Ein großer Sprinter und ein Bulli mit Anhänger parken vor dem Fachwerkhaus an der Brückstraße 21. Davor herrscht Gewusel. Junge Leute laden Tragetaschen und Koffer mit Filmutensilien, wie Kameras, Beleuchtung und Tonstrecken, aus und bringen sie in das alte Gebäude. Daneben steht Stefanie Aust und begutachtet das Treiben. Ihr und ihrem Mann gehört das alte Haus. Für sie ist das Szenario nichts Neues – es wurde schon häufiger hier gedreht.

Heute baut das Film-Team, das hauptsächlich aus Studenten der WAM Medienakademie besteht, sein Filmset auf dem weitläufigen historischen Dachboden des Gebäudes auf „Der erste Grundbucheintrag, den wir von dem Haus gefunden haben, stammt aus dem Jahr 1900, es müsste aber deutlich älter sein“, berichtet Stefanie Aust.
Ursprünglich müssen hier einmal mehrere Gebäude gewesen sein, die mit der Zeit zusammengewachsen sind. Unter anderem eine Bäckerei war früher in dem Gebäudekomplex untergebracht, der sich an der Ecke Brückstraße/Hellpothstraße über 400 Quadratmeter Wohnfläche mit Hinterhof erstreckt.
Film in historischer Kulisse
Drinnen unter dem Dach ist die Set-Ausstatterin gerade damit beschäftigt, alle Gegenstände, die nicht in die Zeit der Filmhandlung passen, wegzuräumen oder mit Planen abzudecken. „Schnee im Juni“ heißt das Historiendrama, das hier gedreht werden soll. Es handelt von einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und spielt im Nachkriegsdeutschland der 1950er-Jahre. Ein paar Gegenstände hat die Ausstatterin vorgefunden, die aussehen, als stammten sie aus der Zeit. Ein altes Tischchen, ein Holzfass und ein antiquierter Sessel.
Unten treffen gerade die Regie und einer der Darsteller ein. Der Berliner Film- und Fernsehschauspieler Jonathan Elias Weiske spielt die Hauptfigur, den homosexuellen Leonard. Regie führt die WAM-Studentin Laeticia Wojtzik.
„Der Film spielt in den 40er- und 50er-Jahren. Der Hauptcharakter Leonard ist nach dem Zweiten Weltkrieg traumatisiert und alkoholabhängig. Er droht seine aktuelle Beziehung zu ruinieren, da er in seinen Traumata festhängt. Um sie zu retten, muss er sich mit seinen Kriegs-Erinnerungen konfrontieren“, erzählt sie zum Hintergrund des Films.
Der ist die Abschlussarbeit einer Gruppe von fünf WAM-Studenten, die jeweils in ihrem Fachgebiet geprüft werden. Neben der Regisseurin sind das Leon Husemann an der Kamera, Linus Bäumer am Schnitt, Aufnahmeleiter Oguzhan Beaharli und Produktionsleiter Louis Dirks.

Insgesamt ist ein Team von ungefähr 15 Leuten an diesem Samstagmorgen am Set. Dazu zählt neben Maske, Ausstattung und Technik auch ein professionelles Lichtteam. Die Szene, die gedreht wird, soll bei Nacht spielen. Eine Glühbirne und drei Strahler, die mit blauem Licht den Effekt von Mondschein imitieren, werden dafür aufgestellt.

Jonathan Elias Weiske wartet derweil im Sprinter. Er ist erkältet und möchte die Situation nicht noch schlimmer machen. Auf die Rolle des Leonard hat er sich vorbeireitet, indem er viel mit der Regie und seinem Drehpartner Franςois Göske gesprochen hat. Weiske soll Leonard einmal als 20- und einmal als 30-Jährigen verkörpern. „Wichtig war es zu gucken, was die Rolle jeweils zu dem Punkt gebracht hat, an dem sie sich zur Zeit der Handlung befindet“, erklärt er.
Man müsse also Lücken füllen. Was hat Leonard vor seinem 20. Lebensjahr alles erlebt, was ist in den zehn Jahren passiert, die nicht in dem Film auftauchen. Um das Ganze authentisch rüberzubringen, sei es wichtig, bei der Sprache auf simple Anglizismen, wie „hey“ oder „okay“ zu verzichten, die erst später in den kollektiven deutschen Sprachgebrauch aufgenommen wurden, erklärt Jonathan Elias Weiske. Ein Vorbild sei die Serie „The Man in the High Castle“, eine Dystopie, in der die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben.
Dreh in 50er-Jahre Museum
Viel Zeit in der Maske wird der Schauspieler an diesem Samstag nicht benötigen. Seine Szene spielt er mit zerzausten Haaren, unrasiert und im Bademantel. Für seinen Drehpartner François Göske würde da schon mehr Aufwand betrieben, berichtet die Maskenbildnerin und zeigt Vorher-Nachher-Bilder, die Göske mit einer Schnurrbart-Bart-Kombi aus dem Jahr 2023 und mit einer auf das Jahr 1950 abgestimmten zeigt. Die Verwandlung ist überzeugend.
3.900 Euro koste der Film, berichtet Laeticia Wojtzik. 3.500 Euro hätte die Gruppe durch Crowdfunding und Fördergelder gesammelt. Der Rest, wie Teile der Utensilien oder Hotelzimmer für die Darsteller, sei netterweise von unterschiedlichen Unternehmen gestellt worden. Ziel sei es, mit dem Film bei allen möglichen Festivals aufzutreten, sagt sie. Premiere feiere er im Januar 2024 im Dortmunder Roxy-Kino. Dieser Samstagmorgen sei der zweite von insgesamt acht Drehtagen.
Zuvor habe die Gruppe bereits im 50er-Jahre-Museum in Datteln gedreht. Weitere Tage auf der Wilden Wiese in Sundern sollen folgen, wo eigens ein Schützengraben ausgehoben wird, um eine Kriegsszene nachzuspielen. Während zur Mittagszeit die letzten Vorbereitungen für den Dreh laufen und alles hektisch wird, bleibt Hausbesitzerin Stefanie Aust gelassen. In ihrem Haus leben mehrere Studenten der Schwerter Ruhrakademie, die auch in der Vergangenheit in dem alten Fachwerkhaus gedreht haben. Den Trubel kennt sie also bereits.
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