Gerüchteküche brodelte Schermbecker Ortskern stand vor einer Evakuierung

Gerüchteküche brodelte: Schermbecker Ortskern stand vor Evakuierung
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Eine Bombendrohung gegen das Rathaus? Ein Panzer, der im Spechort gefunden wurde? Die Gerüchte schossen wochenlang in Schermbeck durch die Sozialen Medien, als die Gemeinde am 21. Juni den Rathausparkplatz per Bauzaun sperrte und der Kampfmittelräumdienst im Baugebiet Spechort gesichtet wurde. Die Verwaltung beantwortete dazu keine Fragen - bis jetzt.

„Unser Ziel ist nicht, Menschen in Panik zu versetzen“, erklärte Bürgermeister Mike Rexforth am Donnerstag. Deshalb habe man in Abstimmung mit der Bezirksregierung keine Infos herausgegeben. Auch nicht an Rathausmitarbeiter, die nicht zum Krisenstab gehörten.

1200 Meter Radius

Ellen Großblotekamp, Leiterin des Fachbereichs III, berichtet, dass die Bezirksregierung die Gemeinde am 12. Mai nach Untersuchung der Baugebietsfläche über rund 100 Verdachtspunkte informierte. Am 14. Juni wurde dies um den Hinweis erweitert, dass darunter 8 Fälle auf Bombenfunde hindeuten könnten. Die eine Evakuierung im schlechtesten Fall im Umkreis von bis zu 1200 Metern notwendig machen könnten. Fast der ganze Ortskern und 5000 Menschen wären betroffen gewesen.

Das Luftbild zeigt in etwa den Bereich um das Baugebiet Spechort, der im schlimmsten Fall im Schermbecker Ortskern hätte evakuiert werden müssen.
Das Luftbild zeigt in etwa den Bereich um das Baugebiet Spechort, der im schlimmsten Fall im Schermbecker Ortskern hätte evakuiert werden müssen. © RVR, 2022, dl-de/by-2-

Darunter etwa das Marienheim. Mit rund 80 pflegebedürftigen Menschen, die zum Teil nur stationär untergebracht werden können. In diesem Fall wären Bereitstellungszüge der Bezirksregierung zum Einsatz gekommen. „70 bis 80 Rettungswagen - die müssen Sie irgendwo empfangen und hinstellen. Dafür war der Rathausplatz vorgesehen“, so Rexforth. Auch das Lühlerheim stand bereit, Pflegebedürftige aufzunehmen.

Im Worst Case, bei einem Evakuierungsradius von 1200 Metern, wäre sogar das Rathaus betroffen gewesen. Am Bauhof wurde deshalb ein Verwaltungsnetzwerk aufgebaut. Das Begegnungszentrum im Rathaus hätte nicht zur Evakuierung genutzt werden können.

In diesem Fall hätte der TuS Gahlen seine Sporthalle angeboten und die Firma Pollak einen Shuttle-Service dorthin aufgebaut. Die Feuerwehrgerätehäuser Schermbeck und Altschermbeck wären ebenfalls zu räumen gewesen - die Einsatzkräfte hätten in diesem Fall auf der ehemaligen Idunahall-Fläche (Spedition Rottbeck) eine Anlaufstelle gebildet.

Termin wurde verschoben

Mit Pflegediensten, Schulen, Kitas, Ärzten, DRK, Kreis Wesel, Polizei und Straßen.NRW war der Krisenstab in Kontakt. „Ich musste selbst den Hörer in die Hand nehmen“, sagt Rexforth, als es darum ging, dass der Kampfmittelräumdienst die kritischen Stellen nicht am 21., sondern erst ab dem 22. Juni öffnen sollte. Weil dann aufgrund des Ferienbeginns in der Gesamtschule nicht zusätzlich mehr als 1100 Schüler zu evakuieren gewesen wären.

Die Firma BWR stand mit Sattelzügen voll Sand parat, um Schutzwälle bei einer eventuellen Sprengung aufzubauen. Die Banken (Volksbank, NISPA) hätten mit rund 50 Helfern die Gemeinde in „Klingel-Teams“ unterstützt, um wirklich alle Häuser zu kontrollieren. Die Firma Olbing war bereit Hygieneartikel zu liefern, von der Firma Voßkamp wäre das Mobiliar gekommen. Der Raiffeisen-Markt Lembeck hätte Getränke geliefert. Auch die Gemeinde Hünxe stand parat, um zu helfen.

Sprengung nicht gehört

All das wurde glücklicherweise nicht notwendig. Lena Möllmann, Vertreterin von Ellen Großblotekamp, berichtete, dass am 24. Juni eine gefundene Granate einfach abtransportiert werden konnte. Und am 26. Juni eine Granate vor Ort gesprengt wurde. Diese sei „tief eingebuddelt“ worden, Anwohner und Tierhalter in der Nähe wurden informiert. „Ich war in der Nähe, etwa 200 Meter entfernt. Ich habe es nicht gehört“, sagt Möllmann über die Sprengung.

Das war´s. Aber was hatten die Metalldetektoren dann im Boden angezeigt? „Schrott“, so Rexforth. Etwa ein zwei Meter langes Fahrgestell war darunter oder auch Stahlseile. Die Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes „waren selber überrascht, dass sie nicht das gefunden haben, was sie vermutet haben“.

„Unglaublich viel gelernt“

„Wir haben unglaublich viel gelernt“, sagt Rexforth über die anstrengende Zeit. Er lobt den Krisenstab für eine „herausragende Arbeit“. Man sei vom Kreis Wesel angefragt worden, ob man die Ablaufpläne offenlegen könne, damit andere Kommunen davon profitieren können.

Bei aller Planung ist Rexforth dennoch froh, dass die Evakuierungspläne nicht Wirklichkeit wurde. Auch weil, die Evakuierungen über mehrere Tage hätten gehen können. Er verteidigt die Entscheidung, nicht im Vorfeld informiert zu haben. „Wir wollten keine Massenpanik in den Sozialen Medien. Mit jeder Antwort hätten wir ein Pingpongspiel produziert.“ Ellen Großblotekamp sagt, es sei eine Abwägung gewesen: „Was ist das geringere Übel.“

Lena Möllmann sagt, dass der Kampfmittelräumdienst auch Schaulustige hätte anziehen können. „Der Spechort ist groß - vier Hektar“, sagt Bürgermeister Mike Rexforth. „Wir hatten einen Wachdienst in petto, der im schlimmsten Fall das Feld umstellt hätte, wenn Gefahr im Verzug gewesen wäre.“

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