Neue Registrierkassen sollen Steuerbetrug verhindern

Schermbecker Händler ächzen unter der Last der Auflagen

Der Gesetzgeber will verhindern, dass an Registrierkassen um Steuern betrogen wird – und nimmt den Handel in die Pflicht. Auch die Händler in Schermbeck ächzen mittlerweile unter der Last der Auflagen.

Schermbeck

, 30.04.2018, 17:37 Uhr / Lesedauer: 5 min
Neuregelungen zu Registrierkassen belasten auch die Schermbecker Händler. Wenngleich nur wenige darüber offen reden möchten.

Neuregelungen zu Registrierkassen belasten auch die Schermbecker Händler. Wenngleich nur wenige darüber offen reden möchten. © picture alliance / Peter Kneffel

Wenig Begeisterung, um es vorsichtig zu sagen, löst man derzeit bei Schermbecker Händlern aus, wenn man sie nach ihren Registrierkassen fragt. Jede Bäckerei hat sie, jede Apotheke, jeder Kiosk. Eine Registrierkasse, die den Umgang mit Bargeld erleichtern soll und die ordentliche Buchführung. Die Kasse zählt mit, wie viel Steuer fließen muss.

Oder eher: müsste. Denn wo Steuern im Spiel sind, ist Steuerbetrug nicht weit. Mit spezieller Betrugssoftware etwa, die die Kasse so manipuliert, dass die fälligen Steuern sinken. Der Staat will dabei nicht länger zusehen.

Mit drei Stellschrauben will er den Betrug an der Ladenkasse nicht nur verhindern, sondern ihm sogar vorbeugen. Geschäftsleute müssen Daten für zehn Jahre speichern. Was wurde wann verkauft? Die Kasse sollte es aufzeichnen können. Im Behördendeutsch heißt das: Einzeldatenspeicherung. Die Kassen-Nachschau, die zweite Stellschraube, macht es den Behörden seit Anfang des Jahres möglich, jederzeit Kassen zu überprüfen. Die Manipulationssicherung von Kassen als dritte Stellschraube wird in den kommenden Jahren Pflicht. Betroffen sind alle, die viel mit Bargeld hantieren, besonders Einzelhändler.

Details fehlen

Doch Details sind noch immer nicht in Sicht. Wie detailliert müssen Händler Einzeldaten erfassen? In Warengruppen? Muss der Bäcker einzeln nachhalten können, ob er ein Vollkorn- oder ein Roggenbrötchen verkauft hat? Genaue Handlungsanweisungen aus dem Bundesfinanzministerium lassen auf sich warten.

Aber schon jetzt ächzen Geschäftsleute unter dem, was auf sie zukommen könnte. „Mein Steuerberater hat mir auch schon gesagt, dass ich mir so eine Kasse anschaffen soll“, sagt etwa ein Inhaber eines Schermbecker Modegeschäfts, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Für mich ist das ein Witz – ich habe doch eine funktionierende Kasse.“

„Angst vor diesen Geräten“

Zwei Seiten hat die Diskussion, die bundesweit geführt wird. Der Tenor einerseits: Zu viel Macht für Behörden, zu teuer, zu viel Willkür. Andererseits geht es dem Gesetzgeber darum, Steuerbetrug zu verhindern. Für Jochen Dieckhöfer ist die Sache ziemlich klar. „Jeder weiß, dass mit Bargeld betrogen wird“, räumt der Dortmunder Steuerberater ein. Dennoch. „Der Händler, der mit einer elektronischen Ladenkasse konfrontiert ist, der möchte ich heute nicht sein. Ich hätte Angst vor diesen Geräten.“

Geht es nach Dieckhöfer, kommt der Nutzer einer elektronischen Ladenkasse womöglich zu Unrecht in die Schusslinie. „Die Transparenz, die man der Finanzverwaltung gewährt, ist wesentlich größer, als man sich vorstellen kann.“ Meint: Aus den Kassendaten sind Unstimmigkeiten in der Buchführung ersichtlich – und Betrugsvorwürfe ableitbar. Mitunter auch, wenn der Händler gar nicht betrogen hat, sondern die Kasse zum Beispiel schlicht falsch bedient wurde, befürchtet Dieckhöfer. „Als Händler muss ich diese Vorwürfe entkräften, kann es aber nicht, weil ich gar nicht richtig vorbereitet bin.“

