Werner Gräfer feierte am 17. Mai 2023 seinen 96. Geburtstag im Kreise seiner Liebsten. Er blickt auf ein langes Leben zurück – und schaut motiviert nach vorne. „Jetzt will ich 100 werden.“
Zwei Oberschenkelhalsbrüche – erst rechts, dann links – schränkten ihn in seiner Mobilität stark ein. Mit 95 musste er ins Pflegeheim der Lühlerheim-Stiftung in Schermbeck. Zwei Wochen vor seinem 96. Geburtstag durfte er zurück nach Hause.
„Er schafft das!“
Kürzlich kehrte er noch einmal zurück, um Danke zu sagen. Ohne die Pflegekräfte und Physiotherapeuten hätte er es wohl nicht geschafft. Als er ins Pflegeheim zog, baute Werner Gräfer zunächst weiter ab. „Es stand nicht gut um ihn.“, meint Chantal Graaf, Hausleiterin des Bussow-Hauses. „Aber wir haben immer gesagt: Er schafft das!“
Werner Gräfer hatte keinen Appetit mehr, auch keinen Durst. Der Vater von drei Töchtern – und einem Sohn, den seine Frau in die Ehe mitbrachte – nahm immer mehr ab, bis er nur noch 58,4 Kilo auf die Waage brachte. „Es ging ihm ganz schlecht“, erinnert sich seine Tochter Sabine Bartelt und schaut ihren Vater an. Dann kam Weihnachten 2022 noch Corona hinzu. Doch auch diesem Virus trotzte er. Ebenso wie zwei Lungenembolien. Bevor er die Oberschenkelhalsbrüche erlitt, saß er mit 95 Jahren noch selbst hinter dem Steuer und fuhr mit dem Auto von Wesel nach Berlin.
Neuer Lebensmut
Und damit kurbelte er seinen körperlichen Motor noch einmal an, schöpfte endgültig neuen Lebensmut: „Ohne Hilfe hätte ich das nicht geschafft“, betont er. Mithilfe seiner Physiotherapeuten Roger Dijkhuijs und Susanne Rütter machte er langsam Fortschritte.
Was er mit 95 Jahren dann doch noch lernen musste, war Geduld: „Ich war mein ganzes Leben lang ein Chef“, meint er lächelnd. Sein Blick ist klar, während er aus seinem Leben erzählt und den Kuchen zum Kaffee genießt. Mittlerweile wiegt er wieder 72,5 Kilo. „Ich muss jetzt darauf achten, nicht noch mehr zuzunehmen“, sagt er.
Große Pläne
„Eines habe ich gelernt: Ich lebe für den Tag und nicht für das Morgen.“ Einen Plan verrät er dann doch: „Ich will nächstes Jahr noch eine Kreuzfahrt von der Donau bis zum Schwarzen Meer machen“. So war er mit seiner zweiten Frau, die 19 Jahre jünger ist, viel auf Reisen. Von Shanghai über Peking bis Namibia hat er die Welt gesehen und blieb der Heimat Wesel doch immer nah.
Nachdem er seine Jugend in Gevelsberg verbrachte, fing er als 13-Jähriger bei der Commerzbank an. Im Februar 1944 machte er als einziger Junge die Prüfung zum Bankkaufmann, bevor er auch in den Krieg eingezogen wurde.
Seinen 18. Geburtstag verbrachte er in russischer Kriegsgefangenschaft. Er hat noch viele Erinnerungen an die Zeit. Mit 37 Jahren wurde er Bankdirektor und kam 1957 nach Wesel. Dort blieb er bis 1991, seinem 50. Dienstjubiläum und dem Jahr, als er auch in Rente ging. Es war das erste Jahr, indem er überhaupt einmal krank wurde und drei Bypässe bekam.

Sozial engagiert
Er war zeitlebens ein Zahlenmensch. Eine Führungspersönlichkeit. Ein Chef. Beruflich als Bankdirektor, privat als Vater und Freund, gesellschaftlich meist als Schatzmeister und Kassenprüfer in Vereinen und Verbänden. Aktiv im evangelischen Kinderheim, 20 Jahre im Aufsichtsrat des Krankenhauses.
Für seinen gesellschaftlichen Einsatz wurde er 1997 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Neben den Reisen liebte er das Wandern. Nur mit dem Sport hatte er es nie so, bis er dann Mitbegründer des Golfclubs Weselerwald wurde.
„In diesem Jahr ging mir mein ganzes Leben durch den Kopf“, sagt der Senior. Noch immer hat er jedes Datum im Kopf. Er führte von 1941 bis zum 23. Juli 2022 Tagebuch. Wird er heute gefragt, könnte er aus jeder Episode seines Lebens etwas erzählen. Mit Stolz blickt Werner Gräfer auf seine Familie: Mittlerweile hat er zehn Enkel und acht Urenkel. In Kürze kommt der neunte Urenkel hinzu.
Nun ist er froh, wieder daheim zu wohnen. Eine Pflegerin aus der Ukraine unterstützt ihn dort im Alltag.