Wahlarena
Das Dublin-Abkommen regelt, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in dem ein Flüchtling europäischen Boden betritt. Warum ist das Dublin-Abkommen nicht konsequent angewandt worden?
Oliver Kaczmarek (SPD): „Weil zu viele Mitgliedsstaaten sich nicht daran gehalten haben und Leute, die in anderen EU-Mitgliedsstaaten Asylanträge gestellt haben, nach Deutschland durchgewunken haben.
Deshalb haben wir das gemeinsame europäische Asylsystem entwickelt (unsere Bundesinnenministerin Nancy Faeser), weil das auch ein wichtiges Problem ist bei Abschiebungen. Leute, die nach Dublin-Abkommen in einen anderen Staat zurückgeführt werden, wenn es überhaupt gelingt, stehen kurze Zeit später wieder hier und stellen hier nochmal einen Asylantrag, und das ganze Verfahren muss sich dann wiederholen. Das haben wir beschleunigt und das ist leider am Freitag nicht zur Abstimmung gekommen im Bundestag.
Das hätten wir nämlich gerne gemeinsam gemacht, eine gemeinsame europäische Lösung, damit jeder auch seiner Verantwortung nachkommt, seinen Beitrag zu leisten, diese Verfahren durchzuführen. Es ist leider bedauerlich, dass die CDU das nicht mitgemacht hat.
Tilman Rademacher (CDU): „Das war Bestandteil der Verhandlungen und hinterher eine der ausverhandelten Kompromisslinien, wo ich ja dann auch erwartet hätte, dass die SPD sich bewegt, dass man das Gemeinsame Europäische Asylsystem dann eben auch mit verabschiedet.“
Warum ist bislang so wenig gegen Wirtschaftskriminalität getan worden und wie kann man das ändern?
Diese Leserfrage, die auch auf die Rolle von Olaf Scholz im sogenannten Cum-Ex-Skandal anspielt, ging an Michael Sacher (Grüne):
„Ich wäre bei dem Thema Wirtschaftskriminalität nicht als erstes bei Olaf Scholz gelandet, sondern dem Vorgänger des Finanzministers, Christian Lindner. Da ist viel versäumt worden. Nicht der aktuelle Finanzminister Kukies, der in der Kürze der Zeit einen sehr guten Job macht. Er setzt Dinge in Gang, die vorher unmöglich schienen...“
Benjamin Lehmkühler (FDP) : „...mit Schulden!“
Sacher (Grüne): ...und blockiert nicht das Land, was leider vorher sehr lange Zeit passiert ist. Und da ist es einfach viel hängen geblieben. Auch weil es dort um ganz andere Summen geht. Das ist immer diese Fehldarstellung: Wenn irgendjemand beim Bürgergeld vielleicht 100 Euro zu viel bekommt, dann schreien alle auf. Aber wenn Millionen sozusagen an Steuerhinterziehung stattfinden und dort nicht intensiv genug hinterhergegangen wird...
Es ist sehr herausfordernd für die ganzen Behörden, das auch wirklich nachzuvollziehen. Das heißt, da kann man nicht eine Person dransetzen. Da braucht man einen großen Apparat, und da müsste investiert werden. Und das sind sogar teilweise Stellen, die sich selbst finanzieren würden.“
Rademacher (CDU): „Ich finde, dass die Antworten zwar wahlkampftauglich sind, aber nicht unbedingt richtig. Man muss weiter vorher ansetzen mit Finanzminister Schäuble, der das Thema ja durchaus sehr ernst genommen hat. Und dauerhaft mit großer Intensität daran gearbeitet hat.
Die ehrliche Antwort ist: Es ist einfach unfassbar schwierig. Es geht ja vor allen Dingen um große Konzerne, die es durch verschiedene Steuergestaltungen schaffen können, in Deutschland keine Steuern zu zahlen. Die haben einfach zu viele Ausweichmöglichkeiten – auch über die Europäische Union hinaus. Es ist unfassbar schwierig für den Gesetzgeber, dessen Herr zu werden. Und natürlich sind die Leute, die ein Interesse daran haben, das zu machen, sehr, sehr gut rechtsanwaltlich und steuerberaterlich beraten. Und haben eine große Manpower dabei auszuweichen und sich an die Situation anzupassen.“

Soll die Unterstützung, die Deutschland für den Staat Israel leistet, so bleiben, oder wären Sie dafür, dass sich etwas verändert?