Schätzung

Eine mögliche Folge: Das Finanzamt schätzt eine Summe zu den Einnahmen des Händlers hinzu – und es bleibt unklar, ob das gerechtfertigt ist oder nicht. So müsste der Händler im schlimmsten Fall deutlich mehr Steuern zahlen. Hinzu kommen Kosten für das neue Kassensystem. Wie hoch diese sind, hängt davon ab, ob die Kasse ersetzt werden muss oder aufgerüstet, vom Kassensystem und von der Anzahl der Kassen. „Es ist gerade für den inhabergeführten Handel schwierig, wenn er plötzlich Geld aufwenden soll, um ein ganz neues Kassensystem einzuführen“, sagt Thomas Schäfer, Geschäftsführer des Handelsverbands Westfalen-Münsterland.

Neue Kassen

2010 forderte der Gesetzgeber, dass Händler Kassensysteme benutzen, die Einzeldaten erfassen und speichern. Allerdings ließ das Bundesfinanzministerium eine „großzügige Nichtbeanstandungsfrist von sechs Jahren“ zu, wie ein Sprecher formuliert. Der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks rechnet mit Kosten von mehreren Hundert Euro, wenn eine Kasse umgerüstet wird, damit sie manipulationssicher ist. 2000 bis 4000 Euro koste es, wenn die Kasse neuangeschafft werden muss.

Der Schermbecker Modehändler hofft, dass er eine solche vorgeschriebene Kasse auch etwas günstiger erhalten könne. „Es ist eine große Umstellung“, sagt Frank Herbrechter, Geschäftsführer der Werbegemeinschaft Schermbeck über die neuen Kassen. Er selbst hat damit in seinem Reisebüro nichts zu tun, wo nicht mit Bargeld bezahlt wird, aber die Kosten seien für Mitglieder der Werbegemeinschaft spürbar: „Das ist kein Nebenbei, sondern etwas, das schon am Ende des Jahres zu Buche schlägt.“

Erstaunlich findet Herbrechter, dass bei der Werbegemeinschaft noch keine Rückfrage dazu gestellt worden sei – das laufe wohl eher über die einzelnen Verbände, vermutet er. Die Inhaberin eines Schermbecker Modegeschäfts, die ebenfalls nicht genannt werden möchte, führt auch den Schulungsaufwand der Mitarbeiter an, wenn es um Kosten für die modernen Kassen geht. „Es belastet.“

Auf der anderen Seite steht: Die Regelungen, die Händler in Schermbeck Geld kosten, sollen Steuerbetrügern das Handwerk legen. Wie hoch der Steuerbetrug an Kassen ist, vermag das Berliner Bundesfinanzministerium auf Anfrage nicht zu schätzen. Man könne keine belastbaren Angaben machen, heißt es. Im Jahr 2015 schätzte das NRW- Finanzministerium, dass dem Staat durch Betrug an Registrierkassen fünf bis zehn Milliarden Euro pro Jahr durch die Lappen gehen. Das treffe auch ehrliche Geschäftsleute. So rechtfertigt der Gesetzgeber die Verschärfungen. „Ich find´s grundsätzlich okay“, kann etwa Kai Berger vom Einrichtungshaus „berger wohnen“ durchaus Verständnis für die Neuregelungen aufbringen: „Aber es wird mittlerweile zuviel, was wir alles machen müssen. Es wird gar nicht mehr vertraut.“

