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Arzt beschreibt, was die Corona-Pandemie mit Diabetes-Patienten macht
Corona-Pandemie
Die DAK berichtet von einem Rückgang an Einschreibungen in Behandlungsprogramme für Diabetiker. Dr. Michael Herr sieht nur geringfügige Auswirkungen. Er spricht ein ganz anderes Problem an.
Die DAK-Gesundheit hat im zweiten und dritten Quartal 2020 ein Drittel weniger Einschreibungen in Behandlungsprogramme für Diabetiker verzeichnet.
„Wenn die Patienten beim DMP nicht mitmachen, weil sie aus Angst vor Corona nicht in die Praxen kommen, dann riskieren sie mittel- bis langfristig schwere Folgeerkrankungen", befürchtet Klaus Overdiek, Leiter der DAK-Landesvertretung in NRW.
Nur geringfügig weniger Patienten
Geringfügig weniger Patienten sieht auch Dr. med. Michael Herr, der seine Diabetes-Schwerpunktpraxis an der Goethestraße in Schwerte betreibt. „Ich führe keine Statistik, aber es werden so um die zehn Prozent weniger sein", so Herr.
Dies sei allerdings nur „ein nicht-repräsentativer Ausschnitt dieser Entwicklung", weil er den Rückgang der Routine-Untersuchungen in den Hausarztpraxen in seiner Schwerpunktpraxis naturgemäß so nicht sehe.
Außerdem unterscheidet er: „Patienten mit einer schweren Diabetes-Erkrankung können sich eine Behandlungspause weniger gut leisten als Patienten, die mit Tabletten eingestellt wurden."
Gruppenschulungen entfallen
Die DAK befürchtet eine Zunahme an Fußamputationen, eine Spätfolge von Diabetes. „Diabetes ist eine Krankheit, die Organschäden an Nieren, Augen und Füßen verursachen kann. Eine Fußamputation ist eine klassische Spätfolge. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Patient offene Wunden am Fuß nicht behandeln lässt", sagte Michael Herr am Dienstag (12. Januar).
Wenig später jedoch erfuhr er von einem Patienten mit Diabetes-Fußsyndrom, dass „er die Behandlung aus Furcht vor einer Corona-Infektion im Krankenhaus nicht antreten wird. Auf diese Weise können natürlich am Ende auch Amputationen erwachsen."
An einer Stelle merkt Michael Herr die Corona-Pandemie in seiner Praxis extrem. „Zum Corona-Schutz können wir keine strukturierten Gruppenschulungen durchführen, wo die Patienten spezielle Insulintherapien erlernen. Das ist nachteilig und muss schnellstmöglich nachgeholt werden, wenn das gröbste überwunden ist."
Corona kann schwere Auswirkungen haben
Wie wichtig der Schutz vor Corona ist und wie schwerwiegend sich eine Infektion auf Diabetes-Patienten auswirken kann, beschreibt Michael Herr anhand eines Beispiels. Eine seiner Patientinnen mit einem Typ-2-Diabetes sei bislang mit Tabletten und einer gesunden Lebensweise gut eingestellt gewesen.
Ende vergangenen Jahres habe sie eine Corona-Infektion mit schweren Verlauf erlitten. „Sie hatte sich schon im Dezember telefonisch gemeldet und von einem Blutzuckeranstieg berichtet. Der Anstieg des Blutzuckerniveaus ist bei vielen Infektionskrankheiten klassisch, auch bei einer normalen Grippe oder Erkältungskrankheit", erzählt Herr.
Als sie sich wieder persönlich in der Praxis vorstellen konnte, war der „Langzeit-Zuckerwert von ehemals 7,6 % auf aktuell 12,1 % sprunghaft gestiegen. Es handelt sich um eine schwere Entgleisung." Nun musste die Patientin mit einer Insulintherapie beginnen.
„Ursächlich verantwortlich ist in diesem Fall vermutlich der direkte Angriff des Virus auch auf die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Solche Verläufe werden inzwischen wissenschaftlich beschrieben", erklärt Herr und weist darauf hin, wie dringlich „der Schutz vor Infektionen, den jede Person in unserem Land selbstverantwortlich aufbauen muss" ist.
Geboren und aufgewachsen an der Grenze zwischen Ruhrpott und Münsterland, hat Kommunikationswissenschaft studiert. Interessiert sich für Tiere, Kultur und vor allem für das, was die Menschen vor Ort bewegt.