Oliver Schröder (Die Linke): „Definitiv muss Deutschland sowohl den Staat Israel unterstützen, aber auch die Menschen in Palästina. Um langfristig dort Frieden zu schaffen in der Region, ist die Zwei-Staaten-Lösung das Einzige, wie man das meiner Meinung nach schaffen kann.“
Kaczmarek (SPD): „Deutschland hat immer ein besonderes Verhältnis zu Israel aufgrund unserer Geschichte. Deutschland unterstützt Israel dabei, sich zu verteidigen gegen die dauernden Angriffe. Aber ich bin schon der Meinung, dass die Verhältnismäßigkeit in den letzten Wochen, Monaten im Gaza-Krieg nicht gewährleistet war. Dass dort auch eine humanitäre Katastrophe in Gaza in Kauf genommen worden ist. Und deswegen ist unsere Rolle nicht nur mit Waffen, sondern jetzt auch alle diplomatischen Bemühungen zu machen, dass wir beim Wiederaufbau in Gaza helfen und dass es endlich zu einer vertragsfähigen Lösung für die Zwei-Staaten-Lösung kommt.“
Sacher (Grüne): „Auf jeden Fall die Solidarität mit dem Staat Israel. Das ist eine historische Verpflichtung. Deutschland ist in einer Situation wie kein anderes Land. Das muss man, finde ich, auch immer berücksichtigen. Und das andere ist, dass auch Israel eine sehr schlechte Regierung haben kann. Und dann kann man diese Regierung und ihr Vorgehen auch kritisieren.
Israel und die Israelis leben in einer ständigen Bedrohung. Ich kann es nachvollziehen, dass man diese ständige Bedrohung ein für alle Mal beenden möchte. Das ist ein berechtigtes Anliegen. Man muss aber da wirklich auch die Verhältnismäßigkeit sehen, und es ist ein verdammt schwieriger Konflikt, der sehr, sehr maskulin geprägt ist. Und das ist, glaube ich, ein großes Problem dabei.“
Rademacher (CDU): „Wir haben eine historische Verantwortung. Das Schicksal des Staates Israel ist deutsche Staatsräson. Das heißt, wir müssen die auch weiterhin in Zukunft unbedingt unterstützen mit dem, was sie brauchen oder zu glauben brauchen.
Ich halte diplomatische Zurückhaltung für geboten bei Kritik an Israel, weil ich glaube, unsere historische Schuld gegenüber den Jüdinnen und Juden gebietet einfach in dieser konkreten Frage – entgegen dem, was du sagst (an Sacher gewandt) – dass wir wirklich da Zurückhaltung üben und die Auflösung dieses Konfliktes maßgeblich erst mal den anderen überlassen. Und da sollten wir nicht immer die sein an vorderster Front, die den Staat Israel kritisieren. Man kann das auch mal tun, aber ich halte es für nicht richtig, wenn Deutschland da maßgeblich die Position gegen Israel führt.“
Benjamin Lehmkühler (FDP) wendet sich an Sacher (Grüne): „Maskulin geprägter Krieg: Das habe ich auch noch nicht gehört. Da wüsste ich auch mal gerne, was Sie damit meinen....“
Langrock (Moderator): „Aber nach der Sendung...“
Lehmkühler: „Machen wir nach der Sendung beim Bierchen, Herr Sacher. – Also uneingeschränkte Solidarität mit Israel. Ich denke, das sollte klar sein. Das ist Staatsräson. Nichtsdestotrotz darf das kein Freifahrtschein für die israelische Regierung sein. Ich denke, da sind wir uns auch einig. Aber wir sollten uns immer auf den Angegriffenen konzentrieren. Und das ist Israel aktuell. Genauso, wie wir das bei der Ukraine machen. Und von daher sage ich auch: Wir unterstützen finanziell, militärisch und auch auf diplomatischer Weise den Staat Israel.“
Friederike Hagelstein (AfD): „Ich würde mich dem zuletzt Gesagten anschließen. Also wir sollten auf jeden Fall dort finanzielle Unterstützung leisten und vor allen Dingen zusehen, genauso wie im Russland-Ukraine-Konflikt, dass wir dort Frieden herstellen.“
Wie stellen Sie sicher, dass Baustellen in Deutschland schneller zu Ende gehen und sich nicht alles verzögert?
Rademacher (CDU): „Mein erster Impuls war jetzt, erst mal einen Vorwurf, den man der CDU oft macht, abzuräumen. – Nämlich, ich glaube, wir kommen aus der Wirtschaftskrise nur raus, wenn wir ausreichend Geld in die Infrastruktur investieren. Und ein sicherlich effizienter Punkt für Beschleunigung von Baustellen ist auch ausreichende Finanzausstattung. Der zweite Punkt, den ich jetzt so als Kommunalbeamter hinterherschiebe, ist die massive Vereinfachung des Vergaberechts. Das sind jedenfalls die zwei Sofortmaßnahmen, wo sicherlich Tempo reinzubringen wäre. Die Prozesse im Einzelnen müsste man sich da wahrscheinlich auch noch angucken.“
Langrock (Moderator): „Gibt es da irgendwo krassen Widerspruch?“
Sacher (Grüne): „Also, ich hätte nur gedacht: Kommen Sie mal nach Berlin! Danach sagen Sie: Überall anders ist tippitoppi.“
Die Leserfragen, die für die Wahlarena ausgewählt wurden, stammen von Sylvia Thodte, Michael Semmler, Volker Schreiber und Detlef Suckrau.
Sehen Sie das Video mit den Leserfragen bei hellwegeranzeiger.de
Die ganze Wahlarena sehen Sie hier
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war der Zwischenruf „Mit Schulden!“ Tilman Rademacher (CDU) zugeordnet, er stammt aber von Benjamin Lehmkühler (FDP). Wir haben dies korrigiert.
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