„Sippenhaft“

Wie ihm geht es vielen Händlern um mehr als ums Geld. Es geht auch um die Kontrolle durch das Finanzamt. Um bürokratischen Aufwand. Um unternehmerische Freiheit. Und ein kleines bisschen: um die Ehre. Steuerberater Jochen Dieckhöfer bezeichnet die Verschärfungen als „Sippenhaft“: Nicht nur unehrliche Kaufleute würden bestraft, sondern die ehrlichen gleich mit. Etwa bei der Kassen-Nachschau, also der unangekündigten Kassen-Überprüfung. „Man muss sich klarmachen: Ja, ich lasse mich jetzt prüfen, obwohl ich ehrbar bin, damit der Kollege, der betrügt, gefunden wird.“

Thomas Schäfer vom Handelsverband Westfalen-Münsterland schlägt in die gleiche Kerbe. Die Einzeldatenspeicherung sei für kleine Unternehmen mit großem bürokratischen Aufwand verbunden. „Ich will nicht verschweigen, dass es schwarze Schafe gibt“, sagt Schäfer. „Aber da muss man nicht mit dem Zeigefinger versuchen, eine Vielzahl von Händlern schlecht zu machen. Wobei ich glaube, dass es nicht mal so gemeint war. Aber es kam so an.“

Seit Anfang 2018 müssen Händler mit unangemeldetem Besuch vom Finanzamt rechnen. Kassen-Nachschau heißt das, wenn Prüfer ins Geschäft kommen und die Kasse im laufenden Betrieb kontrollieren. Erlaubt ist das bereits jetzt, doch die Finanzämter warten noch auf konkrete Anweisungen, wie das umgesetzt werden soll. Hierzu gibt es bisher nur einen Entwurf. „Wir sind da, was diesen Punkt anbetrifft, schon in Sorge“, sagt Dr. Friedemann Berg, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. „Wir haben das dringende Anliegen, dass bei einer solchen Kassen-Nachschau mit Fingerspitzengefühl vorgegangen wird.“ Die Sorge des Verbands: Die Bäckerei wird geprüft – und der Betrieb steht still.

Imageprobleme befürchtet

Auch der Bund der Steuerzahler sieht das kritisch – obwohl er die Interessen derjenigen vertritt, die unter Steuerbetrug an der Kasse leiden: die Steuerzahler. „Dass man Steuerbetrug vorbeugt, ist gut und völlig unumstritten“, sagt Dr. Isabel Klocke, Abteilungsleiterin für Steuerrecht und Steuerpolitik des Verbandes. Die Frage sei aber, ob das Mittel das richtige ist. „Gerade in kleinen Geschäften kann eine Kassen-Nachschau mitten im Geschäftsverkehr durchaus Imageprobleme zur Folge haben“, sagt Klocke. „Wir finden: Man sollte dieses Mittel nur einsetzen, wenn auch konkrete Hinweise vorliegen.“

Seines Wissens habe es eine solche Kassen-Nachschau in Schermbeck bislang nicht gegeben, sagt Frank Herbrechter. Die Inhaberin eines Modegeschäfts sagt, sie mache dies auch „nicht jeden Tag zum Thema. Ich will keine Ängste schüren bei den Mitarbeiterinnen“. Der Inhaber eines Modegeschäfts sagt auch: „Man vertippt sich immer mal.“ Dafür mache er ja jeden Tag einen Kassenbericht, führe Inventuren des Bestands durch. Die Neuregelungen seien „Aufwand ohne Ende“.

Zusatzbelastung

Ob sinnvoll oder nicht: Die Kassen-Nachschau bedeutet eine Zusatzbelastung für Einzelhändler, die mitunter ohnehin zu kämpfen haben. Frank Herbrechter ist sich sicher, dass die Regelungen „dem einen oder anderen Händler sehr weh tun“. Am Ende bleibt für die Einzelhändler, auch in Schermbeck, viel Unsicherheit. Es fehlt an Erlassen, die zeigen, wie streng die Finanzverwaltungen sein und was sie von den Geschäftsleuten erwarten dürfen. Der Schermbecker Modehändler fragt rhetorisch: „Wenn die Kasse zu teuer wird, kann ich dann meine Steuern nicht bezahlen?“