
Sie spielen alle zusammen: Deutsche und ukrainische Kinder aus der Messingstraße bringen sich gegenseitig vieles bei. © Martina Niehaus
„Alle da?“ Wie Schwerter Kinder ukrainischen Kindern Deutsch beibringen
Messingstraße
In der Messingstraße leben viele ukrainische Kinder. Noch haben nicht alle von ihnen einen Schulplatz. Aber sie haben Josefine, Ida und andere Nachbarskinder. Beim Spielen lernen sie Deutsch.
Sobald Josefine vom Schwimmtraining kommt und zum Haus in der Messingstraße 13 geht, kommen ihr die meisten Kinder schon entgegengelaufen. Die 15-Jährige lacht. Sie nimmt die kleine Genja auf den Arm und schwingt sie durch die Luft. Dann holt sie die Straßenkreide hervor.

Josefine wirbelt die achtjährige Genja herum. © Martina Niehaus
Auch Josefines elfjährige Schwester Ida ist dabei. Sie hat beim Spielen meistens die zierliche Albina auf dem Schoß. Dann kommen Jonathan und Max mit dem Rad angefahren. Sie rufen nach Ivan. „Spielen wir Fußball?“, fragen sie. Ivan nickt. Er holt den Ball, und kurze Zeit später wird auf die Hauswand gepöhlt.

Die Jungs pöhlen meistens Fußball in der Hauseinfahrt. © Martina Niehaus
Die Kinder malen in der Einfahrt und auf der Straße Kreidebilder auf den Boden. Sie lachen und quatschen. Die Sprache ist ein Gemisch aus Ukrainisch und Deutsch, aus Mimik und Gestik. Dabei fällt auf, dass besonders Josefine richtig gut ukrainisch spricht. Als die neunjährige Adelja sich zischend und auf allen vieren nähert, fragt Josefine das Kind: „Ti sobaka, ti simija?“ Also: „Bist du ein Hund oder eine Schlange?“ Adelja zischt. „Simija!“ Sie ist also gerade eine Schlange.
Josefine malt daraufhin eine Schlange und einen Hund auf den Boden – und schreibt die ukrainische Übersetzung neben die deutsche. In Lautschrift und kyrillisch. Hut ab!

Josefine ist in der ukrainischen Sprache schon richtig fit. „Die Sprache ist unheimlich spannend“, sagt die Zehntklässlerin. © Martina Niehaus
„Ich finde, Ukrainisch ist eine spannende Sprache und so ganz anders als die Sprachen, die man sonst lernt“, erklärt die 15-jährige Zehntklässlerin, die das FBG besucht. Anfangs seien sie und Ida mit ihrer Mutter, die sich ehrenamtlich um die Familien in der Messingstraße 13 kümmert, mitgegangen. „Und jetzt spielen wir oft zusammen.“
„Guten Morgen alle zusammen!“
Die Schwestern wissen, dass die Flüchtlingskinder andere Kinder brauchen, um die deutsche Sprache zu lernen. „Manche sind schon in der Schule, und von da bringen sie jeden Tag neue Wörter mit“, sagt Josefine. Die Kinder fragen dann: „Was ist das?“ „Alle Kinder da?“ Oder sie sagen „Leise!“ und machen dazu das Handzeichen, das viele Grundschüler als die „stille Maus“ kennen. Josefine lacht. „Am lustigsten ist es, wenn sie mich und Ida sehen und sagen: Guten Morgen alle zusammen!“

Ida (11) und die neunjährige Adelja sind inzwischen gute Freundinnen. © Martina Niehaus
Auch Ida berichtet von vielen lustigen Dingen, die sie beim Spielen erlebt. „Manche unserer Spiele kennen sie auch in der Ukraine. Schnick-Schnack-Schnuck, das nennen sie ,Su Je Fa‘.“ Oder alle spielen gemeinsam Flaschendrehen. Ida erzählt. „Sie denken sich so witzige Sachen aus. Letztens mussten die Verlierer in den Busch gehen oder an der Mülltonne riechen, wir haben richtig gelacht.“
Wer Hunger bekommt, geht zu den Müttern. An diesem Tag haben Tatjana und Oksana Apfelkuchen gebacken, den sie im Garten servieren. Dazu gibt es Kekse und Schokolade.

Die sechsjährige Albina ist völlig in ihr Bild vertieft. © Martina Niehaus
Josefine tut es leid, dass noch nicht alle der älteren Kinder einen Platz an der weiterführenden Schule bekommen haben. Das Problem hatte Nachbarsjunge Jonathan (11) vor wenigen Wochen vor dem Schwerter Schulausschuss vorgetragen.
„Das fand ich toll, dass er das gemacht hat. Ohne Schule langweilen die sich doch. Ohne Tagesablauf ist das echt schrecklich. Und wenn die kleineren Kinder aus der Schule kommen und Hausaufgaben machen, können die Älteren auch wieder nur zugucken.“

Josefine (15) spielt mit Genja. Viele Spiele haben die Kinder aus den verschiedenen Ländern gemeinsam. © Martina Niehaus
Alle hoffen, dass auch bald das letzte ukrainische Kind in Schwerte einen Platz an einer Schule bekommt. Inzwischen spielen die Messingstraßenkinder weiter. Wenn ein Auto durch die verkehrsberuhigte Zone kommt, rufen die Älteren „Maschina!“ Dann gehen alle zur Seite. Danach malen sie weiter auf der Straße. Und lernen dabei neue deutsche Wörter.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
