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Abschiebung nach Bangladesch: Könnte Anisha (6) bald zurückkehren?
Abschiebung
Nach der Abschiebung einer Familie haben Gespräche mit Landrat Mario Löhr stattgefunden. Die Flüchtlingshelfer hoffen, dass der Kreis Unna Anisha (6) und ihren Eltern eine Chance gibt.
Vier Monate ist es inzwischen her: In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar wurden Navin S. (42), seine Frau Mala (30) und die sechsjährige Anisha nach Bangladesch abgeschoben.
Nicht nur die Helfer des Schwerter Arbeitskreises (AK) Asyl, die die gut integrierte Familie betreut hatten, waren über das Vorgehen des Kreises Unna entsetzt. Auch Familien aus Anishas Klasse an der Grundschule Villigst sowie Politiker aus Schwerte und dem Kreis reagierten empört.
Inzwischen hat es mehrere Gespräche zwischen den Beteiligten gegeben – an denen auch Landrat Mario Löhr persönlich teilgenommen hat. Besonders zwei Treffen machen den Helfern jetzt Hoffnung, dass der Kreis Unna der Familie doch noch eine Chance auf eine Rückkehr in die Ruhrstadt gibt.
„Es hat eine gute Atmosphäre geherrscht. Wir haben alle Themen, die uns quer runtergegangen sind, ansprechen können“, erinnert sich Hans-Bernd Marks an das erste Gespräch am Mittwoch (20. April). Gemeinsam mit Marianne Versin-Wenzler und Martin Schmolke vom AK Asyl sowie Sebastian Rose vom Komitee für Grundrechte und Demokratie Köln hatte er sich in Unna mit Mario Löhr und weiteren Mitarbeitern der Behörde unterhalten.
„Der Landrat hat mehrmals betont, dass diese Art der nächtlichen Abschiebung grundsätzlich nicht in seinem Sinne sei. Als Familienvater habe ihn die Situation der Familie schon sehr betroffen gemacht“, erzählt Marianne Versin-Wenzler nach dem Gespräch.
Arbeitsgruppe soll zukünftig zusammenarbeiten
Für die Zukunft habe man mit dem Kreis eine Vereinbarung getroffen, erzählt Hans-Bernd Marks: „Es soll eine Arbeitsgruppe geben, die von Dr. Dieter Wiefelspütz, dem Vorsitzenden der ausländerrechtlichen Beratungskommission beim Kreis Unna, moderiert wird.“
Darin sollten zum einen Rahmenbedingungen abgesteckt werden, unter welchen Bedingungen künftig Abschiebungen durchgeführt werden dürfen. „Hier geht es uns darum, dass Nachtabschiebungen bei Familien mit kleinen Kindern möglichst verhindert werden“, erklärt Marks. Ein erstes Treffen dieser Arbeitsgruppe sei wohl für den Juni anberaumt.
Zum anderen soll es darum gehen, dass auch im Kreis Unna eine proaktive Perspektivberatung eingeführt wird. „Welche Möglichkeiten kann man als Flüchtling ausschöpfen, um bleiben zu dürfen? Solche Beratungsmöglichkeiten gibt es in anderen Städten bereits“, sagt Hans-Bernd Marks. Und Marianne Versin-Wenzler ergänzt: „Eine solche Beratung einzurichten ist eine Entscheidung der Behörden. Die Frage ist, wo ich als Behörde mit meiner sozialen Verantwortung hin will.“

Im Gespräch in der Lokalredaktion Schwerte: Hans-Bernd Marks und Marianne Versin-Wenzler vom Arbeitskreis Asyl erzählen Redakteurin Martina Niehaus (l.), wie die Treffen mit dem Landrat gelaufen sind. © Johannes Staab
Kreis will offenbar eine Perspektive schaffen
Besonders hoffnungsvoll sind die Flüchtlingshelfer nach einem weiteren Gespräch vom Dienstag (26. April) mit Sandra Schulte-Waßen von der Abteilung Öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Sachgebietsleiterin Sylvia Saddington von der Ausländerbehörde im Kreis Unna.
„Wir haben dort erfahren, dass der Kreis offenbar eine Perspektive für die abgeschobene Familie schaffen möchte“, sagt Marianne Versin-Wenzler. Dabei gebe es grundsätzlich zwei Optionen. Die erste Option sei, die Einreisefrist für die Familie, die nach einer Abschiebung eigentlich vier Jahre beträgt, auf zwei Jahre zu verkürzen. Dann könnten Anisha und ihre Eltern im Jahr 2024 wieder neu einreisen.
Die zweite Option ist ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag mit Unterstützung der Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung NRW (ZFE NRW). „Wenn beide Eltern einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag vorweisen könnten, dürften sie wieder einreisen“, erläutert Marianne Versin-Wenzler.
Schwerter Unternehmen wollen möglichst helfen
Mehrere Schwerter Unternehmen – insgesamt sind es vier – hätten sich daraufhin gegenüber dem AK Asyl bereit erklärt, über eine Anstellung oder einen Ausbildungsplatz nachzudenken. Mit einem solchen Vertrag könnten die Eltern dann ein Visum bei der deutschen Botschaft in Bangladesch beantragen.
„Das wäre natürlich die optimale Lösung“, sagt Versin-Wenzler. „Es wäre toll, wenn die Familie im Sommer wiederkommen könnte, sodass die Kleine bald wieder zurück in ihre Grundschule kann.“ Ihre Mutter Mala habe bereits die Lebensläufe zusammengestellt.
Beide Eltern haben Abitur – es besteht nur die Frage, inwieweit dieser Abschluss in Deutschland anerkannt wird. Mala hatte in Schwerte mehrere Deutschkurse bestanden und noch kurz vor ihrer Abschiebung darauf gehofft, bald eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin zu machen. Dabei hatte die stellvertretende Schwerter Bürgermeisterin Bianca Dausend sie unterstützt.

Anisha lernt mit Hilfe der Schulbücher, die sie aus Deutschland bekommen hat. © privat
Kreis Unna wird sich noch äußern
Momentan telefoniert Anishas Mutter regelmäßig mit den Schwerter Helfern und Eltern aus der Grundschule Villigst. Die Stimmung schwankt – einerseits ist die Familie hoffnungsvoll, andererseits auch besorgt. Die Eltern unterrichten ihre Tochter in Dhaka mit den Schulmaterialien, die die Eltern aus Anishas Eulen-Klasse ihr zur Verfügung stellen.
Wir haben auch beim Kreis Unna angefragt, wie die Gespräche mit dem AK Asyl aus Sicht des Kreises verlaufen sind. Wie die Pressestelle am Donnerstag (5.5.) in einer ersten Rückmeldung mitgeteilt hat, wird man gern antworten. Es könne damit jedoch noch bis zur nächsten Woche dauern. Aus Gründen der Aktualität haben wir uns dafür entschieden, die Eindrücke des AK Asyl bereits jetzt zu veröffentlichen.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
